HUGO CABRET

PÖNIs: (4,5/5)

„HUGO CABRET“ von Martin Scorsese (USA 2010/2011; B: John Logan; nach Brian Selznicks Roman „The Invention of Hugo Cabret“/2007; K: Robert Richardson, M: Howard Shore; 126 Minuten; deutscher Kino-Start: 09.02.2012); ist der zweite DEFINITIVE, also RICHTIG “funktionierende” moderne 3D-Kinofilm. Nach dem James Cameron-Meisterstück „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ von 2009. Wo diese weiter entwickelte Optik so einzigartig NEU „glänzte“. Brillierte. Beeindruckte. Und sinnvoll „benutzt“, verwandt, eingesetzt wurde. Wie hier jetzt auch. „Oscar“-Preisträger Martin Scorsese („Departed – Unter Feinden“/2006; s. Kino-KRITIK), der in diesem Jahr, am 17. November 2012, 70 Jahre alt wird, löste sich diesmal von seinen „schweren“ zwischenmenschlichen „Kampf“-Themen (zuletzt: „Shutter Island“/2010; s. Kino-KRITIK) und schuf einen prächtigen visuellen Familienfilm. Mit einem Budget von rd. 150 Millionen Dollar. Der allerdings in zwei unterschiedliche „Qualitäts-Blöcke“ zerfällt. Aber der Reihe nach.

Am Anfang steht der 2007 veröffentlichte Roman: „The Invention of Hugo Cabret“ von Brian Selznick. Einem amerikanischen Autor und Illustrator von Kinder- und Jugendliteratur. Ein Jahr darauf erschien sein Bestseller bei uns unter dem Titel „Die Entdeckung des Hugo Cabret“. Im Brennpunkt, zunächst – der 12-jährige Hugo. Dessen Wesen und Umfeld an einen „Oliver Twist“ aus dem berühmten Milieu-Roman von Charles Dickens erinnert. Nur, wir befinden uns nicht im viktorianischen Britannien, sondern anno 1931 im opulenten Bahnhof Montparnasse in Paris. Hugos Reich. Wo täglich tausende von Menschen durch die gigantische Halle eilen und dabei erwarten, dass die Bahnhofsuhren auf die Minute genau die richtige Zeit anzeigen. Doch WER ist derjenige, DER dafür verantwortlich ist? Eben: der kleine Hugo. Ein Waisenjunge, der in dem verwinkelten Gemäuer unter dem Dach, „hinter den Uhren“, umgeben von Hebeln, Zahnrädern und Pendeln, allein lebt. Sein geliebter Vater, ein begnadeter Mechaniker und Uhrmacher, ist bei einem Brand ums Leben gekommen; sein schäbiger Onkel, ein Alkoholiker, hat ihn hier alleine zurückgelassen. Seitdem kümmert sich Hugo um die Zeit.

Hält sich mit kleinen Diebereien über Wasser. Muss dabei höllisch aufpassen vor den Nachstellungen des fiesen Bahnhofvorstehers, der gerne minderjährige „Herumtreiber“ einfängt, von der Polizei abholen und ins Heim stecken lässt, und vor Maximilian, seinem „bedrohlichen“ Dobermann. Als Hugo den griesgrämigen Monsieur Georges kennenlernt, beginnt sich der Kinder-Thriller zu verändern. Denn der alte Mann, gebeugt, kahlköpfig und immer schlecht drauf, betreibt einen Laden mit allerlei Zeugs, aber auch mit feinem mechanischem Spielzeug, das er selbst baut und repariert. Was besonders Hugo interessiert. Bemüht er sich doch in seinem Versteck bislang vergeblich an der Reparatur eines menschenähnlichen Roboters. Einem Überbleibsel seines Vaters (JUDE LAW). In dem er eine „Nachricht“ seines Vaters vermutet. Wenn er ihn bloß in Gang setzen könnte. Doch dann landet sein Notizbuch mit den Skizzen und Zeichnungen über seinen bronzenen Automaten ausgerechnet bei Monsieur Georges, der ihn bei einer Klauaktion erwischt. Hugo verbündet sich mit Isabelle, der Stieftochter des Alten, um sein Büchlein zurückzubekommen. Was sich als schwierig erweist. Und dieser herrische Bahnhofsaufpasser (SACHA BARON COHEN) ist ihm auch schon auf den Fersen.

