PÖNIs: (5/5)
„JOKER“ von Todd Phillips (Co-B; Co-Produzent + R; USA 2018; Co-B: Scott Silver; nach der gleichn. DC-Comic-Figur; K: Lawrence Sher; M: Hildur Gudnadóttir; 122 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.10.2019); „DANCING IN THE DARK“ war der letzte Track, der 1984 von Bruce Springsteen für das Album „Born in the U.S.A.“ in New York aufgenommen wurde. Motto des Songs: die Stumpfsinnigkeit der Existenz: „There’s a joke here somewhere and it’s on me; I’ll shake this world off my shoulders; come on, baby, this laugh’s on me„. Wir befinden uns im Jahr 1981, und Gotham City sieht aus wie New York. Die Großstadt ist Streik-vermüllt, leidet unter der hohen Kriminalitätsrate; die einfache Bevölkerung vegetiert dahin, zwischen Existenznöten und hartem Sparkurs – und gerade wird die amtliche Unterstützung für Arme und Kranke rücksichtslos aus dem Sozialetat der Stadt gestrichen. Man spürt förmlich: Der soziale Frieden steht kurz vor dem Implodieren. Dieser Stadt und seinen meisten Bewohnern geht es schlecht. Deshalb macht sich immer mehr die – kaum noch zu bändigende – Wut der „Habenichtse“ breit, wie sie „Oben“ tituliert werden. Empörung und Wut auf die gnadenlosen Reichen. Die Mächtigen. Allen voran: auf den superreichen Bürgermeisterkandidaten Thomas Wayne, dessen Sohn Bruce heißt. (Und bekanntlich später, in anderen Filmen, maßgeblich in die Geschicke der Stadt eingreifen wird; als „Batman“.) Zugleich sieht man viele – tierische – Riesen-Ratten auf den Straßen. In diesem Sündenbabel. Wo ein gewisser Arthur Fleck lebt. Seines Zeichens: ein „nervöser“ Straßen-Clown. Der sich JOKER nennt.
Joker bezieht sich einerseits auf den Joker als Spielkarte, andererseits auf den hierauf abgebildeten Hofnarren. Joker also, der Witzbold. Sein Comic-Debüt hatte er 1940 in: US-„Batman“, Ausgabe 1. Seine Person basierte in ihren Grundzügen auf der Figur des Gwynplaine, dargestellt vom deutschstämmigen Schauspieler Conrad Veidt in dem amerikanischen Spielfilm „The Man Who Laughs“ vom deutschen Spielleiter Paul Leni aus dem Jahr 1928. Inzwischen haben vor allem drei renommierte Schauspieler dieser „expressionistischen“ Böse-Figur Darsteller-Pracht verliehen: Jack Nicholson (in „Batman“ von Tim Burton/1989/“Golden Globe“-Nominierung/s. Kino-KRITIK), „Oscar“-Preisträger („Dallas Buyers Club“) Jared Leto (in „Suicide Squad“ von David Ayer/2016/s. Kino-KRITIK) und natürlich Heath Ledger (in „The Dark Knight“ von Christopher Nolan/2008/“Oscar“-Auszeichnung/s. Kino-KRITIK). 2019 betritt ein neuer – sensationeller – Joker-Held die Film-Manege. Der schauspielerisch alles sprengt, was es bisher „gab“: Joaquin Phoenix. Der als Joaquin Rafael Bottom am 28. Oktober 1974 in San Juan/Puerto Rico geboren wurde und sich mit überragenden Auftritten in Spielfilmen wie „Walk the Line“, wo er 2005 Johnny Cash verkörperte („Oscar“-Nominierung/s. Kino-KRITIK), und „Her“ (2013/“Golden Globe“-Auszeichnung/s. Kino-KRITIK) einen Namen als Spezialist für „extrem schwierige Charaktere“ machte.
„Joker“, der Film, hat keine Vorgeschichte. Allerdings sei das Drehbuch, so Todd Phillips in „The New York Times“, inspiriert von Martin Scorsese-Filmen wie „Taxi Driver“, „Raging Bull“ und „The King of Comedy“ wie auch von seiner eigenen Anarcho-„Hangover“-Komödien-Trilogie (s. 3 x Kino-KRITIKEN: „Hangover“, „Hangover 2“, „Hangover 3“). Und auch von Klassikern und Charakter-Studien aus den Siebzigern wie „Serpico“ (mit Al Pacino), „Einer flog über das Kuckucksnest“ (mit Jack Nicholson) und eben von d e m Ursprung: „The Man Who Laughs“ von 1928.
