PÖNIs: (4/5)
„Dumbo“ von Tim Burton (USA 2017/2018; B: Ehren Kruger; nach Motiven des Romans „Dumbo, the Flying Elefant“ von Helen Aberson und Harold Pearl/1939 sowie des gleichn. vierten abendfüllenden Disney-Zeichentrickfilms „Dumbo“/1941; K: Ben Davis; M: Danny Elfman; Original-Song: „Baby Mine“ von Frank Churchill/Musik und Ned Washington/Text); 112 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.03.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
Seit jeher fühlt sie sich an wie eine Art Hass-Liebe: die Beziehung zwischen Tim Burton und Walt Disney. Basierend auf einer düsteren Vergangenheit, aber gegenwärtig verbunden durch ein gemeinsames Interesse an Märchen. Geschätzt von der Schloss-Logo-Firma aufgrund ihrer gut-verkäuflichen Moral; von Burton geliebt wegen ihrer abstrakten Form. Als Umgestaltung unserer Normalität und deren Bedeutung, die auch er gerne ad absurdum führt. Früher hauptberuflich als Zeichner. Heute als Regisseur. Doch bis hierhin war es ein harter Weg. Nachdem der junge Visionär in den 80ern zunächst die berühmten Zeichentrickstudios verließ (sie hatten seine Fuchs-Skizzen zu „Cap und Capper“ mit LKW-Unfallopfern verglichen), dauerte es fast 30 Jahre bis der verlorene Sohn mit „Alice“ 2010 wieder ins (Disney-)Wunderland zurückkehren durfte (s. Kino-KRITIK). Sein Talent zwar (an-)erkennend, aber doch stark von den Produzenten „ausgebremst“. Erst 2012 erlangte Timothy „Tim“ Walter Burton mit FRANKENWEENIE (s. Kino-KRITIK sowie Gast-Kino-KRITIK) seine volle künstlerische Freiheit innerhalb der Studios zurück. Einen Ort, den er bis heute mit viel bitter-süßem Sarkasmus betrachtet. Der kommerzielle Erfolg seiner Alice-Adaption jedoch, brachte ihn 2017, im Zuge des aktuellen Realverfilmungswahns beliebter Klassiker (zuletzt desaströs: MARY POPPINS`RÜCKKEHR (2018)/s. Kino-KRITIK), ein drittes Mal zurück zum Mickey-Mouse-Zirkus. Als Mentor von DUMBO, d e m Trick-Dickhäuter, der ursprünglich 1941 die Herzen des Publikums im Flug eroberte (s. Kino-KRITIK). Dass er sich jetzt ausgerechnet seiner annimmt scheint überraschend. Ist es aber nicht wirklich, denn bereits 2005 enthielt „Tim Burton`s Corpse Bride“ eine Hommage an die berühmte Parade der pinken Elefanten (aus „Dumbo“/1941). Seine Affinität hierzu: ein offenes Geheimnis – ebenso wie sein Mitgefühl für verletzte Seelen. Wesen fernab des Gewöhnlichen als Lieblingsthema seiner visuellen Studien. Figuren, die aus einem „Manko“ Stärke ziehen. So wie er. Früher: emotionaler Außenseiter im konservativen Burbank; heute: gefeierter Edgar Allan Poe(t) des internationalen Kinos. Das verbindet…
Es ist 1919. Der Erste Weltkrieg ist vorüber und Kunstreiter Holt Farrier (COLIN FARRELL) kehrt heim zu seinen zwei Kindern Milly (NICO PARKER) und Joe (FINLEY HOBBINS). Es sind dunkle Zeiten: seine Ehefrau ist tot und er durch den Verlust seines linken Arms als Artist unbrauchbar geworden. Dennoch bietet das alte Zirkuszelt von Max Medici (DANNY DeVITO) Sonderlingen wie ihm einen spartanischen Zufluchtsort. Als dort ein Elefantenbaby mit riesigen Ohren geboren und dessen Mutter zu Unrecht verbannt wird, fällt es in die Obhut von Holt und seinen gewieften Nachkommen. Denen bleibt das Talent des grauen Adoptivkindes natürlich nicht lange verborgen. Dank ihnen wird „Dumbo“ schnell zur fliegenden Superattraktion… aber auch zum Statusobjekt von Gierfratzen wie Show-Guru V. A. Vendevere (MICHAEL KEATON). Trotzdem: die bunte Welt der Künstler weiß sich zu wehren. Mit ihren ganz eigenen Gesetzen.
Tim Burtons Gesetzen. Wo bisher misslungene Neuauflagen – wie DIE SCHÖNE UND DAS BIEST (2016; s. Kino-Gast-KRITIK) – krampfhaft versuchten, stumpfe Kopien der Vorlagen herzustellen, schenkt er dem Original ein neues Leben. Er packt es an seinen nostalgischen Wurzeln (oder besser: Dumbos Ohren), reichert es mit grotesker Skurrilität an (die Titanic als Spaß-Attraktion in der Disney-Freizeitpark-Parodie „Dreamland“; 7 Jahre nach ihrem Untergang; zum „aktiven“ Totlachen) und ergänzt es durch neue Bezugsfiguren wie die kleine Milly (beeindruckend emotional: NICO PARKER), die das Geschehen menschlich-greifbarer machen. Herzenswärmer. Witzige Gender-Szenen im kuriosen Puppenkabinett bilden dabei nur das Sahnehäubchen dieses wertvollen Filmblicks auf aktuelles Zeitgeschehen.
Dass sich dies so gut ansieht, liegt ebenso an der hervorragenden Arbeit altbewährter Burton-Mimen wie DANNY DeVITO, der bereits in BIG FISH (2003; s. Kino-KRITIK) als bitter-süßer Zirkusdirektor brillierte, oder MICHAEL KEATON, der für den Regisseur schon 1989 in die BATMAN-Strumpfhose schlüpfte (s. Kino-KRITIK) und nun als fieser Investor herrlich begeistert. Burton-Neulinge wie die Johnny-Depp-Zweitbesetzung COLIN FARRELL mischen aber nicht minder fulminant in dieser 1A-Nummernshow mit, die musikalisch natürlich wieder von Haus- und Hofkomponist DANNY ELFMAN virtuos begleitet und von „Oscar“-Preisträgerin COLLEEN ATWOOD fantasievoll ausgestattet wird. Im Mittelpunkt stets: der mutigste und niedlichste Langohr-Elefant aller Zeiten. Die ursprüngliche Angst, er könne zu sehr einem klassisch „reanimierten“ Burton-Monster gleichen, bleibt unbegründet. Vor allem die Kinder werden aus ihm ihr Vergnügen ziehen, während die (jung gebliebenen) Erwachsenen hoffentlich mehr über den Inhalt nachdenken, den dieser einzigartige Bildträumer 2019 so beeindruckend entstaubt hat.
Schließlich bleibt die Frage: Was ist das Beste an Märchen? Wunder werden hier wahr. Und so ziehen die Tiere am Ende in die Freiheit. Machen wir keinen Zirkus drum…, es könnte auch in der Realität so einfach sein… (= 4 „Carrie“-PÖNIs; …jeder sollte nichtsdestotrotz einen Affen in der Schublade haben. Nur für den Notfall.)