NARZISS UND GOLDMUND

PÖNIs: (3/5)

„NARZISS UND GOLDMUND“ von Stefan Ruzowitzky (Co-B + R; D 2018; Co-B: Robert Gold; nach der gleichn. Erzählung von Hermann Hesse/1930; K: Benedict Neuenfels; M: Henning Fuchs; 118 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.03.2020).

Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug  

Während aktuell im englischsprachigen Kintopp der Fokus auf der romantischen Frauenliteratur des 19. Jahrhunderts liegt (zuletzt: EMMA; s. Kino-KRITIK), widmet sich der 59-jährige Wiener und „Oscar“-Preisträger STEFAN RUZOWITZKY (2008 für das KZ-Drama „Die Fälscher“ als „Bester fremdsprachiger Film“; s. Kino-KRITIK) nun einem Bollwerk der deutschen Buchkultur: NARZISS UND GOLDMUND von Hermann Hesse (*02.07.1877 – †09.08.1962) aus dem Jahr 1930. Eine Prosa, bei der es sich nicht nur um den erfolgreichsten Output des deutsch-schweizerischen Autors, Dichters und Malers handelt, sondern die mittlerweile auch weltweit in 30 weitere Sprachen übersetzt wurde. Und nun also ins: Kino. Eine Tatsache, die der alte Hesse mit Sicherheit abgelehnt hätte, da er Verfilmungen generell als einen Vorgang der „Degradierung und Barbarei“ betitelte. Den Vorurteilen zum Trotz entstand nun aber ein Produkt, das entgegen aller Befürchtungen – man merke auf: weitestgehend gelungen ist.

Für all jene, die in ihrer Schulzeit an diesem „Schmöker“ trotzdem vorbeigekommen sind: der grobe Inhalt. Im „fiktiv-angehauchten“ Mittelalter begegnen sich im Kloster von Mariabronn zwei junge Burschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Narziss (SABIN TAMBREA) ist ein asketischer Mönch. Ein ernsthafter Denker, der in der Stille, dem christlichen Leben, dem Zölibat, der Glaubenslehre, oder besser: im Leben für/mit Gott seinen persönlichen Sinn sieht. Und lebt. Ihm gegenüber steht der Künstler und Weltmensch: Goldmund (JANNIS NIEHWÖHNER). Unbedarft und gutaussehend. Aufgeschlossen und neugierig auf das Dasein außerhalb der starren Kirchenmauern. Ein Entdecker und Abenteurer, der nichts auslässt. Vor allem keine Frauen. Er wird zum Bildhauer und Freigeist unterdessen sein „Bruder“ zum Abt aufsteigt. Rund 40 Jahre ihres Weges, meistens von einander getrennt, werden folglich geschildert: durch Erinnerungen und in Querschnitten. Geprägt von: Verlust (der Mutter, der Ehefrau, der Liebe), Zusammenhalt (untereinander), Suche (nach Ursprünglichkeit, den eigenen Wurzeln und einer Bestimmung) sowie dem Konflikt zwischen starrer Religion/Vergeistigung und dem animalischen Fleisch. Der kraftvollen Lust am Frei-sein. Mitsamt aller Leidenschaft und allem Leid. Und schließlich auch: dem Tod.

Zunächst eine gute Nachricht: In dieser deutschen Produktion quält sich KEINER an einem (Gehirn-)Tumor. Stattdessen begegnen wir zwei hervorragenden Schauspielern. JANNIS NIEWÖHNER, bekannt aus der Edelstein-Trilogie nach Kerstin Gier („Rubinrot“/2013; s. Kino-KRITIK; „Saphirblau“/2014; „Smaragdgrün“/2016) beziehungsweise der Sozialstudie „Jugend ohne Gott“ (2016; s. Kino-KRITIK), gibt intensiv und glaubhaft den naiven Träumer, den sensiblen Narren, der nach seinem persönlichen Glück strebt. Nach Zuneigung, Familie und Heimat, derweilen SABIN TAMBREA (zuletzt im Pferde-Cinema mit: „Ostwind – Aris Ankunft“/2019) endlich einen Part erhält, der seinem Können gerecht wird. Viel zu lange als „Klein- und Nebendarsteller“ verbraucht, taucht er hier seelentief ein in die Zwänge eines Kasteiten, der seine eigenen Bedürfnisse zugunsten des „Geliebten“, des Partners, zurückstellt, um diesem Flügel und Selbst-Erfüllung zu schenken. Erhaben in der Kontemplation, dem konzentrierten Betrachten des Geschehens, entwickelt sich seine Darstellung in Mimik und Gestik zu einer herausragenden Leistung, die es durchaus verdient hätte, preislich gewürdigt zu werden. SABIN TAMBREA sollte mit dieser an die Nieren gehenden Interpretation eines Hesse-Heldens nun hoffentlich e n d l i c h Dauerkandidat auf der (deutschen und nicht-deutschen) Besetzungsliste g r o ß e r Regisseure sein. Für die Vorauswahl des Deutschen Filmpreises wurde das Movie ja im Januar – oder vielleicht sogar dann ferner auch speziell er? – bereits nominiert.

Das dramaturgische Modell im Drumherum funktioniert dies ergänzend erstaunlich gut. Sprachlich: aufgrund der Nähe zum Gleichnis-schönen Originaltext (überwacht durch die Hermann Hesse Gesellschaft). Optisch: Durch die verschachtelten Rück-, Seit- und Vorblenden, die eintauchen in die poetisch historisierten Bildaufnahmen von Kameramann BENEDICT NEUENFELLS (ebenfalls: „Die Fälscher“). Zwischen kalten Burgen, hohen Bergen, bunten Wiesen und weiten Feldern wandelnd und bereichert durch detailgetreue Kostüme, die dazu einen passenden „menschlichen“ Rahmen kreieren, der, völlig untypisch für ein deutsches Werk, angenehm auffällt.

NARZISS UND GOLDMUND zeigt: Es ist zwar sehr schwer die „hessische“ Wortgewalt in ein anderes Medium zu transferieren … aber nicht unmöglich. Und auch, wenn es hier und da künstlerische Schwächen gibt – wie triefende Musikuntermalungen, erzählerische Längen oder zu moderne visuelle Aussetzer in Frisuren und Make-up – lautet das kritische Resümee, dass die hiesigen Förderanstalten (u.a. der FilmFernsehFonds Bayern/400.000 Euro; das Medienboard Berlin-Brandenburg/350.000 Euro; die Mitteldeutsche Medienförderung/200.000 Euro, die Deutsche Filmförderungsanstalt/568.400 Euro) ihr Geld zur Abwechslung mal sinnvoll investiert haben. In eine recht gelungene Lichtspielvariante eines zeitlosen (Schrift-)Klassikers. Die Gymnasial-Deutsch-Lehrer wird es freuen… (= 3 „Carrie“-PÖNIs). 

Teilen mit: