NAHSCHUSS

PÖNIs: (4,5/5)

„NAHSCHUSS“ von Franziska Stünkel (B + R; D 2019; K: Nikolai von Graevenitz; M: Karim Sebastian Elias; 116 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.8.2021);

„Machen Sie sich keine Gedanken, wir kümmern uns um alles“. SPANNEND. INFORMATIV. Titel = „NAHSCHUSS“. Von FRANZISKA STÜNKEL (B + R); D 2019; 116 Minuten. Bis 1968 wurde in der DDR das Todesurteil mit dem Fallbeil vollstreckt. Weil sich die Guillotine mechanisch als zunehmend fehleranfällig erwies, ging man zu einer sicheren Methode über, die man auch als humaner begriff: den unerwarteten NAHSCHUSS in den Hinterkopf. Am 26. Juni 1981 war Werner Teske der letzte, an dem in der Leipziger Justizvollzugsanstalt im Gebäude des ehemaligen Königlichen Landgerichts die Todesstrafe vollstreckt wurde. Im Erdgeschoss der Leipziger Arndtstraße 48 wurden 64 Menschen hingerichtet, insgesamt wurden in der DDR 166 Personen auf Grund von Urteilen der ostdeutschen Justiz hingerichtet. Offiziell wurde die Abschaffung der Todesstrafe durch den Staatsrat erst am 17. Juli 1987 beschlossen. „Bisher gibt es ein paar Publikationen, die das Thema Todesstrafe in der DDR behandeln. Aber weder in einem Roman noch im Kino ist das bislang thematisiert worden“ (Franziska Stünkel).

Du bist Franz Walter. Sozusagen – der filmische Werner Teske (LARS EIDINGER). „Mit Haut und Haar und Körper und Seele“ (Franziska Stünkel). Du hast gerade an der Humboldt-Universität promoviert. Stehst unmittelbar vor dem Abflug für eine einjährige Studienreise in das sozialistische Äthiopien. Verbringst die letzte Nacht zusammen mit Freundin Corina (LUISE HEYER). Doch dann wirst du angehalten. Kriegst ein – nicht abzulehnendes – Angebot „von Oben“. Sollst, als engagierter, talentierter Nachwuchswissenschaftler, besser „woanders“ dein Berufsleben/deine Aufgabe starten. Motto: Mithelfen, „den Frieden zu sichern“. Beim Auslandsgeheimdienst. Bevor Du, Franz Walter, demnächst die Hochschulkarriere beginnst, als Nachfolger deiner Professorin. Vorher muss aber noch was „Anderes“ getan werden. Gemeinsam mit dem Kollegen, Mentor, Dirk Hartmann (DEVID STRIESOW). Die Aufgabe lautet – den Wut der Chefetagen zu stillen. Thema: Ein guter DDR-Fußballer, Horst Langfeld, hat es gewagt, abzuhauen. Um nun für den Hamburger SV lauthals zu kicken. Der SED-Apparat ist stinkesauer. Will diesen Affront auf gar keinen Fall dulden. Franz und Dirk beginnen mit ihrer Systemarbeit. Zwischendurch heiraten Franz und Corina; bekommen eine geräumige Wohnung zugewiesen. „Du arbeitest im Innern, stimmt’s?“, ahnt Corina. Während bei Franz – „Willkommen in der Familie“ – sich langsam „Unbehagen“ bemerkbar macht.

„Wie verhält man sich als Mensch in einem politischen System? Wie können politische Systeme Menschen  manipulieren? Zwar geht es hier um das politische System der DDR, aber ich habe diese Fragen ganz generell verfolgt. NAHSCHUSS ist auch eine Fallstudie und die Vermutung, dass ein Weg wie der von Franz Walter so oder ähnlich auch in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft möglich ist. Wichtig ist mir eine Übertragbarkeit auf politische Unrechtssysteme im Allgemeinen“ (Franziska Stünkel). „Immer schön mitfeiern“: LARS EIDINGER gräbt sich unaufdringlich, packend, ohne Heldenhaftigkeit, sich dabei zermürbend und verzweifelnd in seinen Franz Walter ein („Niemand kommt dagegen an“). Ein überragender Auftritt eines besorgten Systemsprengers, der sich nicht von seiner Menschlichkeit lösen kann. Lösen will. Und dessen Ende grauenvoll ist. Ebenso grandios – listig – tückisch: der amtlich-private Dirk Hartmann von DEVID STRIESOW: in seiner aalglatten Paroli-Laune, als hibbeliger Aufpasser-Stasi-Kollege von Franz Walter.

Was für ein beachtlich-gedankliches 13. August – Movie. Was für ein starker Film, dem es erstaunlich-überzeugend gelingt, Licht in ein wichtiges Stück deutscher Geschichte zu bringen, das national wie international – bislang – kaum bekannt war. Und von einem starken Ensemble diesbezüglich-großartig bedient wird (= 4 1/2 PÖNIs).

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