0.) Mit dem bayerischen Kabarettisten-Urgestein GERHARD POLT, geboren am 7. Mai 1942 in München, verbinden wir: begeisternd-satirische Bühnenauftritte; clever-listige „Bewegungen“ als Humor-durchtriebener FILMSCHAUSPIELER (s. „Kehraus“/s. Kino-KRITIK); aufmüpfige, doppelbödige Literatur. Letzten Mittwoch war er – nach gemeiner Pause – wieder einmal Gast im „Berliner Ensemble“, zusammen mit seinen ständigen, musikalisch- vorzüglichen WELL BRÜDER-Begleitern. Das Team war in bester Nach-Corona-Laune und frohlockte aberwitzig-tiefgründig zum Abend-Thema „40 JAHRE POLT/WELL-BRÜDER“. Mit den Fakten: Mehr als 3 Million Kilometer sind sie zusammen im Auto gereist, meist friedlich, manchmal hitzig diskutierend, stets unfallfrei. Gerhard Polt und die Brüder Michael, Christoph und Hans Well trafen sich 1979 – die genauen Umstände liegen im Ungefähren – und betraten fortan gemeinsam die Bühnen Bayerns und der Welt. Vieles ist seitdem passiert. Zum Jubiläumsabend zeigen Gerhard Polt und die drei Wells Teile aus ihrem aktuellen Programm sowie einige Klassiker. Es waren rund zweieinhalb Stunden vom Bissigsten = Gelungensten. Der Sparte: Wie erkläre ich dieses D-Dilemma den gestressten, empörten Bürgern mit ihren gewählten durchtriebenen Lenkern. Gerade in diesem chaotischen – unanständigen Berlin. WER DIE CHANCE HAT, POLT & WELL in diesen Tagen zu begegnen, sollte dies nutzen. Es lohnt sich. Weil wunderbar saukomisch. Piekt den Geist. Heizt lebendig ein. Egal, ob die Maske dranbleiben muss.
1.) LEBENDIG: KUNST MIT SCHMACKES. Titel = „THE FRENCH DISPATCH“. Die französische Depesche. Von WES ANDERSON (B, Produktion + R); D/USA/Fr 2019; 108 Minuten. Ich dachte, wir seinen längst entfleucht. Dieser Kunst mit Schmackes. Mit speziellem Pfiff. Heutzutage ist der KINO-Reiz doch zu mehr als %-Prozent verbunden mit den Schulmechanismen von einst: Einleitung, Hauptteil, Schluss. Wobei spätestens nach 33 Minuten eigentlich klar und deutlich ist, was ist, wer ist, wer schurkische(r) ES ist, und wie kriegen wir das Böse plausibel eingefangen. Nach 90 bzw. Folge-Minuten bestätigen uns die Leinwand-Maestros die – deutlichen – Vermutungen. Absichten. Eben: Der oder Die isses. Sind es. Und dann DAS: WES ANDERSON – geboren am 1. Mai 1969 im texanischen Houston – taucht wieder einmal auf. Wir kennen ihn durch besonders „andere“ Spielfilme wie „GRAND BUDAPEST HOTEL“ (2014/s. Kino-KRITIK) und „ISLE OF DOGS – ATARIS REISE“ (2018/s. Kino-KRITIK), aber auch über die Anfänge-Movies wie „Die Royal Tenenbaums“ (2001) oder „Darjeeling Limited“ (2007). Wo „das System Kino“ einfach, aber frohlockend umgepolt wurde. Nun aber wird noch eine exotische Schippe draufgepackt. Thema: Wir sehen, erleben, ahnen, empfinden. Aber um GENAU Bescheid zu wissen, müssen wir in „The French Dispatch“ mehrmals rein. Sonst bleibt es beim ewigen guten Geruch.
