FOXCATCHER

Komiker sind oft ziemlich ernste Menschen. Melancholische „Gestalten“. STEVE CARELL, geboren am 16. August 1962 in Concord, Massachusetts, habe ich bisher nicht unbedingt ernstgenommen. In Filmen wie „Get Smart“, „Dinner für Spinner“, „Evan Allmächtig“ oder zuletzt „Die Coopers – Schlimmer geht immer“ war er für mich eine Art Ami- „Louis de Funès“. Zapplig, irgendwie „daneben“, aber nie besonders komisch. Beziehungsweise: Komik(er) im Routine-Bereich. Allerdings, da gab es auch einen spannenden Auftritt in „Little Miss Sunshine“, 2006, wo er als schwuler Proust-Forscher Frank für Interesse sorgte. Aber: IHN einmal in „Oscar“-Nähe zu erleben, hielt ich für ziemlich unwahrscheinlich. Und musste mich eines Besseren belehren lassen. In einem neuen Film, in dem STEVE CARELL eine wahrhaft „Oscar“-reife Leistung zeigt und verdientermaßen auch eine Nominierung bekam. Wie auch dieser herausragende Film, der insgesamt gleich fünffach für die bedeutendste Trophäe der Filmwelt nominiert war, den ich beim Kinostart Anfang Februar diesen Jahres leider verpasst habe und der jetzt unbedingt der dringenden Heimkino-EMPFEHLUNG bedarf:

„FOXCATCHER“ von Bennett Miller (Co-Produktion + R; USA 2013/2014; B: E. Max Frye, Dan Futterman; K: Greig Fraser; M: Rob Simonsen; 135 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 25.06.2015).

Der Typ „tickt“ doch nicht ganz richtig, ist gleich beim ersten Anschauen zu spüren. Doch er verfügt über dermaßen viel Kohle, dass viele gerne „darüber“ hinwegsehen: John Eleuthère du Pont. Erbe einer französisch-amerikanischen Industriellen-Dynastie. Eine Sippe, bestehend aus Geld und Macht. John du Pont, untersetzt, ausgestattet mit einer besonders hervorstechenden Cyrano von Bergerac-Nase, sieht sich als amerikanischer Hero. Patrioten. Als Herrscher wie Vater. Über sein Reich. Der in Pennsylvania abgelegenen, weitläufigen „Foxcatcher“-Farm. Wo er beabsichtigt, Ringer „zu züchten“. Für den absoluten, sportlichen Erfolg. Sprich: Weltmeister, Olympiasieger. Nur kommende Sieger interessieren ihn. „Ich will, dass SIE gewinnen, deshalb sind sie hier“: Mark Schultz (CHANNING TATUM) war vor drei Jahren, bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, Olympiasieger im Freistil-Ringen (bis 82 Kilogramm). Seitdem trainiert der Muskel-Boy täglich mit seinem Ringer-Bruder, dem damals ebenfalls Goldmedaillen-Sieger (bis 74 Kilogramm) David (MARK RUFFALO). Für die nächsten höheren Aufgaben, Weltmeisterschaft und die 88er Olympiade in Seoul. Während Mark ein verschlossener Mensch ist, der über wenige soziale Kontakte verfügt, hat sich David „abgenabelt“, wie es Mark sieht, hat die bezaubernde Nancy (SIENNA MILLER) geheiratet, eine Familie gegründet, in die zwei Kinder geboren wurden. David ist ein guter Freund, Trainer und zugleich Mentor seines schlichten Bruders. Für den Ringen der totale Lebensinhalt bedeutet. Als John du Pont sich bei ihm meldet, zieht er auf dessen luxuriöses Anwesen. Ist bereit, gemeinsam mit dem exzentrischen Geld-Adligen, der sich gerne auch „Golden Eagle of America“ nennt, neue Herausforderungen anzunehmen. Bruder David, den du Pont auch „haben“ möchte, lehnt ab; für ihn sind Familie und häuslicher Standort wichtiger.

Der reiche Alte. Der waffenvernarrte Voll-Neurotiker. Der sabbernde Patriot mit Hang zum Größenwahn. Der verzweifelte Mensch. Der, irgendwie, von Anfang an, „gefährlich“ wirkt. Offensichtlich mit einer Zweitfassade ausgestattet ist. Und solange auf „nett“ macht, solange alle nach seiner Geld-Pfeife tanzen. Doch wehe… kann man vermuten. John du Pont, der Millionen-Dollar-Man, der vornehmlich im Trainingsanzug mit der Aufschrift „Team Foxcatcher“ herumläuft. Ab und an selber noch „fightet“, um sich als (lächerlicher) „Sieger“ zu bestätigen. Feiern zu lassen. Der sozial aber anscheinend völlig verkümmert ist. Vereinsamt. Aber listig wie ein Ego-Diktator regiert. Manipuliert. Mit seinem vielen Geld diktiert: „ICH führe Männer an; ICH trainiere sie; ICH unterrichte sie; ICH gebe ihnen einen Traum – und Amerika Hoffnung!“ Dabei sehnt sich John du Pont nur nach der Endlich-Anerkennung seiner Mutter.

