PÖNIs BLOG (175): GRUNDGESETZ; „BELFAST“; „KING RICHARD“; „DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE“; TV-TIPP; GARY BROOKER

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Artikel 26 (1) –  HANDLUNGEN, DIE GEEIGNET SIND UND IN DER ABSICHT VORGENOMMEN WERDEN, DAS FRIEDLICHE ZUSAMMENLEBEN DER VÖLKER ZU STÖREN, INSBESONDERE DIE FÜHRUNG EINES ANGRIFFSKRIEGES VORZUBEEITEN, SIND VERFASSUNGSWIDRIG. SIE SIND UNTER STRAFE ZU STELLEN.   (2) –  ZUR KRIEGFÜHRUNG BESTIMMTE WAFFEN DÜRFEN NUR MIT GENEHMIGUNG DER BUNDESREGIERUNG HERGESTELLT, BEFÖRDERT UND IN VERKEHR GEBRACHT WERDEN. DAS NÄHERE REGELT EIN BUNDESGESETZ.

1.)   AUTHENTISCH. Titel = „BELFAST“. Von KENNETH BRANAGH (B + R; autobiographisch empathisiert;  GB 2020; K: Haris Zambarloukos; M: VAN MORRISON; 99 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.2.2022). In Richtung „Oscar“ (am 27.3.2022): Der Film erhielt insgesamt sieben Nominierungen, darunter als „Bester Film“ und Kenneth Branagh für die „Beste Regie“ und für das „Beste Originaldrehbuch“. Sir KENNETH BRANAGH, der kürzlich erst mit der Agatha Christie-Adaption „Tod auf dem Nil“ Kinopremiere hatte (s. Kino-KRITIK/4 PÖNIs), wurde am 10. Dezember 1960 in Belfast/Nordirland geboren und erzählt in diesem Schwarz-Weiß-Werk von seiner Kindheit-dort. Die abrupt 1969 böse Lebensspuren abbekam. Wir befinden uns in einem Arbeiterviertel von Belfast. Wo die Menschen gut miteinander auskommen. Sie kommunizieren, haben Kontakt mit- bzw. untereinander; es spielt keine oder nur eine untergeordnete Rolle, ob sie sich als Katholiken oder Protestanten begegnen. Es ist der 15. August 1969, und die heimische Welt wird sich von jetzt auf gleich verändern. Zuvor aber erleben wir den neunjährigen Buddy (begeisternd: JUDE HILL), der hier zusammen mit seiner Familie, Eltern, Großeltern, lebt. Sein Spielplatz sind die Gassen des Viertels. Allerdings ist zu seinem Leidwesen sein Vater sehr viel aushäusig, pendelt zwischen Belfast und England, wo die Bezahlung besser ist. Daher ist Buddys Vater (JAMIE DORNAN) jeden Monat für zwei Wochen weg und überlässt den Großteil der Erziehung von Buddy und dessen älterem Bruder Will seiner Frau (CAITRIONA BALFE). Wir erleben das Geschehen aus privater Sicht und dabei konsequent aus der Sicht des neunjährigen Jungen. Doch seine unbeschwerte, abenteuerreiche geschützte Jugend endet jäh, als von jetzt auf gleich die sogenannten „Troubles“ beginnen. Die „religiösen“ Attacken. Ab Tag darauf bestimmen Aufräumbewegungen diese Region, gehören „Positionen“ fortan zum Alltag, Protestantenmilizen gegen pro-irische Katholikenverbände. Die „Buddy-Straße“ zeichnet beklemmende Spuren, während der regionale Nachwuchs bemüht ist, „Seins“ hier weiter durchzuziehen. Zu empfinden. Obwohl nun Stacheldraht, Bürgerkriegsgewalt und ähnliche Auswüchse dazugehören. Und die Buddy-Family nachzudenken beginnt, ob nicht ein Wegzug von hier, nach London, künftig die bessere Lebensalternative bilden könnte. Möglicherweise.