Um folgendes: Ich wohne jetzt in Frankreich. Und feiere „das Französische“. Mein Film erweckt eine Sammlung von Geschichten aus der letzten Ausgabe einer amerikanischen Zeitschrift (gemeint ist „The New Yorker“), welche in der (fiktiven) Stadt Enni-sur-Blasé zu letztem Leben erweckt wird. Zweitens – warum? Anlässlich des Todes des hochgeschätzten, aus Kansas gebürtigen Verlegers Arthur Howitzer; Jr. (BILL MURRAY) versammeln sich Mitarbeiter von „The French Dispatch“, um einen Nachruf zu verfassen. Drittens – So entstehen vier, von den Erinnerungen an Howitzer geprägte Geschichten. Als da wären: Viertens – Der thematische Überbau: ein Reisebericht von dem radelnden Reporter aus den verrufensten Ecken der Stadt; „Das Beton-Meisterwerk“ über einen geistesgestörten, kriminellen Maler, seine Gefängniswärterin und Muse und seine raffgierigen Kunsthändler; „Korrekturen eines Manifests“ beziehungsweise: eine Chronik von Liebe und Tod auf den Barrikaden, auf dem Höhepunkt der 68er Studentenrevolte; sowie, welch ein Einblick, „Das private Speisezimmer des Polizeichefs“, eine kirre, fesselnde Geschichte über, na bitte, Drogen, Kidnapping und bessere Küche. Fünftens – Über die Jahre hinweg sind die Filme von WES ANDERSON immer komplexer und facettenreicher geworden, sprich: sind die einzelnen Einstellungen immer stärker vollgepackt mit visuellen und narrativen Details und Bezügen. Werte und Emotionen unterliegen dem zeitlichen Wandel. In „The French Dispatch“ wechselt das Bild plötzlich von Schwarzweiß zu Farbe, von Breitbildformat zu Normalformat. Es kann sein, dass plötzlich Untertitel in einer Ecke der Einstellung auftauchen und dass das Gefühlsregister von der Komödie zur Poesie wechselt, also zu tiefsten Sehnsucht. Eben, wir befinden uns mittendrin in einem Erlebnisfilm. Und Sechstens – DAS AUFGEBOT. An klar erkennbaren Stars wie an namhaften Masken-Beteiligten. Sie zu entdecken und zu erleben ist mitreißend. Motto: Die auftauchende Perlen. Wie: BENICIO del TORO; FRANCES McDORMAND; OWEN WILSON (als radelnder Reporter); JEFFREY WRIGHT; ADRIEN BRODY; TILDA SWINTON (mit roter Aura); TIMOTHÉE CHALAMET (als ZEFFIRELLI); LÉA SEYDOUX; OWEN WILSON; MATHIEU AMALRIC oder auch EDWARD NORTON; WILLEM DAFOE; HENRY WINKLER; CHRISTOPH WALTZ (als Paul Duval), aber auch ANJELICA HUSTON (als Erzählerin) und BOB BALABAN sowie CÉCILE de FRANCE (als Mrs. B). LIEV SCHREIBER taucht auf. Sowie II: Andersons Lieblingsbeteiligter BILL MURRAY als HOWITZER; Jr., der verfügte, dass das Magazin „anlässlich seines Todes“ einzustellen ist.
Wir können an diesem Erbe-auswertenden Ensemble süffisant teilhaben, bei und mit ihren erwachsenen Kinderstorys. Denn „THE FRENCH DISPATCH“ ist mehr als EIN Film, ist eine Schatzgrube von Geschichten inmitten von Erinnerungen inmitten von Rahmenhandlungen, die sich optisch-wechselhaft formen. Ein filmisches Kuriositätenkabinett öffnet sich, angefüllt mit dynamisch bewegten Wundertüten, die als Liebesbrief an die Welt der Druckerzeugnisse sich berührend werten lassen. Dabei hochgradig unterhaltend, lecker amüsierend ZU EMPFINDEN verstehen. Tilda Swinton bringt es auf den Punkt: „Es ist Wes´ französischer Liebesbrief an die Internationale der Kultur und an die segensreiche Kunst des unabhängigen Journalismus“. BRAVO (= 5 PÖNIs).
