DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT

„DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT“ von James Marsh (GB 2013; B: Anthony McCarten, nach dem Roman „Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking“ von Jane Hawking/2008; K: Benoît Delhomme; M: Jóhann Jóhannsson; 123 Minuten; deutscher Kino-Start: 25.12.2014); die RICHTIG GUTEN Filmemacher schlüpfen einem bisweilen schon mal „durch“. Weil sie wenig in den Medien auftauchen, kaum von sich reden machen, nur ab und an mit ihren – hervorragenden – Filmen kurz auftauchen, um dann wieder „abzutauchen“. Auf den am 30. April 1963 im britischen Truro, Cornwall geborenen JAMES MARSH gilt es ab sofort immer „intensiv“ zu schauen. Spätestens mit/seit diesem fulminanten Wohlfühl-Film, um den es bei der kommenden „Oscar“-Verleihung „Gerangel“ geben wird.

Zuletzt fiel James Marsh mit dem irischen Drama „Shadow Dancer“ (s. Kino-KRITIK) 2012 auf; 2009 bekam er für seinen Streifen „Man on Wire“ den „Oscar“ für den „Besten Dokumentarfilm“.

Einen Menschen als Genie zu titulieren, fällt schwer. Zweifellos aber: STEPHEN HAWKING, geboren am 8. Januar 1942 in Oxford, GB, ist ein Genie. Sein 1988 veröffentlichtes Werk „Eine kurze Geschichte der Zeit“, in dem es um solch physikalische „Vorkommnisse“ wie den Urknall, die Quantentheorie oder Schwarze Löcher geht, wurde zum populär-wissenschaftlichen Meister- und Standardwerk. In rund 40 Sprachen übersetzt und mehr als zehn Millionen Mal weltweit verkauft. Stephen Hawking ist Wegbereiter der „Theory of Everything“, auch Welt-Formel, genannt. Dabei geht es um physikalische Phänomene, woher kommt das Universum und wann wurde alles wie ausgelöst; wie hängt das mit jenem zusammen und überhaupt. Simpel ausgedrückt, denn:

Physik hat mich nie interessiert. Deshalb habe ich Stephen Hawking immer „distanziert“ bestaunt. Nie begriffen, warum der Mann als eine Art Ikone = „Rockstar der Theorie“ = bezeichnet wird. Und andauernd mit „Pop-Kultur“ in Verbindung gebracht wird. Seit ich den Film kenne, gehört Stephen Hawking zu meinen Pop-Freunden. Ist mein (melancholischer) Joe Cocker der Physik. Ein ironischer Spaß-Haben-Wollen-Typ.

Er ist 21, als wir ihn auf dem Campus in Cambridge erstmals erblicken. Ein brillanter Geist, Doktorand des Fachs. Bisweilen ein wenig linkisch wirkend, dennoch kein einsiedlerischer Spinner. Oder attackierter Nerd. Ein schlaksiger, lebensfroher Intellektueller, dem Lernen, Forschen, Erkennen offensichtlich leicht fallen und der darum aus der sowieso schon oberschlauen Studentenmeute herausfällt. Und deshalb von seinem Prof (DAVID THEWLIS) vehement gefördert wird. Als er Romanistik-Studentin Jane Wild (FELICITY JONES) begegnet, ist es für den Großbrillen-Träger d e r emotionale Schlag. Zugleich geschieht etwas ganz Ungeheuerliches. Lebens-Gemeines. Stephen Hawking erkrankt. An einer besonders tückischen Nervenkrankheit. Kurz ALS genannt. Die Ärzte prognostizieren, geben ihm noch höchstens zwei Jahre. Dennoch heiraten sie 1965. Bekommen zwei Kinder. Aber: umso mehr sein körperlicher Verfall zunimmt, werden seine geistigen Fähigkeiten „davon“ nicht beeinträchtigt.

Wir kennen IHN. Wir kennen das Bild von dem Mann, der in einem Rollstuhl zusammengesunken sitzt und dennoch offensichtlich hellwach und in der Lage ist zu kommunizieren. Zu denken, mit technischer Hilfe „zu reden“, Stellung zu beziehen. Wünsche zu äußern. Beruflich wie privat. Regisseur James Marsh und seinem Team geht es nicht darum, eine mitleidheischende Leidensgeschichte eines außergewöhnlichen Multi-Talents zu offerieren, sondern ganz im Gegenteil eine wunderbare Mitgefühl-Geschichte zu erzählen, bei der, ganz wichtig, „Haltung“ nie abhandenkommt. Gleich Würde. Mit einfühlsamem wie listigem Briten-Humor argumentiert man sanft wie beharrlich pointiert. Und trifft damit den brillanten Verstands-Menschen Stephen Hawking präzise, der ja für seine komischen Gastauftritte in populären US-TV-Serien wie „The Big Bang Theory“ (über sozial gestörte Physiker) oder „Die Simpsons“ bekannt ist.

Ein großer Denker und Gefühlsintellektueller ist fürchterlich eingeschränkt, macht daraus aber keine Dauer-Laudatio, sondern mischt immer wieder und wieder mit, um auch weiterhin seinen Spaß an der „irdischen Fummelei“ abzubekommen. Und vermag dabei sogar mit vorne an der irdischen Star-Rampe zu stehen. Ein kluges, lebenslustiges und charmantes Menschen-Kind tut sich hier spitzbübisch auf. Ohne belehren oder gar beschönigen zu wollen. Ein Leben UNTER UNS ist halt mal SO. Geworden. Lauten die unterhaltsamen, lakonischen Signale.

Die Sensation heißt EDDIE REDMAYNE. Geboren am 6. Januar 1982 in London. In „My Week with Marilyn“ von Simon Curtis becircte er 2011 auf sehr subtile Gefühlsweise „Marilyn Monroe“. Ansonsten hatte er im Kino zuletzt auch einen viel gelobten Auftritt im Musical „Les Misérables“ (2012). Als Stephen Hawking ist EDDIE REDMAYNE phänomenal. Nicht aufdringlich, aber (GANZ) stark präsent; nicht draufgängerisch, um zu imponieren oder als „Held“ zu strahlen, sondern mit einer unglaublich einfühlsamen, (SEHR) berührenden Zärtlichkeit, die nie etwas mit Kitsch zu tun hat. Wie es EDDIE REDMAYNE gelingt, den körperlichen Zerfall und diese enorm schmerzhafte Deformierung eines jungen Mannes so auszudrücken, dass daraus zugleich Kraft, Stärke, Sensibilität, also die große Aura-Persönlichkeit zum fast bewegungslosen „Mr. Universum des Geistes“ erwächst, ist eine akribische, feine und überragende Charakter-Performance. Vollgefüllt mit Spannung und faszinierendem Staunen. Über eine dermaßen überzeugende darstellerische Wieder-Gabe. Die „Oscar“-Nominierung ist gewiss.

Zum Jahresende 2014 haben wir mit „DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT“ noch einen Film-Riesen ins Kino bekommen. Wunderbar! (= 4 ½ PÖNIs).

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