VAN GOGH – AN DER SCHWELLE ZUR EWIGKEIT

„VAN GOGH – AN DER SCHWELLE ZUR EWIGKEIT“ von Julian Schnabel (Co-B + R; USA/GB/Fr/Irland 2017/2018; Co-B: Jean-Claude Carrière; K: Benoît Delhomme; M: Tatiana Lisovskaya; 111 Minuten; deutscher Kino-Start: 18.04.2019); es ist das ewige Leid: Du bist Künstler. Ein Maler. Glaubst an diese Berufung: Kunst-Maler. Doch du kannst dich anstrengen, abmühen, dich besessen wie existenzbedrohend in deine Leidenschaft begeben, kaum jemand nimmt von dir Kenntnis. Will oder kann DAS in deinen Bildern nicht sehen, erkennen, was DU wahrhaft siehst. Ausdrückst. Es ist das ewige Leid: Erst wenn du tot bist, werden sie dich „entdecken“. „Feiern“. Dich riesig hofieren. Dich verehren. Verstehen. Und SEHR viel Geld für deine Arbeiten (be-)zahlen. Da bist du selber schon lange Staub. Und wir fragen uns heute: warum dies eine Regel bei sehr vielen Künstler-Genies der Geschichte so ist? Sein musste? Motto: Stirb, und du wirst „wer“. Berühmt. Vorher aber kotze erst einmal deine qualvolle Scheiß-Existenz aus. Oder: Muss das Genie erst durch die irdische Hölle marschieren, um danach unsterblich zu werden? Ist dies „nun mal“ der Preis fürs „Anders-Sein“? Für: Ein Genie zu sein?

VINCENT VAN GOGH (*30. März 1853 – †29. Juli 1890). Maler. Der Niederländer wird heute weltweit als Genie, als Begründer der modernen Malerei, bezeichnet und hofiert. Zeit seines Lebens verkaufte er nur einige wenige Bilder. Er hinterließ 864 Gemälde und mehr als 1000 Zeichnungen, die vor allem in seinen letzten zehn Lebensjahren entstanden. Vincent van Gogh gilt als d e r verkannteste Künstler überhaupt. Jedenfalls zu Lebzeiten. Er war permanent arm und kam nur durch die Großzügigkeit seines Bruders Theo halbwegs über die kargen Existenzrunden. Was ihn aber nicht davon abhielt, SEINE BILDER zu malen. Zu gestalten.

Bislang sind vor allem zwei Van Gogh-Darsteller in Kinofilmen in bester Erinnerung: KIRK DOUGLAS in dem Klassiker „Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft“ von Vincente Minnelli aus dem Jahr 1956 sowie „Vincent & Theo“ von Robert Altman aus dem Jahr 1990 (s. Kino-KRITIK), mit TIM ROTH als Vincent van Gogh. Der dritte amerikanische Akteur, der sich in beziehungsweise mit der (Leinwand-)Figur des Malers gerade unsterblich macht, ist der 63-jährige WILLEM DAFOE, der für diese großartige Charakter-Performance in diesem Jahr seine vierte „Oscar“-Nominierung bekam (davor für seine Auftritte in: „Platoon“; „Shadow of the Vampire“; „The Florida Project“).

Der amerikanische Maler und Regisseur JULIAN SCHNABEL, Jahrgang 1951, dreht seit 1996 („Basquiat“/die Biographie über den gleichnamigen Künstler) Kinospielfilme. Mit „Schmetterling und Taucherglocke“ (s. Kino-KRITIK) schuf er 2007 ein außergewöhnlich-beeindruckendes Biopic über den französischen (Über-)Lebenskünstler Jean-Dominique Bauby und wurde dafür in Cannes mit dem Regie-Preis sowie mit dem „Golden Globe“ ausgezeichnet. Dass er sich nun für die letzten zwei Lebensjahren von Vincent van Gogh „interessierte“, begründete er neulich im „SZ Magazin“ (Ausgabe 4/2019) wie folgt: „Van Gogh war ein großartiger Maler, der ausdrückte, was nicht auszudrücken ist“. Und: „Zur Freundschaft mit einem Künstler gehört die Freundschaft mit seinem Werk“. Sowie: „Jedes Kunstwerk ist tot, bis jemand davorsteht“. Beim KINO ist es ähnlich. Nur: sitzen wir hier davor.

Eben. Weil die Vorurteile – Noch ein Film über Van Gogh? Man weiß doch schon alles – schnell wegschweben. Weil ein WILLEM DAFOE wie ein Berserker in seinen Van Gogh eintaucht; von der unmittelbaren Handkamera eingefangen, so faszinierend-rauh und quälend-zärtlich, als atemberaubendes Ereignis, dass man völlig den Platz (und Sitz) im Kino vergisst und zweifelsohne direkt am Schaffensprozess des lebendigen Vincent van Gogh mit-teilnimmt. Einschließlich unruhiger, fiebriger, besessener Kraft und Melancholie. Die sich bekanntlich bis zur Depression steigert. Doch dabei werden SEINE Blicke, seine „Erkenntnisse“, zum Beispiel über die Natur, zu einzigartiger Schönheit und Klarheit. Und: wirken. Tief wie immens. LICHT wird sichtbar. In und mit seiner Bedeutung. Er sah und hielt, er sieht und hält das Gesehene empfindsam fest: „Wenn ich einer Landschaft gegenübersitze, dann sehe ich nichts anderes als die Ewigkeit“. Willem Dafoe: ein wahnsinnig überzeugender, überragender Seelen-Interpret.

Der Inhalt. Begleitend. Die tiefe Freundschaft und Unterstützung des Bruders. Das Unvermögen, mit „den Normalen“ zu kommunizieren. Seine – im Film eher – diskreten Qualen. Die zu schlimmer Verstümmelung und „offiziellem“, „amtlichem“ Wahn führen. Die Freundschaft zu Paul Gauguin (OSCAR ISAAC), der ihn nicht ewig begleiten, „betreuen“ will. Der Streit mit seinen Dämonen. Die Skizzen eines bewegten Lebens. Diese wunderbare vitale Körper-Sprache des Vincent „Willem Dafoe“ van Gogh. Ich bin begeistert.

Der Film macht danach unbändige Lust auf einen neuen, entdeckungsfreudigen Museums-Gang (= 4 1/2 PÖNIs).

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