THE IRISHMAN

PÖNIs: (5/5)

„THE IRISHMAN“ von Martin Scorsese (USA 2017/2018; B: Steven Zaillian; nach dem Buch „I Heard You Paint Houses“ von Charles Brandt/2003; K: Rodrigo Prieto; M: Robert Robertson; 209 Minuten; KINO: Original mit deutschen Untertiteln; deutscher Kino-Start: 14.11.2019; NETFLIX-Start: 27. November 2019); MARTIN SCORSESE – einer der bedeutendsten und einflussreichsten Filmemacher des zeitgenössischen amerikanischen Kinos, hat sich mit seinem Lieblingsdauer-Thema noch einmal in den gigantischen Film-Ring begeben. Scorsese, geboren am 17. November 1942 in Queens, New York, also am kommenden Sonntag 77 Jahre alt werdend, hat dafür ein „Netflix-Budget“ von rund 160 Millionen Dollar in Anspruch genommen, weshalb sein Werk auch nur kurz im Kino erscheint, um dann vom reichen Streaming-Anbieter ausgewertet zu werden. Allerdings, dies darf nicht unerwähnt bleiben, geht es natürlich auch um die „Oscar“-Teilnahme 2020, denn: um Chancen für Nominierungen und Preisvergabe zu haben, ist Bedingung, dass ein Film im Kino gelaufen sein MUSS.

MARTIN SCORSESE II: Der Produzent, Drehbuch-Autor und Regisseur wurde bislang achtmal für den „Oscar“ nominiert und erhielt ihn 2007 für „Departed – Unter Feinden“ (s. Kino-KRITIK). Mit Filmen wie „Who’s That Knocking At My Door?“ (Debüt 1968/s. Kino-KRITIK); „Hexenkessel“ (1973); natürlich: „TAXI DRIVER“ (1976); „Wie ein wilder Stier“ (1980); „The King of Comedy“ (1983); natürlich: „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ (1990/s. Kino-KRITIK); natürlich: „CASINO“ (1995); „Shutter Island“ (2010/s. Kino-KRITIK); „Hugo Cabret“ (2011/s. Kino-KRITIK); „The Wolf of Wall Street“ (2013/s. Kino-KRITIK). Außerdem schuf er 2008 mit der intimen „Rolling Stones“-Rock ‘n‘ Roll-„Beobachtung“ „Shine A Light“ (s. Kino-KRITIK), einen der besten Konzertfilme überhaupt.

Zu den Lieblingsschauspielern und „Dauergästen“ in seinen Filmen zählen u.a.: ROBERT DE NIRO; JOE PESCI; HARVEY KEITEL sowie Leonardo DiCaprio und Frank Vincent. In seinem neuen Werk „THE IRISHMAN“ treten an der Rampe auf: ROBERT DE NIRO/76 als Titelheld Frank „The Irishman“ Sheeran; JOE PESCI/76; HARVEY KEITEL/80 sowie AL PACINO/79 als „Jimmy Hoffa“, der erstmals bei bzw. für Martin Scorsese auftritt.

Apropos Jimmy Hoffa: James Riddle „Jimmy“ Hoffa, geboren am 14. Februar 1913 in Brazil, Indiana, war ein prominenter US-amerikanischer Gewerkschaftsführer mit Verbindungen zur amerikanischen Cosa Nostra. Als Präsident der „Teamsters“-Gewerkschaft war Hoffa in den USA auch als „Herr der Lastwagen“ bekannt. Seit dem 30. Juli 1975 ist er „verschwunden“. Vermutlich wurde er ermordet. Von Frank „The Irishman“ Sheeran (*25.10.1920 – †14.12.2003), einem US-amerikanischen Mafioso und Auftragsmörder der Cosa Nostra. 1992 befasste sich der Film „JIMMY HOFFA“ mit der Biografie des umstrittenen Gewerkschaftsbosses. Drehbuch: David Mamet, Regie und zweite Hauptrolle: Danny DeVito; in der Titelrolle gab sich JACK NICHOLSON die Ehre. Dieser erhielt damals sowohl eine „Golden Globe“-Nominierung wie auch die Nominierung für die „Goldene Himbeere“ für den „schlechtesten Schauspieler“.

Nun haben sie sich noch einmal zusammengefunden. In ihrem Gangster-Epos-Reigen. Die großen alten weisen weißen Entertainer-Kerle des besten Hollywood-Kinos. Die sich noch einmal zusammenraufen. Für einen Stoff, der wie gemacht für sie ist. Der renommierte Drehbuch-Autor Steven Zaillian („Schindlers Liste“; „Mission: Impossible“; „Hannibal“; „Die Kunst zu gewinnen – Moneyball“) hat die Buch-Vorlage von Charles Brandt, s. Credits, zu einer fesselnden, faszinierenden Crime-Saga verarbeitet, die hin und zurück durch die Jahrzehnte springt, ohne dass man dabei den Überblick verliert und der dramaturgische Faden stets im raffinierten gedanklichen Blickfeld bleibt. Sagenhaft. Kinematografisch wie emotional. Das brillante Gangster-Kino der alten Schule lebt und bebt noch einmal auf. Zugute kommt ihnen, dass es heutzutage inzwischen – mit der so genannten Anti-Aging-Technik – möglich ist, sie per Computer-Bild über sechs Jahrzehnte jeweils „aktuell aussehen“ zu lassen. Was für eine schöne Fopperei mit viel Wahnsinn-Charme.

Nie zu vergessen: Diese Szene aus dem Klassiker „GoodFellas“ von 1990, wie damals Ray Liotta und Lorraine Bracco ein Restaurant durch die Hintertür betraten und sich die dahingleitende Steadicam-Kamera am Bauch von MICHAEL BALLHAUS durch die Gänge und Ecken bewegte. Am Anfang von „The Irishman“ quasi die Wiederholung, wenn sich die Kamera unter Führung von RODRIGO PRIETO („21 Gramm“; 2006 „Oscar“-Nominierung für „Brokeback Mountain“; „Babel“; „The Wolf of Wall Street“) einen Weg durch ein Altenheim sucht, vorbei am Empfang, an Aufenthaltsräumen, durch Flure und Türen zwängt, inspirierend die Richtung verändert, bis sie am Ziel ihrer Suche ist: bei und am Gesicht von – Frank Sheeran, verkörpert durch (den zur Drehzeit 75-jährigen) Robert De Niro, der, so beschreibt ihn der Rezensent Michael Ranze vom aktuellen „filmdienst“, „von hinten wie ein Buddha“ ausschaut, „den nichts erschüttern kann. Dann umfährt ihn die Kamera und offenbart sein faltiges Gesicht, die trägen Augen, das graue Haar, die getönte Brille“. ER: Das Epizentrum des Films. Jener markante Typ, längst jenseits der 80, der für die amerikanische Mafia einst brutalste Schmutzarbeiten erledigte und als professioneller Auftragsmörder über Jahre und Jahrzehnte unterwegs war. „I Heard You Paint Houses“, „Ich habe gehört, dass du Häuser anstreichst“, mit diesen Worten engagierte ihn einst der mächtige Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa für „entsprechende Dienste“.“Ich mach‘ auch carpentry work“, „Zimmermannsarbeiten“, antwortete Sheeran; was so viel hieß wie: „Ich beseitige auch die Leichen“. Damit war alles geklärt. „Ich habe Leute umgebracht. Ich kannte sie nicht, ich kannte ihre Familien nicht“, spricht der Katholik Frank Sheeran im Buch. Sein Gewissen erleichtern wollend.

Und nun hinein. In dieses Nochmal-Ausnahmewerk eines Martin Scorseses, mit seinen unwiderstehlichen Kumpanen De Niro/Pesci/Keitel und Al Pacino. Und all die vielen präzisen Anderen. Vor wie hinter der Kamera. Dass die Namhaften, die Stars, an der Rampe funktionieren, für ihren „Marty“ Scorsese noch einmal ihr Bestes abrufen, war klar. Sie bilden sowieso eine sagenhaft dynamische Extra-Klasse in Sachen Präsenz, Charisma, Aura. Für eine optimale Genre-Show-Unterhaltung. Aber, und hier kommt das viele „Netflix“-Money zum Ausdruck, Scorsese fügt sie und SIE = Ensemble zusammen zu einer atmosphärischen, unwiderstehlichen Spitzen-Einheit. Bis hin zum kleinsten Nebenpart überzeugen die vielen verschiedenen menschlichen Bewegungsmelder als markante Fingerzeige auf den überwältigenden Gesamt-Rhythmus.

Dazu wären jetzt natürlich noch weitere lobende Erläuterungen über kompetente Ausstattung, erlesene Bauten und die angemessene stimmungsintensive Soundtrack-Schwungbegleitung fällig, aber viel lieber gefallen mir die Abschlussworte aus einem Interview des österreichischen Filmmagazins „Ray“, Ausgabe 11/19, mit Al Pacino & Robert De Niro. Auf die Frage, ob es „das jetzt mit Scorsese“ endgültig war? Al Pacino: „Wir haben uns die Hände gereicht und geschworen, nie wieder zusammenzuarbeiten. Das war’s“. Robert De Niro: „Wir haben etwas auf die Beine gestellt, was wir wahrscheinlich so nicht noch einmal machen werden. Vielleicht haben wir Glück, und etwas anderes tut sich auf. Aber in jedem Fall haben wir diesen Film, und der hat eine Menge Arbeit und Durchhaltevermögen gekostet. Aber wir haben es über die Zielgerade geschafft“.

Und WIE! Herausragend (= 5 PÖNIs).

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