ENFANT TERRIBLE

PÖNIs: (4/5)

„ENFANT TERRIBLE“von Oskar Roehler (D 2019; B: Klaus Richter; K: Carl-Friedrich Koschnick; M: Martin Todsharow; 135 Minuten; deutscher Kino-Start: 1.10.2020; Heimkino: ab 12.3.2021);

Stammt aus dem Französischen und bedeutet wörtlich: „schreckliches Kind“, sinngemäß also „Familien- oder Bürgerschreck“. Der robuste Herrscher über Kunst und Kulturpersonal heißt: RAINER WERNER FASSBINDER (*31. Mai 1945 – †10. Juni 1982). Die sagenhafte Karriere: Er wurde nur 37 Jahre alt, schuf als Regisseur, Schauspieler, Drehbuch-Autor, Produzent und Dramatiker und Komponist = über 40 Spielfilme, zwei Fernsehserien (zum Beispiel: „Acht Stunden sind kein Tag“/1972) und drei Kurzfilme. Er verfasste = 24 Theaterstücke und produzierte 4 Hörspiele. 1967, so beginnt der 135-minütige Film, stürmt er die Bühne des antiteaters in München. Übernimmt die Inszenierung. Und adoptiert gleich auch das Ensemble. Seine Tonart ist rüde („Ich bin die intensivste Beziehung, die Du jemals haben wirst“); und schnell schart der absolut undiskrete wie unmissverständlich fordernde Befehls-Typ zahlreiche Schauspielerrinnen (wie Gudrun/KATJA RIEMANN), Selbstdarsteller (Kurt Raab/HARY PRINZ) und Liebhaber um sich. Um „zu beweisen“: ICH. Fassbinder legt los. Mit einem höllischen Tempo ist er als Diktator produktiv. Wer ihm „schief“ kommt, widerspricht, eine Gegenmeinung wagt, wird zusammen-geschissen. „Ich provoziere ganz gerne. Sonst rührt sich nämlich nichts“. Und er weiß natürlich: „Die Ehe ist verlogen; darüber gehen alle meine Filme“. Um sogleich amüsiert auszuflippen: „Ihr habt alle Angst, Euch dreckig zu machen. Aber einer muss hier das Arschloch sein“. Zudem: „Vorsicht ist ein Prokurist“. Denn: „ALLES IST FILM!“. Konventionen – lächerlich. Regeln sind – was ICH sage, mache, tue. „Leute, die sich von mir abhängig machen, gehen mir auf die Nerven“.  Fassbinder polarisiert: beruflich wie privat. Natürlich kennt diese permanente Arbeitswut, die körperliche Selbstausbeutung, mit einem immer umfangreicher gierigen Drogenkonsum, keinen Stopp. Der tägliche sadomasochistische Rhythmus mit viel Alkohol und Sex – gerne auch umgekehrt – dominiert. Führt zum gigantischen Lebens- und Liebes-Dauerausrasten. Was ist DIESER Rainer Werner Fassbinder für ein Arschloch-Genie. Nach dem jetzt alle Welt tönt. Weil er doch so einen sagenhaften-  erfolgreichen – prächtigen Künstler bietet.

Wenn der Film beginnt, zeigt der Film eine Liedzeile des Chansons von Jeanne Moreau, die aus Fassbinders letztem Streifen „Querelle“ stammt: „EACH MAN KILLS THE THING HE LOVES“, seinerseits ein Zitat aus Oscar Wildes letzter „Ballade of Reading Gaol“. „ENFANT TERRIBLE“, der 15. Kinospielfilm des am 21. Januar 1959 in Starnberg geborenen Autoren-Regisseurs OSKAR ROEHLER, einst mit Filmen wie „Die Unberührbare“ begeisternd (s. Kino-KRITIK) und „Lulu & Jimi“ Spaß verbreitend (s. Kino-KRITIK) und mit „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ auffallend (s. Kino-KRITIK), interessiert sich weniger – oder nur begrenzt –  für die Protagonisten um Fassbinder, sondern mehr für den „Inneren“, den privaten „Schmutzfinken“. Wie DER in seinem Biopic-Universum den Ton vorgibt und seine Bandbreite austobt, ist irre: vom urigen, erfolgreichen Filmemacher über den nach Liebe trunkenen Lover bis hin zum radikalen, unerbittlichen Schikanen-Häuptling. Dass dies so überragend faszinierend funktioniert, liegt am ebenso überragenden faszinierenden Auftreten von OLIVER MASUCCI, der sich – als 51-jähriger (geboren am 6. Dezember 1968 in Stuttgart) – in die jugendliche Fassbinder-Dynamik begeisternd-stürmisch hinein-seelt. Masucci, neulich in „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ (s. Kino-KRITIK) mitlaufend und 2015 den wiedergeborenen Hitler in „Er ist wieder da“ mimend (s. Kino-KRITIK), kriegt diese Mixtur aus Selbstgefälligkeit und emphatische Auswürfe auf den wahnsinnig-frohlockenden Seelenpunkt präzise hin. Er spielt nicht nur Rainer Werner Fassbinder, er ist DER. Der sein Fußvolk sadistisch schikaniert und stolz wegwirft, wenn es ihm in den Kram passt. Um sich umgehend seinen Anhängern zu widmen, die ihm vertrauen. Verehren. Die ihm folgen. „ENFANT TERRIBLE“ oder – Was für eine bärenstark-wüste Ferkel-Show (= 4 PÖNIs).

Teilen mit: