MOTHERLESS BROOKLYN

PÖNIs: (3,5/5)

„MOTHERLESS BROOKLYN“ von und mit Edward Norton (B + R; nach dem gleichn. Roman von Jonathan Lethem/1999; USA 2018; K: Dick Pope; M: Daniel Pemberton; 145 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.12.2019).

Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug

Der Mensch: EDWARD NORTON. Geboren am 18. August 1969 in Boston als „Edward Harrison Norton“. Aufgewachsen in Columbia/Maryland als ältester Bruder von drei Geschwistern. Sohn eines populären Rechtsanwalts, der u.a. für den ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter aktiv war, sowie einer Lehrerin, die 1997 an einem Gehirntumor verstarb. Und somit den Hollywood-Aufstieg ihres Sohnes nur kurz miterlebte. Denn er wurde erst ab 1996, nach einem Geschichtsstudium in Yale, berühmt. Als Mime, dessen Darstellungen bis heute immer wieder unter die Haut gehen. Also…

Der Schauspieler: EDWARD NORTON. Unfassbar. Gut. Brillant. Professionell. Nahezu in j e d e r Rolle, die er bisher verkörperte. Er wertet sie auf. Wartet auf mit einem begnadeten Talent sich in die verschiedensten Charaktermerkwürdigkeiten einzudenken. Einzufühlen. Verquere Figuren: seine Spezialität. Bereits, zum Beginn seiner Karriere, spielte er etablierte Größen wie Richard Gere in dem Gerichtsthriller „Zwielicht“ (1996) an die (Knast-)Wand; Anthony Hopkins hielt er 2002 in dem Hannibal-Lecter-Movie „Roter Drache“ locker die (Gitter-)Stange und Michael Keaton trieb er 2014 in dem Bühnen-Filmdrama „Birdman“ mit seinem Können in den „Wahnsinn“ (s. Kino-KRITIK). Andere Sternstunden wie – unvergessen – das amerikanische Nazi-Aussteigerdrama „American History X“ (1998); natürlich: „Fight Club“ (1999) von Spannungsmeister David Fincher; „The Illusionist“ (2006; s. Kino-KRITIK); sein Ausflug in die Comic-Welt als „Der unglaubliche Hulk“ (2008; s. Kino-KRITIK) oder in das Action-Genre mit „Das Bourne Vermächtnis“ (2012; s. Kino-KRITIK) nicht mitgerechnet. Dreimal für den „Oscar“ als „Bester Nebendarsteller“ nominiert („Zwielicht“; „American History X“; „Birdman“). Aber nie gewonnen. So geht er neue Wege als…

Der Regisseur: EDWARD NORTON. Bisher mit dem alleinstehenden Werk „Glauben ist alles!“, einer romantischen Filmkomödie aus dem Millennium über Religion und Liebe, eher inhaltlich unter dem Radar geblieben. So entsteht…

Der Drehbuchautor: EDWARD NORTON. Dieser feiert hier mit MOTHERLESS BROOKLYN sein Debüt. Als Grundlage diente ihm dabei der gleichnamige Roman von Jonathan Lethem. Erschienen 1999. Dessen Handlung versetzt er allerdings aus den frühen 70ern in ein New York der 1950er Jahre. Im Mittelpunkt steht der am Tourette-Syndrom erkrankte Privatdetektiv Lionel Essrog (Edward Norton). Einerseits existiert sein krankhafter „Mangel“, in Form von Ticks, wie sinnlose Wortverdrehungen, unkontrollierte Beschimpfungen oder das zwanghafte Anfassen von Dingen und Menschen; andererseits resultiert daraus aber auch seine „Stärke“. Denn: Lionels nützlichste Fähigkeit ist das schnelle Abspeichern von Zahlen und Fakten in seinem Gedächtnis. Er vergisst nichts. Ist intelligent. Scharf im Verstand. Genau deswegen adoptierte ihn einst auch sein Chef, Frank Minna (Bruce Willis), aus einem Waisenhaus für „besondere“ Fälle, gab ihm den Spitznamen „Mutterloser Brooklyn“ (= der Filmtitel und sein Geburts-/Fundort) und nahm ihn unter seine Fittiche. Bildete ihn aus. Als eines Tages dieser Mentor, sein einziger Freund, ermordet wird, beginnt Lionel auf eigene Faust zu ermitteln. Abzutauchen in eine düstere Großstadt, an deren Tatorten, in deren Schatten eine schockierende Wahrheit lauert. Alles stilistisch getaucht in…

