FREIES LAND

PÖNIs: (4/5)

„FREIES LAND“ von Christian Alvart (Co-B; K + R; D 2018/2019; Co-B: Sigfried Kamml; nach dem spanischen Film „La Isla Mínima -Mörderland“/2014; M: Christoph Schauer; 128 Minuten; deutscher Kino-Start: 09.01.2020); die originale Vorlage, der spanische Thriller „La Isla Mínima“ von Alberto Rodriguez (s. Kino-KRITIK), war 2016 mein Besten-Film des Jahres. Spielte in Andalusien im Herbst 1980, fünf Jahre nach dem Tod des Diktators Franco, dessen faschistischer Geist wie Strukturen immer noch in der Provinz herum-spukten.

CHRISTIAN ALVART, Jahrgang 1974, gehört zu den wenigen Filmemachern im Lande, die Mut und Traute besitzen, sich dem deutschen Genre-KINO-Film zu nähern. Spröde angefangen mit „Antikörper“ (s. Kino-KRITIK) und „Banklady“ (s. Kino-KRITIK), um sich dann um die Til Schweiger-„Tatort“-Folgen zu kümmern, einschließlich des „Tatort“-Kinofilms „Tschiller: Off Duty“ (s. Kino-KRITIK). Mit „Steig. Nicht. Aus!“ lieferte Alvart 2018 sein erstes Meister-Spannungsstück ab (s. Kino-KRITIK). Um den Film-danach, die Sebastian Fitzek-Roman-Adaption „Abgeschnitten“ (s. Kino-KRITIK), völlig in den Blut-Sand zu setzen. Mit „Freies Land“ gelang ihm ein erstaunliches Zusammengehen von Thriller-Wucht mit intelligent eingebundener deutsch-deutscher Wendepolitik. Als exzellentes Spannungsmovie.

Diese schnurgeraden engen holprigen Straßen. Wo plötzlich Kühe auftauchen und den Weg versperren. „Landsleute bleibt hier“, schreit ein Graffiti: der wilde Osten. Diese beunruhigende, aufwühlende Nerven-Musik, eine Art choraler Männergesang, an die Signal-Klänge von John Carpenter aus „Assault – Anschlag bei Nacht“ erinnernd. Dazu diese mystisch anmutenden Luft-(Drohnen-)Bilder – Christian Alvart war auch für die Bildgestaltung zuständig –  Marke: schaut auf diese Tristesse. Dieser Region. Seht auf diesen Schiffsfriedhof. Auf die gewaltige Kläranlage mit den „tanzenden“ Becken, worüber mächtiger Dampf mitten hinein in die Winterluft spuckt; blickt auf die abgefuckte (ehemalige VEB-)Fabrik, wo gerade (vergeblich) gegen Lohnkürzungen protestiert wird. Im Sinne von: Hier ist mehr zerstört denn lebendig. Mehr kaputt denn zivil-existierend.

1992. Der Spätherbst im Landkreis Löwitz. In Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Schwestern sind spurlos verschwunden. Zwei polizeiliche Aufklärer werden beauftragt. Markus Bach (FELIX KRAMER), der Einheimische, aus Görlitz stammend, der mal bei der Stasi war, wie es heißt, und der Hamburger Patrick Stein (TRYSTAN PÜTTER). Der nur ungern hierher „gereist“ ist, seine Frau erwartet das erste Kind. Zusammen sollen sie so diskret wie möglichst schnell herausfinden, was passiert ist. Dabei tendiert ihrer beider Wellenlänge gen null. Die verbliebenen Einwohner-hier zeigen sich missmutig, misstrauisch und verschlossen. Wollen „mit der ganzen Scheiße“ nichts zu tun haben. Zu sehr haben sie die versprochenen „blühenden Landschaften“ innerlich leer und wütend werden lassen. Und die beiden Bullen tun sich auch schwer, miteinander halbwegs „zu kommunizieren“. Miteinander klar-zu-kommen. Markus & Patrick oder: das Aufeinanderprallen von grundverschiedenen deutsch-deutschen Lebensläufen. Konträre Ansichten von „praktischer Aufklärung“. Dann werden die Mädchen entdeckt. Brutal ermordet. Und es stellt sich heraus, dass weitere junge Frauen „abhanden“ sind. „Hier wollen doch alle jungen Leute weg“, heißt es. Wenn es darum geht, dass sich kaum jemand dafür näher interessiert(e). Gerne wegschauen ist an der Tages- wie Nacht-Ordnung. Bald ist klar, ein Serienmörder treibt hier sein übles Spiel. Die Anspannung wächst. Und der Polizei-Boss fordert endlich beweissichere „Ergebnisse“. Aber natürlich: mit aller gebotenen „Vorsicht“. Von wegen – es gilt, auch dieses seelische Brachland unbedingt zu beachten. Einzubeziehen.

Zwei Wege. Die Jagd nach dem Täter. Dabei beziehungsweise währenddessen: diese elenden Ausmaße der fehllaufenden gesellschaftlichen Umwälzungen. Wo fast alles nur noch Schrott ist. Mechanisch wie (zwischen-)menschlich. Die Emotionen schwanken zwischen Angst und Stillstand. Zwischen Wut und Resignation. Unsicherheit und Besäufnis. Wie in einem solch kranken „Milieu“ überhaupt existieren? Und offiziell ermitteln? Diese unverbrauchten Gesichter von FELIX KRAMER und TRYSTAN PÜTTER sind ein Ereignis. Sumpf-Typen allerbester Outlaw-Schnüffler-Qualität.

„Freies Land“ ist ein zutiefst spannender, großartiger Thriller. Im Außen fantastisch atmosphärisch-wirkungsvoll, im Innern von einer latenten wie lakonischen Verstörung. Mit wüstem Bedrohungs-Charme. Ein außerordentlich beeindruckender, emotional packender deutscher Spannungsfilm (= 4 PÖNIs).

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