Arthur Fleck (JOAQUIN PHOENIX) lebt mit seiner kränkelnden Mutter in einem kleinen schäbigen Appartement. Abends sehen sie sich im gemeinsamen Bett eine populäre Late Night-TV-Show an, wo Komiker-Moderator Murray Franklin (ROBERT DE NIRO) einmal sogar über IHN herzieht. Mit authentischen Bildern. Denn Arthur träumt von der großen Karriere als Stand-Up-Comedian-Ass und hat sich diesbezüglich auf einer kleinen Bühne mal versucht. Was mit der Kamera eingefangen wurde. Und gar keinen Erfolg brachte: „Wenn ich früher erzählt habe, ich wollte Komiker werden, haben alle immer gelacht; wenn ich jetzt auf der Bühne stehe, lacht keiner mehr“. Regelmäßig tritt Arthur bei der Frau vom Sozialamt an. Bei der er so etwas wie eine Psychotherapie „bekommt“ sowie die Rezepte für die täglichen Pillen. Arthur trägt immer eine kleine amtliche Karte bei sich. Die bestätigt, dass er psychisch krank ist. Was sich – jederzeit – in plötzlichen, aggressiven, unmotivierten, krankhaften Lach-Anfällen ausdrückt. Und für Nächste erschreckend wirkt. Als Arthur eine Nachbarin (ZAZIE BEETZ) näher kennenlernt, die ihn so nimmt wie er ist, vermag dies ihn nur kurz „zu beruhigen“. Denn nun beginnt sein „Aufstieg“: „Ich dachte mein Leben wäre eine Tragödie, doch ich erkannte, dass es eine Komödie ist“.
Joker wehrt sich. Wird, im Clowns-Kostüm, in der U-Bahn von drei arroganten Anzug-Typen übel attackiert und bringt sie um. Die Stadt ist in Aufruhr. Für die Mehrheit wird er, der Unbekannte, zum Helden, der sich – ENDLICH EINER – gewehrt hat; für die Herrschenden ist er der FEIND. Den es zu jagen und zu überführen gilt. Fortan erblickt man immer mehr Menschen in Clowns-Kostümen auf den Straßen. (Man darf auch denken: in Gelb-Westen.) Während Arthur es inzwischen zu einem Auftritt in seiner Lieblings-TV-Show schafft. Murray Franklin will diesen „Loser“ kennenlernen. Und vorführen. Arthur, der Joker, aber wird wütend. RICHTIG wütend. Auch, weil er erfahren musste, dass seine Mutter ihm d a s Geheimnis ihres und vor allem seines Lebens nicht wirklich offenbart hat. TV-Moderator Murray muss sich auf einmal warm anziehen. Der irre Arthur-JOKER beginnt, sich zu demaskieren. Beziehungsweise: „ehrlich“ zu präsentieren.
JOAQUIN PHOENIX. Massenhaft Kilos hat er für die Rolle des „schwächelnden“ Arthur abgenommen. Sein Joker „lebt wahrhaftig im Leib von Joaquin Phoenix“ (Dietmar Dath in der „FAZ“). In beinahe jeder Szene dieser schrägen, gemeinen, durchtriebenen, innerlich explodierenden Film-Show ist er dabei; schlägt er, zieht er einen, mit seinem Mimenspiel, mit seiner Gestik, seinen unkontrollierten Bewegungen, seinen „extraordinären“ Gesichtszügen, in den berstenden Spannungs-Bann. Seine Performance ist DIE EINES SCHAUSPIELERS, der sich im wahrhaftigsten Sinne überhaupt ZU VERWANDELN VERSTEHT. Der „Gedanken“ darzustellen versteht. Schlimme, aber eigentlich nachvollziehbare böse Gedanken. Sowie: eine gepeinigte Seele schmerzvoll-erschreckend zum spielerischen Grauen-Vorschein zu bringen vermag. Es muss demnächst dafür den „OSCAR“ geben!
Und wenn er zuletzt seinen Aufgebrachten, Wütenden, Haltlosen, dem Volk auf der Straße, die Message mitteilt, was sie von den tierischen Ratten unterscheidet, nämlich: „Ihr entscheidet, was Gut und Böse ist, auf genau die Art, auf die ihr entscheidet, was lustig ist und was nicht“, dann war eine Comic-Adaption selten – oder bisher gar nicht – so brisant, weil hochpolitisch. Und doppelbödig-aktuell. Kein Wunder, dass konservative Zeitgenossen in den USA vor dem Film „wegen seiner gefährlichen, unorthodoxen Gewalt“ warnen. Klar doch, Schiss haben sie vor diesem Pracht-Film, weil er für „Mächtige“ gefährliche Gedanken HEUTE zu platzieren weiß. Von wegen: Was ein Clown so alles zustande zu bringen vermag. UND: Dabei war doch diese pornografische Gewalt-Orgie-neulich, im neuen „Rambo“-Scheißfilm, weitaus obszöner, ordinärer, ekelhafter. Widerwärtiger. Nur purer Selbstzweck.
„Es gibt Momente, in denen man sich mit Arthur verbunden fühlt und mit ihm mitfiebert. Und dann gibt es jede Menge Situationen, in denen man angewidert ist von dem, was er tut. Ich mag es, das Publikum auf diese Weise zu fordern. Es passiert nicht oft, dass man die Gelegenheit dazu bekommt, und schon gar nicht im Superhelden-Genre“ (Todd Phillips im britischen Film-Magazin „Total Film“). Weiß nicht – Superhelden-Genre, eher nö, vielmehr ist „JOKER“, der Film, eine bittere Comic-Komödie; und überhaupt – ich fühlte mich viel, viel mehr MIT Joker verbunden als von ihm abgestoßen. Lebe schließlich schon eine Ewigkeit im komischen: Berlin (= 5 PÖNIs).