Das Lieblingsgenre von: EDWARD NORTON: der Film noir. Eine pessimistische, zynische Weltsicht aus US-amerikanischen Kriminalfilmen um 1950. Inspiriert von der deutschen, expressionistischen Stummfilmära. Angereichert mit hartgesottener Literatur. Schonungslos skrupellosen Typen. Gekennzeichnet durch: Farblosigkeit, Dunkelheit, Hutkrempen, Nebel, Trenchcoats, Oldtimer und einen poetischen Realismus („Die Spur des Falken“/1941 mit Humphrey Bogart kommt in den Sinn), in dem sich ein einsamer Held, (meist) an den Gesetzten vorbei für Gerechtigkeit – und eine schöne Frau – einsetzt. Die heißt hier: Laura Rose und wird gespielt von der eleganten Gugu Mbatha-Raw (Serienstar aus „Black Mirror“ und aktuell als Stimme der Gelfling-Prinzessin Seladon im Netflix-Puppenanimationshit „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“ zu hören). Wohnhaft in den Jazz-Clubs von Harlem, den Slums von Brooklyn, unter deren Betonhaut erschütternde Fakten vergraben sind, die sowohl das Gangster-Milieu, als auch die Politik mitsamt ihren sozialen Strukturen erschüttern. Geführt von einem bemerkenswerten Personal. Mit eindrucksvollen Persönlichkeiten…

Das Ensemble von: EDWARD NORTON. Zwei wurden schon genannt. Die „Liebeskomplizin“ Laura Rose alias Gugu Mbatha-Raw und der „Testosteron-Boss“ Frank Minna alias Bruce Willis. Hinzukommen der großartige Willem Dafoe (aktuell auch mit dem Horror-Knüller „Der Leuchtturm“ im Programm; s. Kino-KRITIK) und der fantastisch-fiese Alec Baldwin als ungleiches Brüderpaar Paul und Moses Randolph. Die kräftig in der Abschaum-Moral mitfischen und -mischen. Leider gibt es…

Das Problem von: EDWARD NORTON. Zu konstruiert. Zu gewollt. Zu bemüht, kommt die zweite Filminszenierung des 50-jährigen Amerikaners daher. Unausgegoren. Langatmig. Der Spannungsboden gelingt ihm nicht. Wie die Kugel im berühmten (Knarren-)Lauf bleibt die Story stecken, anstatt dynamisch loszugehen. Loszulegen. Loszuknallen. Mit voller Konsequenz an: Kopf, Herz, Nieren. Viel zu sehr auf die Atmosphäre und die schrägen Sonderlinge bedacht, die sich mit ihren jeweiligen Spleens, sein sie emotional oder körperlich, aus dem Moloch heraus- oder in ihm herumschlagen. Innerhalb einer Erzählung, die er, EDWARD NORTON, an seinem übermächtig ausgestreckten Schauspielerarm verhungern lässt.

MOTHERLESS BROOKLYN wurde womöglich nicht von einer Mutter, sondern eher von einem unfokussierten Regie-Vater im Stich gelassen. Ist vielleicht zu viel Marke: EDWARD NORTON. Dennoch: Auch ein mäßiger EDWARD bleibt ein NORTON, der vor allem als Akteur jederzeit einen Blick wert ist (= 3 ½ „Carrie“-PÖNIs; …mit der Empfehlung, aufgrund des hervorragenden Casts die englische Originalversion anzuschauen).

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