SCHACHNOVELLE

PÖNIs: (4/5)

„SCHACHNOVELLE“ von Philipp Stölzl (D/Ö 2019/2020; B: Eldar Grigorian; nach der gleichnamigen Novelle des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig; K: Thomas W. Kiennast; M: Ingo Ludwig Frenzel; 112 Minuten; deutscher Kino-Start: 23.9.2021);

AUS BRILLANTER LITERATUR ENTSTEHT EIN BEACHTLICHER KINOFILM. Titel = „SCHACHNOVELLE“. Von PHILIPP STÖLZL. Nach der gleichnamigen Novelle des österreichischen Schriftstellers STEFAN ZWEIG (geboren am 28. November 1881 in Wien; gestorben am 23. Februar 1942 in Petrópolis, Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien). Diese Novelle schrieb Stefan Zweig zwischen 1938 und 1941 im brasilianischen Exil, und sie ist sein letztes und zugleich bekanntestes Werk. Die Erstausgabe erschien posthum am 7. Dezember 1942 in Buenos Aires in einer limitierten Auflage von 300 Exemplaren. In Europa wurde das rund 90seitige Werk im Dezember 1943 im Stockholmer Exilverlag von Gottfried Bermann Fischer verlegt. 1944 erschien in New York die erste Übersetzung ins Englische. In Deutschland hat sich seit dem Erscheinen der Taschenbuchausgabe 1974 zu einem Dauerbestseller entwickelt. Mittlerweile wurden weit über 1,2 Millionen Exemplare verkauft. Credits: D/Österreich 2019/2020; Drehbuch: Eldar Grigorian; 112 Minuten. 

Der Film ist ein Gewinn. Grund: Der Hauptdarsteller OLIVER MASUCCI, zuletzt stark aufgefallen als Rainer Werner Fassbinder in „Enfant Terrible“ (s. Kino-KRITIK), ist hier ein wahrer Gigant. Solch eine empathische, darstellerisch-prächtige Charakter-Figur brennt sich im Kopf des begeisterten Zusehers stark ein. Hört sich kitschig an?: Na und! Beziehungsweise?: Wenn schon! Das Ergebnis zählt.

Denn: Was für eine deutsche Literaturfilmsaison. Sprich – nach neulich „Fabian“/Erich Kästner (s. Kino-KRITIK)  und „Felix Krull“/Thomas Mann (s. Kino-KRITIK) nun Stefan Zweig mit seinem populären Werk „Schachnovelle“. Mit der aktuellen Thematik – was stellen Menschen an, um andere – vermeintlich „niedere Menschen“ – „klein zu kriegen“. Um sie zu entseelen. Und als Befehlsempfänger zu missbrauchen. Wien 1938. Das deutsche Nazi-Regime beginnt gerade voller gemeiner Lust und widerlich-ekelhafter Güte Österreich zu besetzen. Einzunehmen. Dort vergnügt sich gerade der jüdische Anwalt Dr. Josef Bartok auf einem Ball und will die politische „Umschichtung“ im Land nicht wahrhaben. Als dann doch, als er merkt, was sich „draußen“ tatsächlich abspielt und er sich per Schiff mit seiner Frau Anna (BIRGIT MINICHMAYR) absetzen möchte, ist es zu spät. Bartok wird verhaftet und in das vornehme Hotel Metropol, jetzt Hauptquartier der Gestapo, gebracht. Untergebracht. Die Forderung, die Anordnung an ihn lautet: Du bist Vermögensverwalter des Adels, du sollst uns den Zugang zu den Konten ermöglichen. Gestapo-Leiter Franz-Josef Böhm (übel-faszinierend ALBRECHT SCHUCH) bemüht sich hinterhältig-listig, Dr. Bartok zu manipulieren. Doch der Anwalt weigert sich, mit den Nazis zu kooperieren. Deshalb wird für ihn Isolationshaft angeordnet. Einzelhaft in einem Hotelzimmer. Ohne Kontakt zu irgendjemandem, außer zum Verhörer Böhm, ohne menschlichen Austausch. Obwohl der Anwalt standhaft bleibt, beginnt er langsam Innen „aufzuweichen“. Bis ihm zufällig ein Schachbuch in die Hände fällt, so dass er für sich selbst geistige „Abwechslung“ findet. In dem er die verschiedenen Schachpartien von dort immer und immer wieder nacheifert. Mit Hilfe von Brotkügelchen. Und er zum besessenen Spieler wird. Dabei aber driftet er auch mehr und mehr ab. Dabei ist er doch ständig kämpferisch bemüht, eben nicht dem Solo-Irrsinn zu verfallen. In ein nicht mehr zu kontrollierendes, verrücktes neues Dasein. Mit den vielen Wunden und Narben. Und einem zunehmenden Geistesschwinden.

Dieser aufwühlende, packende SCHAUSPIELER-Film von Philipp Stölzl verbindet die grauenvolle Vergangenheit eines Menschen mit der – angeblich – befreienden Gegenwart. Auf einem Ozeandampfer. Die Übersiedlung von New York nach Buenos Aires zu ertragen, zu begreifen, ist für den Anwalt mehr Qual denn Freude. Die Diagnostik lautet einmal: „Schachvergiftung“. Und ob es sich wirklich um eine neue Lebensreise überhaupt handelt oder ob diese möglicherweise nur der Fantasie entspricht, also ein phantasievolles Entrinnen von den zerstörerischen Erlebnisse-„damals“ bedeutet …. wie vom Ende angedeutet …., kann jeder gedanklich für sich verwenden.

Wie aber vermag ich das literarische Spitzenwerk mit der filmischen Unterhaltungstastatur zu verbinden? Nicht etwa peinlich zu verbrüdern? Die Identitätsantwort ist der 52jährige: OLIVER MASUCCI . Dessen „Spiel“ und dessen Bewegungen als Dr. Josef Bartok finden statt mit herausragend-mitteilsamen Außenbetrachtungen wie (vor allem) mit vielen vortrefflich-verständlichen Innenäußerungen. Dieser neue Stefan Zweig-Adaption vermag er ein entsetzliches, quälerisches Absturz-Leben einzuverleiben. Gleichwohl dieses mit sehr viel Fantastisch-Psychotischem atmosphärisch winkt. Wenn die Dämonen mal wieder die  Überhand besitzen.

„Schachnovelle“ oder:  Kunst und Kino finden und pointieren hier beeindruckend-bitter zusammen (= 4 PÖNIs).

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