„BELFAST“ bezeichnet der Autoren-Regisseur selbst als „autofiktional“ und nennt ihn als seinen bislang persönlichsten Film, weil dieser autobiographisch geprägt ist und von der Kindheit Kenneth Branaghs handelt. Erzählt. Berichtet: „Wir hörten ausgiebig Radio, hörten ausgiebig Schallplatten und schauten uns ausgiebig Kinofilme an, zum Beispiel ‚Chitty Chitty Bang Bang‘, und wenn wir das nicht taten, besuchten wir uns gegenseitig“. „BELFAST“ blickt aufs Erinnern, auch musikalisch, verwendet überwiegend Musik des nordirischen Singer-Songwriters VAN MORRISON, der acht alte und einen neuen Song beisteuert. Das Ensemble, verblüffend atmosphärisch vom britischen Kinderdarsteller JUDE HILL angeführt, und u.a. mit JUDI DENCH besetzt, vermittelt die Atmosphäre, die Spannungen, die Gedanken jener Jahre. In denen nordirisches Kind-Sein sich in ein nun schnelleres Erwachsenwerden hin-bewegt mit dem Bemühen, „dennoch“ Lebensfreude, das Lachen und die Fantastereien von Kino und Fernsehen mit-einzubeziehen.

„BELFAST“, der Film, ist faszinierend wertvoll (= 4 1/2 PÖNIs).

2.)   DRAMA mit gigantischem EHRGEIZ. Titel = „KING RICHARD“. Von REINALDO MARCUS GREEN (USA 2020; B: Zach Baylin; basiert auf Richard Williams` Autobiographie „Black and White“; Co-Produktion u.a.: Will Smith; K: Robert Elswit; M: Kris Bowers; 145 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.2.2022). Der Typ ist eine Zumutung. Wo immer er WIE auftaucht, ist Pulver im Gebälk. Will sagen, gut Kirschenessen ist mit Richard Williams nicht. Er behauptet, „Bescheid zu wissen“. Hat das Leben durchgeplant. Von Anfang an. Noch bevor seine Töchter Venus und Serena geboren wurden, waren sie „beruflich“ verplant. Und wir wissen, der Kerl hat offensichtlich mehr „richtig“ denn „falsch“ gemacht. Er gab sich frühzeitig den Befehl, aus seinen Töchtern legendäre Tennisspielerinnen „zu machen“. Also nicht nur Einfach-Siegerinnen, sondern: WIR, also SIE sind, gelten als Göttinnen. Auf 78 Seiten war ein Matchplan gestrickt, nach dem Richard Williams stets handelte. Ohne Wenn und Aber. Hauptanliegen – dieser verdammten, sprich arroganten weißen Herrschaft zu beweisen, was verdammt nochmal möglich = machbar ist, wenn man es will. Also kann. Um jeden Preis. Ist etwas zu erreichen. Lautet die an sich selbst gestellte und unbedingte und einzige Forderung. Der alles unterstellt wird.

Deshalb ist „King Richard“ kein Ball-Movie, sondern ein packendes Biopic. Bei dem geschildert wird, was der konsequenteste konsequente Richard Williams zu leisten in der Lage ist, wenn es darum geht, seine ehrgeizigen Töchter zum Triumph-Tennis zu drillen. Mit welchen Hindernissen er sich „selbstverständlich“ dafür umgibt; wie er permanent gegen die uralten Grenzlinien von Rasse und Klasse felsig ackert; was es heißt, stur zu sein und zu bleiben; selbst im – vermeintlichen – günstigsten, sprich Dollar-sprudelnden Augenblick weiterhin als der ewig Besserwissende auf- und anzutreten. Als Stinkstiefel des Establishments zu gelten.

