PÖNIs: (4/5)
„IRRATIONAL MAN“ von Woody Allen (B + R; USA 2014; K: Darius Khondji; M: die Instrumentalversion von „The ‘In‘ Crowd“ vom Ramsey Lewis Trio; 95 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.11.2015); am 1. Dezember 2015 wird er 80. Was ihm offensichtlich gut bekommt, denn er dreht mit origineller Konsequenz weiterhin jedes Jahr (s)einen Film. Als Regisseur plus Drehbuch-Autor. (Bzw. umgekehrt.) Der 24-mal für den „Oscar“ nominierte WOODY ALLEN, der diese begehrteste = bedeutendste Film-Trophäe bislang viermal zugesprochen bekam (und nie persönlich entgegennahm).
Seine Musen sind legendär. Angefangen mit Diane Keaton („Der Stadtneurotiker“) über Mia Farrow („The Purple Rose of Cairo“; s. Kino-KRITIK), Scarlett Johansson („Vicky Cristina Barcelona“; s. Kino-KRITIK) bis jetzt zu EMMA STONE, gerade 27 geworden, die sowohl in seiner vorletzten „französischen“ Komödie („Magic in the Moonlight“; s. Kino-KRITIK) wie nun auch in seinem aktuellen Drama-Krimi den weiblichen Haupt-Part spielt. Emma Stone, bekannt aus Filmen wie „Zombieland“, „The Help“, „The Amazing Spider Man 1 + 2“ sowie zuletzt „Birdman“ mimt hier eine aufgeweckte Studentin an einem kleinen College in Rhode Island, die es mit einem ziemlich deprimierten, hochgradig IQ-potenten Philosophie-Professor zu tun bekommt. Eben jenem versoffenen „Irrational Man“, namens Abe Lucas, der von JOAQUIN PHOENIX („Walk the Line“; „Her“) mit uriger Gemütstiefe verkörpert wird. Anfangs jedenfalls.
Das Leben ist wie die Welt, also sowieso im Keller, grummelt der alternde Kerl mit Bauchansatz im düsteren Melancholie-Ton permanent vor sich hin; auch mit dem Sex stimmt es schon lange nicht mehr; Mann ist total blockiert. Eine „interessierte“ Kollegin (ebenfalls brillant: PARKER POSEY) bemüht sich gerne um diesen geistigen Elite-Fall, zunächst aber vergebens. Aber mit der hingebungsvollen Jill (Emma Stone) entwickeln sich die emotionalen Dinge. Zumal Abe Lucas eine neue „Berufung“ verspürt. Die ihn aus seiner Lethargie herausholt. Zufälligerweise kriegt er mit, dass ein „böser“ Richter einer „guten“ Frau Unrecht antut. Das elektrisiert den bislang Spaß resistenten Philosophen, der für sich beschließt, „etwas Gutes“ zu tun, indem er den Richter eliminieren will. Sein heimlicher Privatbeschluss lautet fortan: Dieser Richter schadet ganz offensichtlich der Gesellschaft; er soll „weg“. Sterben.
Voller Enthusiasmus und um 180 Grad Lebenslust gedreht, macht sich Abe ans „gute“ Werk. Während sich der Dostojewski-Roman „Schuld und Sühne“ in seinem häuslichen Bücherregal befindet, sozusagen bildlich auf „Anwendung“ lauert und seine Umgebung rätselt, wieso der Typ plötzlich so ungemein prima „drauf“ ist. Mit voller Energie und ungewohntem Tatendrang. In jeder Beziehung.
Die schmutzigen Wahrheiten des Lebens. Imponieren. Ziehen einen hoch. Also raus. Aus dem verdammten alltäglichen Normal-Tief. Und Trott. Und wenn das Schicksal einen in diese reizvolle, neugierige Neu-Position hievt, dann darf sich das Woody Allen-Personal durchaus schon mal querdenkenden Fragen – und „Ausführungen“ – stellen. Nicht zum ersten Male: 1989 wurde in seinem Werk „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (s. Kino-KRITIK) schon die Grundfrage nach „erlaubten“, weil möglicherweise moralisch vertretbaren „Unanständigkeiten“ wie Mord köstlich gestellt. Ebenso wie 2005 in dem feinen Geniestreich „Match Point“ (s. Kino-KRITIK), wo Allen „die Teerunden der britischen Upper Class aufwirbelte“. Mit Hitchcock-Appeal. Oder 2007, in seiner proletarischen Groteske „Cassandras Traum“ (s. Kino-KRITIK), einer kuriosen „Studie der menschlichen Korrumpierbarkeit“ („Süddeutsche Zeitung“).
Hier nun wieder einmal: Wer, besser was macht uns? Ist Schicksal ein zufälliges Ereignis oder manipuliert es uns gemein? Ist Schicksal gar Bestimmung? Gegen die wir uns gar nicht wehren können/wollen/sollen? Joaquin Phoenix als „Woody Allen auf dem Alter-Ego-Weg“, mit neunmalfeinem lebens-theoretischem Intellekt, weltlicher Müdigkeit und ironischer Possenhaftigkeit, trifft genüsslich wie kongenial den verschiedenen Prof-Ton, tief-unten wie euphorisch-oben. Die attraktive Emma Stone glänzt in der Wandlung vom Mädel zur konsequenten „gefährlichen“ Moralistin.
Stimmungsvoll-lustig jedenfalls, dass Woody Allen diesmal nicht mit jazzigen Uralt-Klängen aufwartet, sondern das Ramsey Lewis Trio mit ihrem Instrumental-Klassiker „The ‘In‘ Crowd“ von 1964 pointiert einsetzt. Benutzt. Was für kauzige Schmunzel-Schwingungen sorgt. „Irrational Man“ ist ein schmuckes Kino-Leckerli dieses einzigartigen Philosophen-Filmers und Genies Woody Allen (= 4 PÖNIs).