0.) Das 75. Jahr der DEFA-Gründung ist auch das 60. Jahr des Drehbeginns der legendären Dokumentationsreihe „DIE KINDER VON GOLZOW“. Auf den Tag genau, am SONNTAG, den 29. August 2021, widmet das Berliner „BABYLON-KINO“ am Rosa-Luxemburg-Platz diesem Anlass eine besondere Veranstaltung. Die um 16 Uhr startet mit dem ersten, 12 1/2minütigen Golzow-Film – „Wenn ich erst zur Schule geh“ – und bis in den Abend gefüllt ist mit Golzow-Filmen, Diskussionen „mit den Junges“ (Moderator: Ralf Schenk), Gesprächen mit Vertretern des Filmmuseums Golzow, die zu diesem denkwürdigen Tag mit einer transportablen Ausstellung zur Geschichte der „Kinder von Golzow“ aufwarten. Während wir uns erinnern: Die Golzow-Filme sind, einzeln wie insgesamt (= 20 Filme mit rund 44 Stunden Laufzeit), ein definitiver Geniestreich des Deutschen Kinos. Wer dabei sein will, möge sich bitte bis zum 20. August zwecks Platzreservierung melden; entweder bei Barbara und Winfried Junge = info@kinder-von-golzow.de = oder direkt beim Babylon-Kino. Für Interessenten, in meinem Archiv befinden sich zum Film-Thema diverse Golzow- bzw. Barbara und Winfried Junge – Artikel. SONNTAG; 29. August = ein ereignisreicher Gedenk-Tag.
1.) „Machen Sie sich keine Gedanken, wir kümmern uns um alles“. SPANNEND. INFORMATIV. Titel = „NAHSCHUSS“. Von FRANZISKA STÜNKEL (B + R); D 2019; 116 Minuten. Bis 1968 wurde in der DDR das Todesurteil mit dem Fallbeil vollstreckt. Weil sich die Guillotine mechanisch als zunehmend fehleranfällig erwies, ging man zu einer sicheren Methode über, die man auch als humaner begriff: den unerwarteten NAHSCHUSS in den Hinterkopf. Am 26. Juni 1981 war Werner Teske der letzte, an dem in der Leipziger Justizvollzugsanstalt im Gebäude des ehemaligen Königlichen Landgerichts die Todesstrafe vollstreckt wurde. Im Erdgeschoss der Leipziger Arndtstraße 48 wurden 64 Menschen hingerichtet, insgesamt wurden in der DDR 166 Personen auf Grund von Urteilen der ostdeutschen Justiz hingerichtet. Offiziell wurde die Abschaffung der Todesstrafe durch den Staatsrat erst am 17. Juli 1987 beschlossen. „Bisher gibt es ein paar Publikationen, die das Thema Todesstrafe in der DDR behandeln. Aber weder in einem Roman noch im Kino ist das bislang thematisiert worden“ (Franziska Stünkel).
Du bist Franz Walter. Sozusagen – der filmische Werner Teske (LARS EIDINGER). „Mit Haut und Haar und Körper und Seele“ (Franziska Stünkel). Du hast gerade an der Humboldt-Universität promoviert. Stehst unmittelbar vor dem Abflug für eine einjährige Studienreise in das sozialistische Äthiopien. Verbringst die letzte Nacht zusammen mit Freundin Corina (LUISE HEYER). Doch dann wirst du angehalten. Kriegst ein – nicht abzulehnendes – Angebot „von Oben“. Sollst, als engagierter, talentierter Nachwuchswissenschaftler, besser „woanders“ dein Berufsleben/deine Aufgabe starten. Motto: Mithelfen, „den Frieden zu sichern“. Beim Auslandsgeheimdienst. Bevor Du, Franz Walter, demnächst die Hochschulkarriere beginnst, als Nachfolger deiner Professorin. Vorher muss aber noch was „Anderes“ getan werden. Gemeinsam mit dem Kollegen, Mentor, Dirk Hartmann (DEVID STRIESOW). Die Aufgabe lautet – den Wut der Chefetagen zu stillen. Thema: Ein guter DDR-Fußballer, Horst Langfeld, hat es gewagt, abzuhauen. Um nun für den Hamburger SV lauthals zu kicken. Der SED-Apparat ist stinkesauer. Will diesen Affront auf gar keinen Fall dulden. Franz und Dirk beginnen mit ihrer Systemarbeit. Zwischendurch heiraten Franz und Corina; bekommen eine geräumige Wohnung zugewiesen. „Du arbeitest im Innern, stimmt’s?“, ahnt Corina. Während bei Franz – „Willkommen in der Familie“ – sich langsam „Unbehagen“ bemerkbar macht.