„KING RICHARD“ bedeutet: der hohen Schauspielkunst eines „KING“ WILL SMITH beizuwohnen. Der kehrt nach „Ali“ (2001) und „Das Streben nach Glück“ (2006/s. Kino-KRITIK) wieder zurück in die Drama-Arena. Rotzt dabei lächelnd, ist bisweilen so etwas von unantastbar-überheblich und dabei so etwas von ratternd von sich überzeugt; meint, immer, und ich meine STÄNDIG, das Richtige zu wissen, so dass man sich – wie oft eigentlich – wundert, warum beide Töchter einverstanden sind mit seiner drangsalierenden Strategie in Sachen: „Den Rhythmus bestimme ich, und nur ich!“. Und selbst als er endlich mit seinen unkonventionellen Anfällen als Sieger über die Ziellinie gekommen ist, folgen natürlich erst einmal: Anweisungen, Belehrungen, Hinweise. Dabei zeigt sich „Senior“ längst als ein Von-sich-selbst-Gefangener. Mittlerweile ist der Nachwuchs längst start-KLAR. Befindet sich in der Erfolgsspur. Venus und Serena Williams (SANIYYA SIDNEY + DEMI SINGLETON) begeistern mehr und mehr die verblüffte, ausflippende Tennis-Welt. Während wir uns von dem pfiffigen Nicht-Fiction-Drama verabschieden. Und gespannt sind, wie viele von den 6 „Oscar“-Nominierungen (darunter „Bester Film“; „Bester Hauptdarsteller“ Will Smith) demnächst eingenommen werden (= 4 PÖNIs).

3.)   DER WERT DES MENSCHEN. Titel = „DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE“. Von KAOUTHER BEN HANIA (B + R; Tunesien/Fr/Belgien/D/Schweden 2019; K: Christopher Aoun; M: Amin Bouhafa; 108 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.2.2022). Die Idee ist formidabel. Der junge sensible Syrer Sam Ali (YAHYA MAHAYNI) hat in einem Zug zu laut gesprochen. Dabei wollte er nur mitteilen, wie verliebt er gerade ist. In die schöne Abeer (DEA LIANE). Die Verlobung soll folgen. Doch wir befinden uns im Jahr 2011, es herrscht Krieg in seinem Heimatland, und Sam Ali muss flüchten. Dadurch geht ihm Abeer „verloren“. Sie verlobt sich mit einem reichen Lover, der sie mit nach Brüssel nimmt. Er dagegen landet in Beirut, wo ihm etwas „ganz Besonderes“ passiert. Ein angesagter Künstler, Jeffrey Godefroi (KOEN De BOUW), bietet ihm an, gegen ein immenses Honorar, seinen Rücken tätowieren zu lassen. Sam akzeptiert und wird so zum Kunstwerk, zu einem Objekt in Maestros Ausstellungen. Auf seinem Körper ist nun die Nachbildung des europäischen Schengen-Visums verewigt, das den Zugang zu den 22 EU-Staaten vereinfacht. – Ein Dokument, das Sam nach seiner Flucht aus Syrien nicht legal erhalten konnte -. Nun besitzt er es auch. Auf dem Kunstmarkt ist jetzt die tätowierte Haut eine astronomische Summe wert. Zugleich bekommt Sam Ali Freiheit, denn „Papier“, wo immer auch vorhanden, bedeutet bekanntlich, unantastbar zu sein. Bedeutet auch für den nun reichen Jungspunt, sich in Luxushotels aufhalten zu können. Dort sich mit Scheinwerfer zu arrangieren. Und überhaupt – reisen zu dürfen, wohin er möchte. Wenn er nicht gerade Kunstverpflichtungen hat. Und dann will er auch in Brüssel die inzwischen verheiratete Abeer finden. Seine große Liebe.

