THE KINDNESS OF STRANGERS – KLEINE WUNDER UNTER FREMDEN

PÖNIs: (4/5)

„THE KINDNESS OF STRANGERS – KLEINE WUNDER UNTER FREMDEN“ von Lone Scherfig (B + R; Dänemark/Kanada(Schweden/Fr/D 2018; K: Sebastian Blenkov; M: Andrew Lockington; 115 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.12.2019); der diesjährige Berlinale-Eröffnungsfilm fiel zwar nicht gänzlich durch, aber viele von der kritischen Presse waren doch „pikiert“. Von wegen – „Entsetzen“ wegen zu vieler Emotionen. Gar allzu vielem Zuckerguss. Was natürlich ein Berlinale-Eröffnungsfilm keinesfalls haben soll. Nicht enthalten darf. Also: Zu wenig problemlos zu sein. Mir dagegen gefiel dieser außergewöhnliche Empathie-Film außerordentlich gut, gerade weil er couragiert-POSITIV über Nächstenliebe und Barmherzigkeit erzählt. Als zielgerichtetes, unterhaltsames Plädoyer für Humanität. Im Kleinen wie im Großen. Mit großem Positiv-Atem.

Clara (ZOE KAZAN), haut aus Buffalo, knapp 500 Kilometer nordwestlich von New York, ab. Gemeinsam mit ihren beiden kleinen Söhnen Anthony (JACK FULTON) und dessen jüngerem Bruder Jude (FINLAY WOJTAK-HISSONG). Ihr Ziel: Die große anonyme Stadt New York. Dort will sich Clara vor ihrem gewalttätigen Ehemann, einem Polizisten, verstecken. Doch die 26-jährige hat weder Geld noch kennt sie dort irgendjemanden, der ihr fürs Erste aus der Klemme helfen kann. Was aber macht man, wenn man keine Unterkunft hat, friert und ständig Hunger hat? Man lernt: zu tricksen.

Alice (ANDREA RISEBOROUGH) ist barmherzige, helfende Krankenschwester, die selbstverständlich Doppelschichten übernimmt, wenn Kolleginnen ausfallen, eine Therapie-Gruppe leitet und bei der Armenspeisung ehrenamtlich aushilft. Deshalb kommt ein privates Leben für Alice nicht in Frage. Aber einen allzu unglücklichen Eindruck macht Alice dennoch nicht.

Marc (TAHAR RAHIM) saß vier Jahre unschuldig im Gefängnis. Sein Anwalt John Peter (JAY BARUCHEL) hat ihn schließlich herausbekommen. Marc kriegt die Chance, wieder in seinem Beruf als Küchenchef zu arbeiten. Im russischen Restaurant Winter Palace, das von einem seltsamen Melancholiker namens Timofey (BILL NIGHY) mehr oder weniger geleitet wird.

Jeff (CALEB LANDRY JONES) ist ein Loser. Was immer auch der junge Bursche anpackt, anzupacken versucht, läuft schief. Niederlagen und Demütigungen sind ein starker Bestandteil seines trüben Lebens. Um halbwegs zu überleben. Dennoch gibt er nicht auf.

Irgendwie laufen alle erzählerischen wie menschlichen Fäden hier, bei dieser „Freundlichkeit von Fremden“, zusammen in dieser eher einem Palazzo ähnelnden Schicksalsstätte „Winter Palace“. Wo eine vergleichsweise sanfte Atmosphäre herrscht im Gegensatz „zum Draußen“. Wo Mitgefühl und Anteilnahme zumindest probiert werden. Nicht von vorne herein ausgeschlossen sind. Doch dann taucht Richard (ESBEN SMED), der aggressive Ehemann von Clara, auf. Will Kinder und Frau „zurückhaben“.

Ende der Neunziger Jahre war die dänische Filmemacherin LONE SCHERFIG – gemeinsam mit Kollegen wie Thomas Vinterberg und Lars von Trier – Mitbegründerin der „Dogma“-Bewegung. 2001 gewann sie auf der Berlinale mit „Italienisch für Anfänger“ den „Silbernen Bären“. Danach entstanden – internationale – Werke wie „Wilbur Wants to Kill Himself“ (2002/s. Kino-KRITIK); „An Education“ (2009/s. Kino-KRITIK) und „The Riot Club“ (2014/s. Kino-KRITIK). Mit ihrem Lieblings- und Dauerthema – sich um einsame Seelen, Solidarität und Freundschaft zu kümmern. Wie hier. Auch. Während sie immer wieder auf die „anonymen Menschenwanderungen“ auf den Straßen von New York blickt, stellt sie einige „lebendig werdende“ Protagonisten vor, deren Umgang mit- und zu- und untereinander nicht brutal ist, sondern auf den humanitären Umgang setzt. „Für Wunschträume ist das Kino schließlich überhaupt erst erfunden worden“, schrieb Kritiker David Steinitz (am 8. Februar 2019) über die „Attacken“ gegen das Happy-End hier in der „SZ“. Recht hat er.

Das Ensemble ist Zum-Schwärmen-Gut. ZOE KAZAN, über Filme wie „Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin“ (s. Kino-KRITIK) und „The Big Sick“ (s. Kino-KRITIK) auch hierzulande geschätzt, besitzt als Alice feinen weiblichen Charlie Chaplin-Charme. Und einen misslungenen Auftritt von BILL NIGHY („Radio Rock Revolution“) gab es sowieso noch nie. Geht gar nicht.

HERZ ÖFFNET SICH: „The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden“ ist einfühlsam, angenehm emotional und absolut: liebenswert (= 4 PÖNIs).

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