DAS BOURNE VERMÄCHTNIS

PÖNIs: (4/5)

„DAS BOURNE VERMÄCHTNIS“ von Tony Gilroy (Co-B + R; USA 2011/2012; Co-B: Dan Gilroy; inspiriert von der „Bourne“-Romanreihe von Robert Ludlum, nach Motiven des gleichn. Romans von Eric Van Lustbader; K: Robert Elswit; M: James Newton Howard; 135 Minuten; deutscher Kino-Start: 13.09.2012); besser ist es, die Vorläufer zu kennen: „Die Bourne Identität“ (2002; s. Kino-KRITIK), „Die Bourne Verschwörung“ (2004; s. Kino-KRITIK) sowie „Das Bourne Ultimatum“ (2007; s. Kino-KRITIK). Zu Hintergründen, Figuren, Entwicklungen verweise ich auf meine dortigen Texte. Nach dem Tod des „Bourne“-Autoren Robert Ludlum (*1927 – †2001) übernahm es der amerikanische Fantasy- und Thriller-Autor ERIC VAN LUSTBADER, Jahrgang 1946, die so erfolgreiche Bourne-Serie fortzuschreiben, zunächst basierend auf unveröffentlichtem Material Ludlums. Der erste Nach-Ludlum-Roman hieß „The Bourne Legacy“/“Das Bourne Vermächtnis“ und erschien 2004. Und bildet jetzt den Anfang einer weiteren Bourne-Trilogie.

Der am 11. September 1956 in New York geborene Produzent und Drehbuch-Autor TONY GILROY war als Drehbuch-Verfasser oder Drehbuch-Co-Autor an allen drei Vorläufern beteiligt. Seit 2007 ist Tony Gilroy auch als Regisseur tätig. Und setzte gleich mit seinem Regie-Debüt „MICHAEL CLAYTON“ (s. Kino-KRITIK) neue intelligente Spannungsmaßstäbe; „Michael Clayton“, mit George Clooney in der Titelrolle, wurde weltweit „hoch“ gehandelt, bekam „Oscar“-Nominierungen, und für die faszinierende Nebenakteurin Tilda Swinton gab es die „Oscar“-Trophäe“. „Duplicity – Gemeinsame Geheimsache“ (s. Kino-KRITIK), mit Clive Owen, Julia Roberts, Tom Wilkinson und Paul Giamatti war 2009 der zweite raffinierte Spannungsstreich von Tony Gilroy. Dessen Genre-Werk jetzt mit der Fortführung einer der erfolgreichsten Filmserien überhaupt (mit rd. 1 Milliarde Dollar Einnahmen weltweit) geadelt wird.

Zur Erinnerung: Die USA sind seit den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 „außer Rand und Band“. Von wegen Sicherheit, Sicherheitsparanoia, gemischt mit Hysterie und Verfolgungswahn. Die Gier nach „verbesserten einheimischen Kriegern“ ist enorm. Waren über Jahrzehnte CIA und FBI die wahren – und einzigen – Staatsbeschützer, so haben sich längst und jenseits öffentlicher Sichtweite „weitere staatliche Sektionen“ gebildet. Etabliert. Die vor allem das Eine im Ziel-Auge haben – noch „perfektere“ Agenten auszubilden. Besser – „herzustellen“. Willfähige Soldaten. Mit mehr Energiereserven, einer höheren Schmerztoleranz und weniger Schlafbedürfnis. Sozusagen, es wird permanent an einem endlich perfekten Agenten „gebastelt“, der schneller heilt, schneller lernt und schneller Informationen verarbeitet. Also schneller begreift. Unverzüglich alles mitbekommt. Aufnimmt. Umsetzt. Umzusetzen versteht. Ohne Fragen zu stellen. Dabei sitzen Behörden, Pharmaindustrie und Medizinforschung gemeinsam im Agentenerschaffungs-Boot.