2.) KAPUTTE ZUKUNFT. In D. Titel = „DAS HAUS“. Von RICK OSTERMANN (Co-B + R); D 2020; Co-B: Patrick Brunken; 92 Minuten. Der Film basiert auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Dirk Kurbjuweit über ein Smart Home, das sich plötzlich selbständig macht. 2029 kippt das politische, gesellschaftliche Leben hierzulande. Eine rechtspolitische Partei will das Ruder übernehmen. Andersdenkende, kritisch Entgegensteuernde, werden attackiert. Wie Johann Hellström (TOBIAS MORETTI), der als liberaler Journalist mit einem Arbeitsverbot belegt ist. Und sich gemeinsam mit seiner Gattin Lucia (VALERY TSCHEPLANOWA) in ihr luxuriöses, voll vernetztes Haus zurückziehen, das sich auf einer einsamen schwedischen Insel befindet. Voll vernetzt bedeutet: DAS HAUS „reagiert“ auf verbale Anweisungen. Was immer DU sagst, wird sofort elektronisch ausgeübt (Tür auf, Tür zu; Telefonanruf dorthin; TV an und aus; Musik bitte; Kommunikation …). Wir blicken ab und an auf den ausführenden „Befehlsempfänger“, auf ein rotglühendes Maschinenauge, welches aussieht wie damals jener zuhörende Computer HAL-9000 in Stanley Kubricks Zukunftshymne „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968). Doch die ersehnte Ruhe und Denkabgeschiedenheit findet das Insel-Paar nicht. Weil „draußen“ ein – mutmaßlich linksterroristischer – Anschlag die Zustände in Deutschland verschärfen. Und weil Johann und Lucia plötzlich mit Internass des Anderen versehen sind. Die Folge – ein zunehmendes gegenseitiges Misstrauen kommt auf. DAS HAUS scheint ein bestimmtes technisches Eigenleben zu führen, hört und handelt ständig mit. Und sperrt die beiden Bewohner schon mal aus. Die Lage entwickelt sich zunehmend bedenklich. Eines Tages stehen private Besucher, Aktivisten, vor der Tür. Suchen Schutz. Als Johann dadurch mitbekommt, dass auch seine Frau dem Widerstand angehört und ihn einbinden will, eskaliert die Insel-Situation.
Spannender Thriller über den immer gläserner werdenden Menschen. Mit ekligen Folgen. Facebook und Google oder – wer kontrolliert eigentlich wen? Oder was? Und wie genau? Und was bedeutet es eigentlich, wenn die künstliche Intelligenz tatsächlich zum Bestimmer der kommenden gesellschaftlichen Zustände, privaten Verhältnisse und politischen Geschehnisse wird? Obwohl die Auflösung eher „apart“ angesiedelt ist, der Film „hat was“, lässt sich gut anschauen und interessant denken (= 3 1/2 PÖNIs).
3.) COWBOY-OLDIE. Titel = „CRY MACHO“. Von und mit CLINT EASTWOOD (Produktion + R + HD); USA 2020; B: Nick Schenk; N. Richard Nash; nach dem gleichn. Roman von N. Richard Nash/1975; von John Wayne stammt die Aussage – SATTLE KEIN PFERD, DAS DU NICHT REITEN KANNST. Was für Marion Mitchell Morrison aus Iowa galt, so hieß John Wayne, gilt heute immer noch für den 91jährigen CLINT EASTWOOD. Denn DER hört gar nicht auf zu drehen. Mimt hier einen Cowboy-Oldie, Mike Milo, der von seinem ehemaligen Chef aus Mexiko, Howard (DWIGHT YOAKAM), mit einem Spezialauftrag versehen wird. Hole mir meinen 13jährigen Sohn Rafo von dort. Der lebt bei seiner verkommenen Mutter, deren Liebhaber ihn immer wieder vermöbeln. Ich will ihn zurück. Also macht sich Mike, der seinem Ex-Boss noch was schuldig ist, auf den Weg. Findet Rafo, der sich meistens „draußen“ aufhält. Mit seinem Gockel „Macho“ an illegalen Hahnenkämpfen teilnimmt. Der Weg zurück kann zusammen starten. Gemeinsam mit Rafo und seinem Hahn. Unterwegs werden „Opa“ und Rafo, na ja sagen wir – gute Bekannte. Dies alles wird gediegen erzählt. Keine Spät-Boy-Exzesse mehr, sondern das Leben im Alter verlangt/verdient Beschaulichkeit. „Cry Macho“ verweigert sich „Wildheiten“. Verfolger werden abgewatscht. Bevor man sich endlich einer „richtigen Familie“ widmet.
Eastwood ist erstaunlich sanft. Macht seinen Frieden. Mit dem lieben Gott vielleicht? Zwar herrscht beim Eastwood-Mike immer noch dieser störrischer Ausdruck, doch auch Tränen werden mittenmal unterm Cowboyhut sichtbar. War’s das, Clint? Nach dieser (Be-)Rührung wäre eigentlich noch ein „richtiger Abschied“ fällig. Was ist eigentlich aus DIRTY HARRY geworden? Gibt’s DEN noch? (= 3 PÖNIs).
