BALLON

PÖNIs: (5/5)

„BALLON“ von Michael „Bully“ Herbig (Co-B + Co-Produzent + R; D 2017; Co-B: Kit Hopkins; Thilo Röscheisen; K: Torsten Breuer; M: Ralf Wengenmayr; 125 Minuten; deutscher Kino-Start: 27.09.2018); als im Vorjahr bekannt wurde, woran „Bully“ Herbig aktuell arbeitet, war Verunsicherung angesagt. Von wegen – „Bully“, der erfolgreiche Komiker/ Comedian/ Schauspieler/ Regisseur/ Autor, mit Hits wie „Der Schuh des Manitu“ (2001); „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“ (2004) und zuletzt mit der „Bullyparade“ (2017/s. Kino-KRITIK) immer auf dem komischen Filmweg unterwegs – kann DER auch „ernst“? Sein und filmisch veranstalten? Gleich mal vorweg die Antwort: ER KANN. UND WIE!

In der deutschen Filmbranche existiert in Sachen Genre-, also Spannungskino, große Verunsicherung. Also: Leere. Um kritischen Förderungsnörglern aus dem Weg zu gehen, traut man sich selten an einen a) puren, also reinen thrillerhaften Stoff und b) schon gar nicht an einen gesellschaftspolitischen deutschen Stoff heran und c) wenn dann doch mal, dann oft mit viel erzählerischer Trockenheit und ideologisch und moralisch korrekt. „Steig. Nicht. Aus!“ (s. Kino-KRITIK/jetzt im Heimkino) war neulich mal der gelungene Versuch, mit hiesigem schmutzigen Straßen-Kino zu begeistern. Aber sonst… wühlen wir gerne in der Historie oder erschöpfen uns in beziehungsreichem Problem-Beziehungskrams. Oder erzählen bunte Pippi-Märchen. Oder suhlen uns bescheuert in spätpubertären Hoden-Juxereien. Polemisch gesprochen. Oder: „Solche Versuche“ wie kürzlich Detlev Bucks „Asphaltgorillas“ – 62.219 Kinobesucher seit dem Kinostart 30. August, bis zum 16.9.18 – saufen ab. Wie man RICHTIGE, atemberaubende, temporeiche, atmosphärische, darstellerisch packende SPANNUNG zelebriert  =  Michael Herbig macht es vor beziehungsweise zeigt es uns-allen.

Er nimmt sich einer deutsch-deutschen Geschichte an, die tatsächlich passiert ist, befasst sich aber mit DER weder dokumentarisch noch heroisch – wie es einst, heroisch-verklemmt, der jämmerliche Ami-Film „Mit dem Wind nach Westen“ von 1982 mit demselben Thema tat (s. Kino-KRITIK) -, sondern nutzt bzw. benutzt sie als Ausgangspunkt für einen bärenstarken Unterhaltungsfilm. Herbst 1979. In der DDR. Präzise: Im dörflichen Thüringen. In Pößneck. Blick auf die Familien Strelzyks und Wetzels. Acht Personen einschließlich vierköpfigem Nachwuchs. Man hat vom „ersten Sozialismus auf deutschem Boden“ die Schnauze gestrichen voll. Man will ‚rüber-machen. Die Freiheit atmen. Um selbstbestimmt leben zu können. Luftlinie zum Westen: kaum 50 Kilometer. Mit einem selbstgenähten Heißluftballon plus der notwendigen zusammengesuchten, zusammengezimmerten Mechanik. Man ist bereit. Michael Herbig verzichtet auf Vor-Erläuterungen, detaillierte Hintergründe und lange Vor-Motive. DIE wollen weg, das ist so. Das Verständnis dafür wird – ohne spuckenden Töne – vorausgesetzt, keine weitere Diskussionen nötig. Dies würde doch nur aufhalten. Dies empfindet man als Betrachter auch so und: Weiter. Doch der kurzfristige Allein-Versuch der Familie Strelzyk misslingt. Ein paar wenige Meter vor der Grenze. Natürlich werden ihre Hinterlassenschaften entdeckt. Volkspolizei und Stasi rücken an. Währenddessen nehmen nunmehr doch beide Familien „Fahrt“ auf. Um einen zweiten Ballon-Fluchtversuch zu starten.

Ab sofort ist Schweißhände-triefende (An-)SPANNUNG angesagt. Auf zwei Erzählebenen. Hier die verzweifelten, von Dauerangst begleiteten Bemühungen der Erwachsenen, erneut „das Material“ zu besorgen, alleine die umfangreich-benötigte Menge Stoff zu bekommen; dort die Spurensuche der „Organe“, angeführt von Stasi-Oberstleutnant Seidel (THOMAS KRETSCHMANN), einem pragmatischen, schlauen Ermittler, dem man so leicht nichts vormachen kann und der die Puzzle-Spuren mehr und mehr zusammenzusetzen weiß. Den intensiv gesuchten „Tätern“ immer näher kommt.

Die Souveränität, mit der Michael Herbig und sein Team – Schnitt: ALEXANDER DITTNER – dies erzählen, vorantreiben, ist erstaunlich und ergibt toll perplexes, überrumpelndes, grandios-temporeiches Allererstes-Suspense-Sahne-Kino. Obwohl der Ausgang bekannt ist, steht immer die Frage des WIE im Raum: WIE haben DIE DAS, trotz dieser riesigen Widrigkeiten, hingekriegt. Hinbekommen. „Gemacht“. Selten in einem deutschen Film dermaßen „gebibbert“. Die Emotionen brodeln. Ununterbrochen.

Das BRAVO gilt dem gesamten Ensemble, bei dem – auch und vor allem beim Nachwuchs – keine Schwächen auszumachen sind. FRIEDRICH MÜCKE & KAROLINE SCHUCH sind Peter & Doris Strelzyk. DAVID KROOS & ALICIA VON RITTBERG sind Günter und Petra Wetzel. Authentisch. Einfühlsam. Akribisch 1:1. Ihr Gegenspieler ist nicht die sonst so typische Film-Stasi-Dumpfbacke, dick, krakeelend, schwitzend, sondern ein bauernschlauer, tückischer Ermittler-Profi, in dessen Profil ein THOMAS KRETSCHMANN, unser Hollywood-Deutscher („Der Pianist“), der 1983 selbst die Seiten von Ost nach West flüchtend wechselte, und mit kurzgeschorenen Haaren und Schnauzer kaum wieder zu erkennen ist. Was für eine brillante Charakterstudie!

Hut ab, großer Respekt und sehr viel verblüffende wie sehr wohlwollende Anerkennung für einen Thriller Marke Hitchcock. „BALLON“ ist zur Zeit – neben dem ebenfalls sehr spannenden und (noch) viel zu unterschätzten Spielfilm „Wackersdorf“ – das Spannungs-BESTE, was derzeit an deutschem Film im KINO läuft (= 5  PÖNIs).

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