JASON BOURNE war solch ein „hergestellter“ Kämpfer. Über das sogenannte „Treadstone-Programm“ wurde er „geschaffen“. Pech nur für die Verantwortlichen, dass Jason irgendwann mal „Gedanken bekam“. Wissen wollte, wer er eigentlich ist und wofür er „gebraucht/gehandelt“ wird. Jason lief also voll aus dem Hochtechnik-Ruder und geriet in die brutale Schusslinie seiner Erschaffer. Beziehungsweise von deren Helfershelfern. Zuletzt aber konnte er mit dafür sorgen, dass diese illegalen Regierungs-Machenschaften und mörderischen Aktivitäten öffentlich wurden. Danach verschwand er. Für immer? Am Anfang von „Das Bourne Vermächtnis“ ist die Rede davon, dass Jason Bourne lebt. Und sich in New York aufhalten soll. Und, wir erfahren: Das „Treadstone-Programm“ existiert nun nicht mehr. Wurde aufgelöst. Doch „Treadstone“ war nur der Anfang. Für längst „höhere“, längst ebenfalls aktive Programme. Die nun durch die Enttarnung von „Treadstone“ in Gefahr geraten, ebenfalls bekannt zu werden. Wie ein Programm namens „Outcome“. Deshalb wagt sich jetzt Colonel Eric Byer (EDWARD NORTON), Direktor der Geheimorganisation NRAG (National Research Array Group), aus seiner Deckung. Anders als die Treadstone-Agenten wurden die Outcome-Agenten für Einsätze des Verteidigungsministeriums entwickelt. Und trainiert. Sie sind also mehr als nur Auftragskiller (wie Jason Bourne), sie wurden erschaffen, um in isolierten, hochriskanten und langfristigen Spionagemissionen eingesetzt zu werden. Und: Die Verhaltensforschung, die als Basis der Treadstone-Agenten angewendet wurde, ist inzwischen weit fortgeschritten. SEHR weit fortgeschritten. Es wird jetzt mit „simplen Farbpillen“ gearbeitet, um diese „staatlichen Menschen-Maschinen“ „bei Laune“ zu halten. Ruhig zu stellen. Und gegebenenfalls sofort „patriotisch hochzufahren“. Doch beide Programme gehen halt auf den gleichen Ursprung zurück. Man könnte DEM also jetzt auf die Schliche kommen. Spuren „davon“ entdecken. Und genauso wie „Treadstone“ öffentlich bekannt machen. Also ordnet Colonel Byer die Vernichtung/Zerstörung des „Outcome“-Universums an. Jeder, der hieran „draußen“ mitgewirkt hat, soll unverzüglich vernichtet werden. Schnell und vor allem „ruhig“. Aber auch „intern“ sind „Lösungen“ vorgesehen. Denn auch die „unwissenden“ Wissenschaftler bilden natürlich letztendlich Risiken. Sind „Gefahrenpotenzial“. Für die Mächtigen. Wie zum Beispiel Dr. Marta Shearing (RACHEL WEISZ), die einen hochdotierten Labor-Job innehat und sich nun von einem plötzlich schießwütigen Kollegen attackiert sieht. Marke: Die Forschung „frisst“ ihre Kinder. Auf.

Von all dem bekommt Aaron Cross (JEREMY RENNER) – noch – nichts mit. Fernab der Zivilisation trainiert der Abkömmling aus dem „Outcome“-Zirkel im eisigen Alaska. Erweist sich als überlebensfähiger, „harter Hund“. Als gestandener Survival-Typ, der sogar mit Wölfen „nützlich“ umzugehen weiß. Nähert sich „dabei“ mehr und mehr „seinen Erschaffern“. DIE ihn natürlich längst „über den Jordan“ sehen. Wollen. Und natürlich aufgebracht sind, als dies nicht gelingt. Gelingen will. Denn ähnlich wie bei Jason Bourne haben SIE IHN ja gerade mit d e n Fähigkeiten „erbaut“, ausgestattet, mit denen er sich jetzt zur Überlebenswehr setzt. In seinem Schlepptau dann auch: Die völlig aufgelöste Frau Doktor, die lange nicht weiß, wem sie überhaupt noch trauen kann, vertrauen darf. Während im großräumigen Hintergrund die weltweit vernetzten Mächtigen alles daran setzen, diese letzten verbliebenen „Outcome“-Aktivsten endgültig auszuschalten.

Tony Gilroy lässt sich herrlich Zeit. Packt nicht gleich „vieles“ in die erste Stunde, sondern hält die Spannung durch rätselhafte Bewegungen immens hoch. Wer ist wer, irritierende Ortswechsel, der faszinierende technische Zinnober. Als verlockendes, überraschendes Warm-up. Bei dem Entsprechendes erst einmal angegangen, stimmungsvoll entwickelt werden will. Gilroy belästigt dabei nicht mit diesen Zitter-Bildern eines Paul Greengrass, wie zuletzt in „Das Bourne Ultimatum“, sondern signalisiert Suspense mit Köpfchen. Tiefe. Zusammenhänge. Und lässt erst nach einer Dreiviertelstunde Aaron Cross „reifen“. Eine köstliche Thriller-Overtüre. In der die Gegner ihre Positionen andauernd wechseln. Müssen. Um dann „loszulegen“. Nicht blindwütig, dauer-ballernd, sondern mit logischer Action-Erkenntnis. Und mit viel Power-List.

JEREMY RENNER, 41, aus Modesto/Kalifornien stammend, hatte eindrucksvolle, „Oscar“-nominierte Auftritte in den Filmen „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ (2009) sowie „The Town – Stadt ohne Gnade“ (2010). In den Comic-Movies „Thor“ und „Marvel’s The Avengers“ war er zuletzt der Bogenschützen-King „Hawkeye“. Als Aaron Cross ist er KEIN Jason Bourne-Ersatz. Sondern ein anfangs stark verunsicherter wie dann ein mehr und mehr selbstbewusster, interessanter, starker Typ-Kämpfer. Mit DEM gespielt wird, der aber keine Schachfigur mehr sein will. Jeremy Renner als charismatischer, wütender Aaron Cross tritt wie der jüngere Soft-Bruder von 007 James Bond Daniel Craig eingangs auf. Und an. Nicht großkotzig, brutal-blind, sondern sich erst und lange vehement wehren müssend. Weil er immer mehr attackiert wird. Als menschlicher „Systemfehler“. Um dann natürlich selber anzugreifen. Dem Höllen-Spuk ein Ende zu bereiten. Als er schließlich im Moloch Manila in die Enge getrieben wird, vermag er sich, unterstützt von Marta, phantastisch zu wehren. Zu behaupten. (Diese grandiose viertelstündige Action-Sequenz besitzt den klassischen Radau-Charme von „Bullitt“ und die heiße Jagd-Faszination von „French Connection“.) Währenddessen „DIE OBEN“ mit ihrer gigantischen Überwachungs- und Kontroll-Technik einem „Großen Bruder“ aus dem George Orwell-Roman „1984“ alle widerliche Zeit-Ehre machen. Und mit Star-„Vertretern“ wie EDWARD NORTON, dem guten alten STACY KEACH („Fat City“/1972) und mit dem beeindruckend cholerischen DENNIS BOUTSIKARIS als Mr. Ward, einem „verwunderten“ Lobbyisten der Pharmaindustrie sowie mit dem alteingesessenen Bourne-Altkader, bestehend aus Joan Allen, Albert Finney, David Straihairn und Scott Glenn, in Kurzauftritten ausdrucksvoll besetzt sind.

Der Anfang der weiteren Bourne-Trilogie jedenfalls ist vollauf geglückt. In Gedanken, Figuren, Optik. In den inneren wie physischen Bewegungen. In den brillanten Action-Motiven. Als atmosphärische, faszinierende Dauerspannung. James Bond hat in und mit „Bourne“ wieder eine exzellente Agenten-Konkurrenz (= 4 PÖNIs).

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