ER zählt zu den bedeutendsten Pionieren der Filmgeschichte: GEORGES MÉLIÈS (*08.12.1861 – †21.01.1938), der französische Illusionist, Theaterbesitzer und Filmregisseur. Gilt als Erfinder des „narrativen Films“, des Erzählfilms, sowie der Stop-Motion-Animationstechnik. Der seinen Bühnenzauber mit der entstehenden Kinematografie verband. Und 1896, ein Jahr nach der ersten Begegnung mit dem Kinematographen der Brüder Lumière, seinen ersten Film drehte („Une partie de cartes“). Ab 1897 schuf er im eigenen (auf dem Grundstück seiner Familie in Montreuil gebauten) Filmstudio seine Filme. 1897 gründete er die Produktionsfirma Star-Film, mit der er bis 1912 über 500 Filme fertigstellte. Sein bekanntester ist „Le Voyage dans la Lune/Die Reise zum Mond“, mit dem er – in Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Jules Verne – den ersten Science-Fiction-Film der Filmgeschichte drehte. Während des Ersten Weltkrieges verlor Georges Méliès sein gesamtes Vermögen. Mit seiner zweiten Frau Jeanne betrieb er ab 1925 einen Spielzeugladen in der Metrostation Montparnasse. Bis 1932. Der frühere Filmemacher Méliès war lange Zeit vergessen, bis 1929 einige seiner Werke auftauchten und Filmjournalisten darüber berichteten. 1931 bekam er das „Kreuz der Ehrenlegion“ verliehen, das ihm von Louis Lumière höchstpersönlich überreicht wurde.

Monsieur Georges (BEN KINGSLEY) ist jener Georges Méliès. Der durch die Aktivitäten von Hugo (ASA BUTTERFIELD) und seiner neuen Freundin Isabelle (CHLOE GRACE MORETZ) wieder „ins Leben“ und in die Erinnerung der Menschen zurückgeholt wird. Mühsam, aber schließlich mit Erfolg. Martin Scorsese bemüht sich, beide Handlungsstränge zu verbinden. Zu vereinen. Das Kinder-Drama mit der Huldigung an einen großen Cineasten. Erst mit dem Aufbau von kriminalistischer Spannung in dem Duell zwischen dem Uniformträger vom Bahnhof und diesem cleveren kleinen Tausendsassa, dann die historische kinematographische Komponente. Mit lustvollen Anspielungen an diese „komische Bewegungen“, an diese Beginn-Kinozeiten, an legendäre Stummfilmsequenzen wie die von Harold Lloyd und seiner Turmuhr-Kletterei in „Safety Last/Ausgerechnet Wolkenkratzer!“ von 1923. Doch hier „verhaspelt“ sich Scorsese. Kriegt kein „Timing“ hin. Lässt den Nachwuchs ziemlich altklug schwätzen und findet den Übergang zum „aufblühenden“ und plötzlich „guten“ Melancholiker Georges Méliès nur holprig. Aus dem Off schnell erklärend.

Es wird deutlich, Scorsese interessiert sich weniger für das „Abenteuer im Bahnhof“ und (viel) mehr für den verehrten Bild-Magier von einst. Was nicht verwundert, schließlich ist Martin Scorsese, einer der einflussreichsten Welt-Filmemacher seit langem, Gründer und Vorsitzender der 1990 ins Leben gerufenen „Film Foundation“, einer gemeinnützigen Organisation, die sich den Erhalt und den Schutz des Erbes der Kinogeschichte zur ehrenvollen Aufgabe gemacht hat. Beim Filmfestival von Cannes 2007 rief Scorsese auch die gemeinnützige „World Cinema Foundation“ ins Leben, eine Organisation, die sich um den Erhalt und der Restaurierung von Filmen aus aller Welt widmet. Und schon zahlreiche Klassiker (wie „Die roten Schuhe“ von Michael Powell/1948 oder „Rashomon“ von Akira Kurosawa/1950) vor dem Vergessen rettete und komplett restaurierte. Kein Wunder also, dass der Regisseur von solch großartigen Filmwerken wie „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“, vor allem „GoodFellas“ (s. Kino-KRITIK) und „Casino“ sowie „Aviator“ sich hier vorrangig auf das „Biopic“ über Georges Méliès konzentriert. Und die erzählerische Gesamtstruktur dabei vernachlässigt. Dafür aber mit seiner OPTIK grandios punktet. Triumphiert. Und dabei Stars wie Ben Kingsley, den 90-jährigen „Buchhändler“ Christopher Lee sowie Jude Law, Ray Winstone und Emily Mortimer als Stichwort-Begleiter diskret „verdeckt“. Einzig „die fiese Socke“, „Borat-Brüno“ SACHA BARON COHEN als autoritärer Bahnhofsdiktator, schafft es, charakterliche Tiefenschärfe aus dieser amüsanten Uniform-Marionette souverän herauszupellen.

Begeisternd: diese einzigartigen Bilder, diese wandlungsfähigen Motive, diese mitreißenden Einstellungen. Diese sagenhaften phantastischen einzigartigen Kamerafahrten. Diese sensationelle Bilderflut. Als Atmosphäre-Rausch-pur. „Hugo“, so der Originaltitel, ist von riesigem Schau-Wert. Viele Momente sind, bilden einen ereignisreichen Augen-Schmaus. Sind betörend kreativ wie beeindruckend anzuschauen. Sind toll. Faszinieren in ihrer emotionalen Sinnesfülle. Entwickeln eine visuelle Eigendynamik. Bei den rasanten Verfolgungsjagden. In der köstlichen Gestaltung dieses Pariser Hauptspielortes „Riesen-Bahnhof“. Bei dem „genüsslichen“ Entgleisen dreidimensionaler Züge. Ein begeisternder optischer Schatz. Man kann sich an diesem Film prächtig SATT-SEHEN. Das ist sein Triumph, der zu gleich 11 „Oscar“-Nominierungen führte. Und schließlich zu DEM lenkt, was MAGIE bezeichnet, ausmacht: die volle Lust am bzw. beim KINO.

„Hugo Cabret“ ist die große Hymne, die ebensolche Verbeugung vor diesem Zelluloid-Weltspektakel. Vor dieser ewigen Achterbahnfahrt von Jahrmarkt und Seele. Vor dieser einzigartige Illusion: KINO. Sie LEBT. Blüht voll auf. Hier: weil hinter der Kamera ein Heer von hochkarätigen Fachkräften am Werk war. Wie Drehbuch-Autor JOHN LOGAN, der beispielsweise die Drehbücher zu „Gladiator“ (von Ridley Scott) und „Aviator“ von Scorsese verfasste und dafür mit „Oscar“-Nominierungen bedacht wurde; wie ROBERT RICHARDSON an der verantwortlichen Kamera, zweifacher „Oscar“-Preisträger (für „Aviator“ und für „JFK – Tatort Dallas“ von Oliver Stone); wie die vielfach „Oscar“-prämierten DANTE FERRETTI und THELMA SCHOONMAKER als schmucker Produktionsdesigner und exzellente Schnitt-Fachfrau; wie SANDY POWELL, die bisher dreimal mit dem „Oscar“ ausgestattete Kostüm-Chefin; wie der bisherige 3-fache „Oscar“-Komponist HOWARD SHORE („Der Herr der Ringe“). Mit solch einem „Personal“ kann sich Martin Scorsese vor allem bestens sehen, aber auch stimmungsvoll hören lassen.

„Hugo Cabret“ ist ein imposantes nostalgisches Realo-Märchen als visuell-hochkarätiges Komfort-KINO (= 4 1/2 PÖNIs).

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