4.) DER SCHLÄCHTER. Titel = „HALLOWEEN KILLS“. Von David Gordon Green (Co-B + R); USA 2019; Musik u.a.: JOHN CARPENTER. 106 Minuten. Es war der 6. Juli 1979, als mit „Halloween – Die Nacht des Grauens“ das blutige Gemetzel begann (s. Kino-KRITIK). Es war der 25. Oktober 2018 als mit „Halloween“ die 11. Fortsetzung startete (s. Kino-Gast-KRITIK). Jetzt ist die Fortsetzung VON DEM angelaufen. Mit der unverwüstlichen Horror-Gestalt Michael Myers (JAMES JUDE COURTNEY / NICK CASTLE). DIE einfach nicht totzukriegen ist. Obwohl er diesmal auf eine Menge Traumatisierte stößt und es mit reichlich aufgeladenen Wutbürgern zu tun bekommt. In Haddonfield, einem Ort, dessen Myers-Spuren nicht wegzuwischen sind. Ganz im Gegenteil, es darf nunmehr – und zeitgemäß – ausfallend brutaler gemeuchelt werden. Gewaltexzesse zuhauf, und die gute Laurie Strode alias JAMIE LEE CURTIS gesellt sich gesellschaftlich auch wieder hinzu (ist hier zum insgesamt sechsten Mal beim Halloween-Blutfutter mit dabei). Ehrlich, ich kann damit nichts (mehr) anfangen (= 2 PÖNIs).
5.) MATINEE. Mit der ASTOR FILMLOUNGE haben wir in Berlin, am Kurfürstendamm, eine wunderschöne Kino-Stätte. Die sich dadurch auch auszeichnet, dass hier an jedem Sonntag-Mittag ein Filmklassiker als Matinée präsentiert wird. Am nächsten SONNTAG, 31. Oktober – als Halloween-Special – zeigen sie dort, ab 12 Uhr, den Science Fiction-Klassiker „… JAHR 2022 …DIE ÜBERLEBEN WOLLEN (Originaltitel: „Soylent Green“) von Richard Fleischer aus dem Jahr 1973. Mit „Polizist“ CHARLTON HESTON und EDWARD G. ROBINSON (= in seiner letzten Film-Rolle) in den Hauptrollen. Ein bis heute nicht vergessener Spannungs-Streifen, entstanden nach dem Roman „New York 1999“ von Harry Harrison von 1966. Thema: Es ist das Jahr 2022. In New York City leben 40 Millionen Menschen. Es mangelt an Wasser, Nahrung und Wohnraum. „Wer möchte, der kann in diesem Film einen spannenden Krimi sehen. Mittels brutal-nachhallender Szenen verdeutlicht der Regisseur jedoch eine weitaus tiefere Wahrheit. „Soylent-Greeen muss also als eine Metapher gefasst werden. Es ist das radikale Bild des sich selbst verzehrenden Wahnsinns kapitalistischer Produktionsweise. Die notwendigen Folgen der Verdinglichung von ‚Menschenmaterial‘ bis hin zur Selbstvernichtung werden dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt“ (Lexikon der britischen und amerikanischen Spielfilme in den Fernsehprogrammen der Bundesrepublik Deutschland 1954 bis 1985). Die Leinwand-Empfehlung gilt! Dringend.
6.) TV-TIPP: Als der Film „DOGMAN“ am 18. Oktober 2018 in unseren Kinos anlief, war das Erstaunen groß. Motto: Italien steht am Pranger. Aktuell. Stichwort: Der viele Müll. Und jetzt auch: der extreme Rechts-Ruck. Und wie kaputt darauf die Menschen reagieren. Regisseur MATTEO GARRONE wurde viel gelobt, sein Film wurde von Italien für den Auslands-„Oscar“ eingereicht. ARTE präsentiert den Film am kommenden MONTAG, 25.10. ab 22.35 Uhr im Programm. Die Empfehlung gilt (s. Kino-KRITIK).
7.) MUSIK: Ich setze für diese Woche auf einen Lieblings-Oldie von ELVIS PRESLEY. Brauche es heuer gemütlich. Höre „LOVE LETTERS“ SEHR gern. Ihr auch?
Wünsche eine GESUNDE rosige Woche.
HERZlichst: PÖNI PÖnack
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