Doch Jean du Pont (VANESSA REDGRAVE), die ihm in der Kindheit mal einen Freund „kaufte“, zeigt ihm nur die kalte Schulter, kritisiert nur abfällig sein „sinnloses“ Tun und Handeln. Deshalb sucht John du Pont woanders Bestätigung. Dem simplen Mark stülpt er Freund und „Ersatz-Vater“ über. Und Mark tappt in die Psycho-Falle. Fühlt sich in der „neuen Familie“ wohl. Lässt sich mit Kokain „verwöhnen“. Wird zur abhängigen Marionette seines „Herrn“. Bis dieser seinen Bruder doch „bekommt“. Für viel Geld hierher holt. Als Co-Trainer. Was Mark, das Schoßhündchen, eifersüchtig werden lässt. Er will keinen „echten“ Konkurrenten am Hofe seines Königs. Vieles ändert sich fortan. Und steuert auf eine fürchterliche Katastrophe zu.

Eine wahre Geschichte. Die Amerika damals bis ins ideologische Mark getroffen hat. Ein Geld-Aristokrat als pervertierter Mentor. Mäzen. Öffentlicher Gut-Kerl. Damals, in den 80er Jahren. Mit schrecklichen Folgen. Was aber hierzulande nicht groß publik wurde.

Der Film „FOXCATCHER“ ist ein faszinierendes Psycho-Drama. Mit „Sport“ als Duftmarke. Als Synonym für „amerikanisches Erfolg-Sein“. Kaufen – Gewinnen. Der Blick auf ein System, das traumatische Geld-Dämonen hervorbringt. Wie jenen Mr. John du Pont als das hässliche, gestörte Gesicht Amerikas.

STEVE CARELL als Erzkapitalist, Alpha-Tierchen und menschlicher Dilettant John du Pont ist sensationell. Steve Carell in d e m An- und Auftritt seines Film-Lebens. Körpersprachlich nicht zu fassen-gut. Ausdrucksstark in der Gestaltung von sprachlosem Diktat. Erschreckend grandios als latent-misstrauisches, innerlich zerrissenes Oberhaupt von gekauften Untertanen. Phantastisch in seinen unterschwelligen Aggressionen und seiner wachsenden und dann rustikalen Paranoia. Eine solche Darstellung ist einzigartig. Unglaublich herausragend. Goldmedaillen-haft. Steve Carell hat sich mit diesem Part in die Spitzengruppe d e r amerikanischen Charakter-Asse hofiert. Der ganz große Applaus!

Nicht weniger bärenstark der sportive CHANNING TATUM („Magic Mike“). Als Mark Schultz mit geistigen Defiziten, aber im Matten-Kampf voll auf der Höhe. Channing Tatum mimt packend wortkarg, dabei aber außerordentlich – körpersprachlich, wie Steve Carell – voll mitteilsam. „Gesprächig“. Schließlich: MARK RUFFALO fügt sich in das sagenhafte Erlebnis-Ensemble als dynamischer, klar-blickender und dann sich doch – verständlicherweise – vom Geld einbinden lassender Kumpel-Bruder David überzeugend ein.

Seinen ersten größeren Filmerfolg hatte Regisseur BENNETT MILLER, geboren am 30. Dezember 1966 in New York, mit dem Dokumentarfilm „The Cruise“, der sich 1998 mit New-Yorker-Befindlichkeiten befasste. Sein erster Spielfilm „Capote“ (s. Kino-KRITIK) wurde für gleich 5 „Oscars“ nominiert; Philip Seymour Hoffman erhielt für den Titel-Part den Hauptdarsteller-„Oscar“. „Die Kunst zu gewinnen – Moneyball“ (s. Kino-KRITIK) bekam 2011 wieder viel Zuspruch, und für „Foxcatcher“ gab es fünf „Oscar“-Nominierungen. Zudem: Beim Filmfestival von Cannes erhielt Bennett Miller im Vorjahr für „Foxcatcher“ den Preis für die „Beste Regie“. Der filmische Triumphzug eines außergewöhnlichen Filmemachers. Dessen neuestes Werk von überragenden Akteuren getragen wird und mit einer herausragenden atmosphärischen Knister-Spannung „umhaut“.

Ein riesiges Film-Erlebnis: „FOXCATCHER“ (= 5 PÖNIs).

 

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