FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE

PÖNIs: (5/5)

„FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE“ von Dominik Graf (Co-B + R; D 2019; Co-B: Constantin Lieb; nach dem gleichn. Roman von Erich Kästner; K: Hanno Lentz; M: Florian von Volxem; Sven Rossenbach; 176 Minuten; deutscher Kino-Start: 5.8.2021);


FILM-
BRILLANT. Vom Denken und Empfinden. Vom wüsten Erkennen. Vom Heute zum Damals. Mit umgekehrten Zeitzeichen. Titel = „FABIAN oder DER GANG VOR DIE HUNDE“. Von DOMINIK GRAF (Co-B + R); D 2019/2020; 176 Minuten. Bin perplex. Der Roman, er ist doch gelesen. VON WEGEN. Aber er ist doch seit vorgestern „bekannt“. Gewesen. VON WEGEN. Aber, nicht aber. Verlass‘ den Verweis auf = in die Vergangenheit. Denn wir wissen inzwischen: Gestern war falsch. Erst im Jahr 2013 tauchte das richtige literarische Gestern auf. Zum gültigen Wahrnehmen. Vom Moralisten zum Abläufer „vor die Hunde“. Während es in der Gesellschaft der Endzwanziger- Anfang-Dreißiger Berliner Jahre brodelt, bemühten sich Autor und sein Akteur um die angemessene gemeine leuchtende Ironie: Seht Ihr nicht, was sich  gerade für ein schrecklich-politischer Mist einbringt? Während wir immer unkontrollierter feiern, toben, unbeherrschter wimmern und heftig wummern? Das Gerade-Leben schmerzt DIE, die Denken. Wie für Jakob Fabian. Der mit – rum-eiert. Dabei doch nur gewillt ist, Mensch zu bleiben. Obwohl die geistigen, moralischen Shit-Einschläge immer heftiger werden. VON WEGEN – Arbeitslosigkeit durch unerwünscht-empathisches Handeln. Dazu: Stolpereien in der Liebe. Die als Lebenshilfe auf-, angenommen wurde, soeben erst entdeckt wurde. Und offenbarte, wir sind doch zuallererst Gefühlsempfänger. VON WEGEN Totalitarismus; Nationalsozialismus. Was gerade herumsprüht. Inmitten des deutschen Dampfes von 1931-Berlin. Also, klar doch darum: Es lebe das Laster. In den Bewegungen. In den Regungen. Im Puff wie auf dem Asphalt. Erinnere mich an den Roman, „den es so noch nie zu lesen gab“ (Rückseite Nachwort). Und schnell nach vorne, Erstes Kapitel, mit den Schlagzeilen der Abendblätter, die Fabian im Café durchforstet wie u.a.:  Strychnin lagert neben Linsen; Neunjähriges Mädchen aus dem Fenster gesprungen; Abermals erfolglose Ministerpräsidentenwahl; Skandal im Städtischen Beschaffungsamt; Nervosität an den Kaffeemärkten; Bevorstehender Streik von 140.000 Metallarbeitern. Das tägliche Pensum. Nichts Besonderes. Eine Tasse Kaffee, bitte. Der Werbetexter Jakob Fabian schlägt sich mit Denk-Pannen herum. Der, so verheißt es der Sprecher im Film, von der wahren Liebe heimgesucht werden wird. Und dann  wurde. Als Rettung von diesem elenden Ballast? Vor dieser Stadt, die einem Rummelplatz gleicht? „Passense auf!“ schreit der Polizist, „Werd‘ mir Mühe geben“,  blöckt Jakob Fabian zurück. Als ob Mühe hilft.

Je mehr ich sehe, lese ich auch. Mir ist so als würde ich den kürzlich verschlungenen „Neuen“ Kästner-Roman parallel mit-lesen. Wenn Jakob und Cornelia ihre Beziehung einrichten. Und Fabians Gesichtsausdruck aufhellt. Hoffnungsvoll plötzlich ausschaut. Cornelia wird zum Glücksgefühl. Aber wie kriege ich jetzt die Verbindung zu Fabians (jetzt mal wieder der Nach- und nicht der Vorname) wohlhabenden Freund Labude hin, der in diesen Zeiten der Unsicherheit und Hektik politischen Aktivismus entgegenzusetzen versucht und nach einer tragischen Trennung auf Exzesse und Affären setzt.? Währenddessen Cornelia mit Filmambitionen klabüstert. VON WEGEN – da sind doch die steigenden Avancen des namhaften Produzenten Markart, der mit Versprechen VON WEGEN einer Schauspielkarriere lockt, falls Cornelia mit-spielt.

Ich werde zuschauender Realist. Im Parkett. Lege den Roman gedanklich beiseite und widme mich wieder = nur noch: diesem phantastischen Kino. Und staune enorm. Habe Ewig-Zeit nicht mehr solch einen wilden, ungestümen, aufbrausenden deutschen „Sieh-Zu“-Film gehabt. Der mich ständig mitzieht, um mich innerlich zu spalten, äußerlich zu denken, und dabei auch noch lärmt: Kannste nicht kürzer schreiben, du Filmkritiker? Könnte. Schon. Will aber nicht. Ich entscheide. Was wie lang und warum. Und überhaupt, ich bin ich. Kleingeschrieben. (Seltsam unpassend, der Zwischenruf, ich weiß).

Will noch was über das Ensemble sagen. DOMINIK GRAF („Die Katze“/1987/5 PÖNIs/ s. Kino-KRITIK), der Co-Autor und Regisseur, sorgt für rund Dreistunden verbale wie optische Vitalität (Kamera: HANNO LENTZ). Seinem Werk vermag man nicht zu entweichen. VON WEGEN Lebendigkeit, Nachdenklichkeit, Tiefenwucht, furioser Erotik-Zauber. TOM SCHILLING („Oh Boy“/2012/s. Kino-KRITIK) besitzt als Jakob Fabian die atmosphärische Vitalität, seine pessimistische Grundhaltung tatsächlich zu lösen. Ein wenig. Wenigstens. Raucht übrigens wie ein Schlot. (Fällt dem kritischen Nichtraucher auch auf). ALBRECHT SCHUCH („Neue Vahr Süd“), einer von zehn  European Shooting Stars 2021, vertritt als Labude, Stephan den zweifelnden und darüber wütenden Jakob-Freund, der für bessere Zeiten streitet. SASKIA ROSENDAHL, die attraktive Entscheiderin, will die Normalität sprengen ohne (zu) viel aufgeben zu müssen. Für Jakob Fabian wäre sie ein toller Halt. Doch Film und Produzent winken. Eifrig.

Beides funktioniert anpackend: Buch und Film, auch gerne umgekehrt, bilden eine grandiose Einheit. Passen, ergänzen-sich erstklassig. Erich Kästner lebt bei DOMINIK GRAF & Team blühend-glühend auf. VON WEGEN – Hör’n se auf, Lachen tut weh. VON WEGEN! (= 5 PÖNIs).

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