„Wie verhält man sich als Mensch in einem politischen System? Wie können politische Systeme Menschen manipulieren? Zwar geht es hier um das politische System der DDR, aber ich habe diese Fragen ganz generell verfolgt. NAHSCHUSS ist auch eine Fallstudie und die Vermutung, dass ein Weg wie der von Franz Walter so oder ähnlich auch in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft möglich ist. Wichtig ist mir eine Übertragbarkeit auf politische Unrechtssysteme im Allgemeinen“ (Franziska Stünkel). „Immer schön mitfeiern“: LARS EIDINGER gräbt sich unaufdringlich, packend, ohne Heldenhaftigkeit, sich dabei zermürbend und verzweifelnd in seinen Franz Walter ein („Niemand kommt dagegen an“). Ein überragender Auftritt eines besorgten Systemsprengers, der sich nicht von seiner Menschlichkeit lösen kann. Lösen will. Und dessen Ende grauenvoll ist. Ebenso grandios – listig – tückisch: der amtlich-private Dirk Hartmann von DEVID STRIESOW: in seiner aalglatten Paroli-Laune, als hibbeliger Aufpasser-Stasi-Kollege von Franz Walter.
Was für ein beachtlich-gedankliches 13. August – Movie. Was für ein starker Film, dem es erstaunlich-überzeugend gelingt, Licht in ein wichtiges Stück deutscher Geschichte zu bringen, das national wie international – bislang – kaum bekannt war. Und von einem starken Ensemble diesbezüglich-großartig bedient wird (= 4 1/2 PÖNIs).
2.) WIDERLING. Titel = „FALLING“. Von und mit: VIGGO MORTENSEN (B, Co-Produzent + R + Musik). Kanada/GB 2019; 112 Minuten. Ich schätze VIGGO MORTENSEN. Sehr („Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück“/s. Kino-KRITIK sowie zuletzt „Green Book – Eine besondere Freundschaft“/s. Kino-KRITIK). Doch mit seinem aktuellen Film, seinem ersten Regie-Film, komme ich nicht klar. Was weniger an ihm liegt, sondern mehr an dem großartig-widerlichen-aufwühlend-eklig-renitenten 80jährigen Hauptakteur LANCE HENRIKSEN, dessen Schaffen mehr als 150 Film- und Fernsehproduktionen umfasst und der hier – als Vater von Viggo Mortensen = John Petersen – einen absoluten Hass-Typen verkörpert. Namens Willis. Obwohl der permanent nur Gift und Galle verbal spuckt, nimmt ihn sein schwuler Sohn John bei sich in Los Angeles auf und lässt den Alten inmitten der Familiengemeinschaft ständig provozierend toben. Auch viel empört darüber, dass Sohn John sich „offen“ schwul zeigt und mit Ehemann Eric und Tochter ein normales Zusammenleben pflegt. „Wieso machst du jedes Mal Ärger, wenn wir uns sehen?“, prallt bei dem alten Kacker ab. Immer wieder bemühen sich Angehörige, Papa Willis zu bändigen, doch der, mit Demenzanfängen versehen, rotzt unaufhörlich, unausstehlich herum: „Wussten Sie beim Militär, dass du ’ne Schwuchtel bist?“ Das Familien-Drama, das autobiographische Motive beinhaltet, wie aus Mortensen-Interviews zu hören ist und mit Kindheitsrückblicken plätschert, lebt von diesem sagenhaften Dreckstypen von Papa-Oldie, den LANCE HENRIKSEN phantastisch (auch Synchron von ERICH LUDWIG) mimt. Oder – auch, wenn er Opi wunderbar-nervig als ekligen Wut-Bürger-Rassisten plärrt („Einmal Polacke, immer Polacke“). Doch das mitteilsame, unterhaltsame KINO des ewig-schreienden Patriarchen ist eigentlich wie-anders gedacht oder: Schiebt DIESEN Opa bloß schnell ab ins Gehege(= 3 PÖNIs).
3.) ES WIRD WEITER GEMEUCHELT. Titel = „THE FOREVER PURGE“. Von Everado Gout. USA 2019/2020; 103 Minuten. Einmal pro Jahr herrscht der Ausnahme-Genehmigungszustand. Im netten Amerika. Wo dann von 19 Uhr abends bis 7 Uhr morgens gekillt werden darf. Weil sämtliche Straftaten erlaubt sind. „THE PURGE“ = DIE SÄUBERUNG. Dreimal hat es bombastisch im Kino funktioniert. Mit den politischen Gewalt-Eskapaden aus dem unruhigen Ami-PURGE-Land (s. Kino-KRITIK/13.6.2013 / s. Kino-KRITIK/31.7.2014 / s. Kino-KRITIK/15.9.2016). Bei der Blut-Ausgabe 4 vom 5.7.2018 dagegen stotterte es mehr als dass argumentiert wurde (s. Kino-KRITIK). Nun geht es weiter. Aber anders: Eine Bürgerwehrtruppe erklärt ganz Amiland den totalen Krieg. Bei dem Immigranten vernichtet werden. Sollen. Dürfen. Ab sofort lebe das Land weiterhin in Angst, Schrecken, Hass. Gewalt. Mit extrem viel Mündungsfeuer. Mittendrin – die Mexikanerin Adela und ihr Freund Dylan Tucker, ein robuster Texaner. Die bei diesem sadistischen Gemetzel um ihr Leben fighten. Und wir befürchten, was wohl passiert, wenn sich demnächst mal die Rednecks-Gestalten mit Trump vereinen und den 6. Januar 2021 noch einmal in Richtung Kapitol (und weiter) aufflackern lassen? Andererseits, so hilflose Dämel-Sprüche und solch diffuse bleihaltig-kotzige Feuerkämpfe…; das Thema ist doch filmisch längst ausgelutscht. (Wenngleich – angeblich wird gerade Purge 6 vorbereitet…???) (= 2 PÖNIs).
4.) WOHLFÜHLFILM. Titel = „DREAM HORSE“. Von EURO LYN; GB/USA 2019; 113 Minuten. Manchmal gibt es sie, und sie sorgen für ein Lächeln: diese Filme, die einfach, aber angenehm-beharrlich fürs Gemüt zubereitet sind. Wie dieser kleine, feine Streifen. Der mit originellen Figuren, humorvollen Charakteren und liebevollen tierischen Motiven die Stimmung anheizt. „Nach einer wahren Begebenheit“, heißt es eingangs. Die in einem walisischen Dorf angesiedelt ist. Wo die meisten gerade so über die Runden kommen. Und wir uns auf Jan konzentrieren (TONI COLLETTE). Die tagsüber an der Kasse des Supermarkts sitzt und abends im Pub hinter der Theke aushilft. Irgendwie ist die Laune trostlos. Die Kinder sind aus dem Haus, Ehemann Brian (OWEN TEALE) schaut selten vom Fernseher auf. „Wenn ich morgens aufstehe, muss ich mich auf was freuen“, funktioniert bei Jan kaum. Lebensfreude sollte endlich mal wieder aufgetankt werden. Aber wie? Ihre Liebe zu Tieren, sie war schließlich mal Brieftaubensport-Siegerin, scheint auch vergangen. Doch ein Traum existiert, Jan will ein eigenes Rennpferd. Obwohl sie weder genügend finanzielle Mittel noch Erfahrung besitzt, gelingt es ihr, sowohl im Umfeld als auch in der Gemeinde, Leute dafür zu begeistern. Man gründet ein Syndikat und beginnt, sich aus der dörflichen Lethargie sensibel-energisch zu lösen. Und tatsächlich, das Fohlen Dream Alliance sorgt für sagenhafte wie originelle Euphorie. Motto: Der Stolz von Wales. Wenngleich…
„DREAM HORSE“ oder: Stimmung in Sachen Stolz, Gemeinschaft, Freundschaft, Solidarität, Glauben. Von wegen – originelle Figuren beginnen sich launig zu bewegen. Mit Optimismus wie auch mit privaten Tiefs, die man abzuarbeiten versteht. Hauptsache: Dieses phantastische Tier; dieses aufgewachte Umfeld. An der Seite von „Homeland“-Star DAMIEN LEWIS sorgt Publikumsstar TONI COLLETTE („Muriel’s Hochzeit“; „The Sixth Sense“; „About A Boy“; „Hereditary“) als leidenschaftliche Hobbyzüchterin für Endlich-Abwechslung („Mein ganzes Leben war ich nie selbst“). In dieser ebenso warmherzigen wie atmosphärischen Underdog-Komödie, deren Traum einem unscheinbaren Dorf Hoffnung schenkt. Die Geschichte basiert auf Erlebnissen der Waliserin Jan Vokes mit ihrem Pferd Dream Alliance. Es stimmt: Wenn Kleine sich daranmachen, Große herauszufordern, anzulaufen, so etwas kann immer mal wieder berührend filmisch funktionieren. Wie hier (= 4 PÖNIs).
5.) WICHTIG: GEGENWIND. Titel = „WEM GEHÖRT MEIN DORF?“ Von CHRISTOPH EDER (B + R); D 2020; 96 Minuten. Auf kräftigen Gegenwind stößt die auf Wachstum und Investition ausgerichtete Lokalpolitik in dem beliebten Ostseebad Göhren auf Rügen, der Heimat des Filmemachers Christoph Eder. Als die letzte unberührte Küste bebaut werden soll und das einzigartige, malerische Naturschutzgebiet in Gefahr ist, regt sich deutlich der Unmut unter einigen Bewohnern. Seit Jahren dominiert eine Gruppe von Männern, die „Vier von der Stange“, den Gemeinderat. Sie unterstützen sämtliche Projekte eines millionenstarken Bauinvestors aus Nordrhein-Westfalen, der dort nach der Wende so viele Hotels und Ferienhäuser baute wie sonst niemand. Nadine und ihr Vater Bernd, engagierte Göhrener, erkennen schnell, dass sie nur gemeinsam mit Gleichgesinnten etwas ändern können. Sie gründen eine Bürgerinitiative und treten bei der Kommunalwahl an.
„Wem gehört mein Dorf?“ ist ein persönlicher Film über das Wesen der Demokratie. Zwischen weißer Bäderarchitektur und sanftem Meeresrauschen zeigt Christoph Eder am Beispiel seines Heimatorts, dass politische Mitbestimmung nirgendwo so unmittelbar ist, wie in der Lokalpolitik. Im Mikrokosmos des Ostseebads und seiner Bewohner werden Themen verhandelt, die weltumspannend Brisanz haben und kapitalistische Interessen gegen das Gemeinwohl stellen: Ausverkauf der Kommunen, Gentrifizierung, Strukturwandel, Turbo-Tourismus, Naturschutz. Von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FPW) heißt es in der „Besonders Wertvoll“-Begründung: „Spannend wie ein Spielfilm entwickelt sich auch dank großartiger Protagonisten/Innen ein demokratischer Kampf um die Mitbestimmung um das Göhrener Schicksal“.
Der Film zeigt, dass Veränderung im Kleinen beginnen und dabei große Wellen schlagen kann. Gerade wurde „Wem gehört mein Dorf?“ auf dem NaturVision-Filmfestival mit dem Sonderpreis der Jury „Umdenken“ ausgezeichnet (= 4 PÖNIs).
6.) GESANG-MUSIK. Und umgekehrt. Es gibt Hallen, in die kriegt mich keiner rein. Man nennt sie auch BAUMARKT. Warum allerdings diese gerade bei Männern so beliebt sind, teilt uns bei meinem Lieblingssong dieser Woche REINHARD MEY mit dem exklusiv-informativen wie eindeutig-komischen Lied „MÄNNER IM BAUMARKT“ mit. Zuhören & Zusehen vermag viel Spaß zu bereiten, ehrlich:
Wünsche eine flotte – und natürlich GESUNDE – Baumarkt-Woche.
HERZlichst: PÖNI PÖnack
kontakt@poenack.de