Der Mensch als Kunstobjekt. Als wertvoller Wert. Mit viel Zynismus-Beigabe. Als ein Schweizer Kunstsammler das Rücken-Werk kauft, werden auch gleich die Versicherungsbeträge bei einem Todesfall bekannt: „Eine Explosion wäre ungünstig“. Wir erleben ein dekadentes Schauspiel. Einen Mix aus Drama, Tragödie, Satire, Romantik und einigem schwarzen Humor. Sam Ali ist verliebt = Romanze; er durchlebt ein Drama und wird zum Geflüchteten, findet sich also in einer paradoxen Welt wieder, die eine Satire ist, während aus Ironie schwarzer Humor entsteht. Mit emotionaler Euphorie – wie bin ich wer und wie darf ich überhaupt ICH sein. Während der Körper „an der Börse“ steigt. Der westliche Wohlstand erstaunt die gierigen Massen, die sich in Ausstellungen an dem Rücken-Ereignis laben. Was ist das für eine bekloppte Existenzdatei, die hier herumgezeigt wird. Wo der Künstler die ihn betreuende Agentin Soraya (!) (immerhin: MONICA BELLUCCI) darauf hinweist, dass ein Pickel gerade das Kunstwerk-hinten unansehnlich traktiert. Was für eigenwillige Wechselfälle des sauberen Daseins.

Was „das“ soll: „Wir leben in einer dunklen Ära“, verlautet an einer Filmstelle. Und verweist auf die Geschichte dahinter: Denn der Film basiert auf der Geschichte des menschlichen Kunstwerks namens Tim des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye: 2008 tätowierte Delvoye eine aufwendige Punk-Kreuzigungsszene auf den Rücken eines Zürcher Tattoo-Studio-Besitzers namens Tim Steiner, der sich gegen Bezahlung dazu bereit erklärte, sich mit seinem tätowierten Rücken in Galerien auszustellen und sich nach seinem Tod die tätowierte Haut operativentfernen und ausstellen zu lassen. „Das Kunstwerk ist auf meinem Rücken, ich bin nur der Typ, der es herumträgt“, gab er 2017 in einem Interview kund.

Na dann schauen wir doch mal (= 4 PÖNIs).     P.S.: „The Man Who Sold His Skin“ wurde von Tunesien als Beitrag für die „Oscar“-Verleihung 2021 eingereicht und später auch von der Academy als erster tunesischer Film nominiert.

4.)   TV-TIPP: Es ist einer meiner definitiven Lieblingsfilme, entstand als Co-Produktion Frankreich/Italien in den Sechzigern und heißt „DIE ABENTEURER“. Stammt von ROBERT ENRICO und ist mit ALAIN DELON/LINO VENTURA und JOANNA SHIMKUS bestens besetzt. Worum es geht und warum man ihn durchaus mehrmals empfinden kann = s. Kino-KRITIK / 5 PÖNIs) -; die Ausstrahlung bei ARTE ist am Montag, 28.2.2022 ab 20.15 Uhr (Wiederholung: Mittwoch, 2.3.,  14.15 Uhr). Die Empfehlung gilt!

5.)   ERINNERUNG an GARY BROOKER. Der am 29. Mai 1945 in Hackney, London geborene Rockmusiker (Gesang, Klavier), der als Pianist, Sänger und Gründer der Musikgruppe Procol Harum bekannt wurde, verstarb am Samstag, den 19. Februar 2022. Berühmt wurde Gary Brooker insbesondere mit dem von ihm, Matthew Fisher und Keith Reid komponierten, 1967 veröffentlichten Song A WHITER SHADE OF PALE, der zu einem Welterfolg und einem der prägenden Lieder der Hippie-Ära Ende der 1960er-Jahre wurde. Im August 2006 trat die Band live zu einem Open Air-Konzert im dänischen Schloss Lendreborg auf, zusammen mit dem Danish National Concert Orchestra und ihrem Chor. Nach dem ersten Besuch Ende April 2021 (s. BLOG 133) erleben wir noch einmal GARY BROOKER als Pianist und Sänger. Rund sieben Minuten ein musikalisches Erlebnis und natürlich für diese Woche mein Lieblingsfavorit: Tschüs, Gary:

Wünsche eine erholsame GESUNDE Woche.

HERZlich:    PÖNI PÖnack

kontakt@poenack.de

 

 

 

 

 

Teilen mit: