WIR

„WIR“ von Jordan Peele (R + B; USA 2018; K: Mike Gioulakis; M: Michael Abels; 117 Minuten; deutscher Kino-Start: 21.03.2019).

Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug

Der New Yorker Jordan Peele, der als Part des afroamerikanischen Comedy-Duos Key & Peele im Fernsehen berühmt und 2014 vom Time Magazine in die Liste der einflussreichsten Personen aufgenommen wurde, war schon immer für Überraschungen gut. Erstens: als er sich 2017 dazu entschied, ursprungsfern keine Komödie, sondern einen Horror-Film zu drehen; zweitens: dabei spannende Unterhaltung mit einem prekärem Thema verband und drittens: im Anschluss daran unzählige Nominierungen/Auszeichnungen für dieses überragende Debüt erhielt. Darunter die drei mit-wichtigsten „Oscar“-Kategorien („Bester Film“; „Beste Regie“; „Bester Hauptdarsteller“) und letztlich der Gewinn eines „Goldjungen“ für das „Beste Originaldrehbuch“. Die Rede ist natürlich von GET OUT: Ein beängstigendes Meisterwerk über indiskutablen Rassismus, das mit seinen originellen Twists und klugen Erzählweisen diesen Preis völlig zurecht erhielt (s. Kino-KRITIK). Fragen wie – was ist überhaupt typisch „weißes“ Verhalten? Beziehungsweise was ist typisch „schwarz“? Wie auch: was sollte eigentlich typisch „menschlich“ sein?! – beschäftigten sich darin mit einer unzulässigen Kategorisierung innerhalb unserer Gesellschaft, die (leider) immer noch relevanter Diskussionen bedarf. Nicht nur im Kino. Ebenso wichtigen Gesprächsinput bietet sein neues Werk: WIR. Der Originaltitel „US“ (= Englisch für „uns“) bietet dabei noch eine andere essentielle Zweideutigkeit. Denn die Buchstaben „US“ stehen auch für das Kürzel der „United States“ (of America). Ein Land, in dem neben Rassismus, noch ein anderes Problem herrscht: soziale Ungerechtigkeit. Auf diese will nun die Geschichte von WIR im wahrsten Sinne des Wortes „erschreckend“ hinweisen, indem sie sich in zwei verschiedene Seh-Gefühl-Ebenen unterteilt.

EBENE 1: Die „oberflächliche“ Story. Adelaide Wilson (LUPITA NYONG`O; „Oscar“-Preisträgerin für ihre Nebenrolle in „12 Years a Slave“; Steve McQueen/2013) begibt sich mit ihrem Mann Gabe und ihren zwei Kindern in das Familien-Feriendomizil nach Santa Cruz. Als eines Nachts ihre aggressiv-animalischen Doppelgänger in das Haus eindringen, beginnt eine Jagd auf Leben und Tod. Rot bekleidet und mit einer Schere bewaffnet sind sie einem unterirdischen Tunnelsystem entkommen, in dem die amerikanische Regierung einst Experimente an Klonen erprobte, die dazu dienen sollten die Bevölkerung „oben“ zu kontrollieren. Das ging natürlich gewaltig schief.

EBENE 2: Der „tiefe“ Sinn. Das Land ist also in zwei Gesellschaften unterteilt. Die „Unterschicht“ und die „Oberschicht“. Allein diese beiden Begriffe machen schnell deutlich worauf Peele mit seinem neuen Film hinauswill. Während die Kopien in Höhlen fernab der „Sonne“ hausen, rohes Kaninchenfleisch essen müssen und als seelenlose Marionetten an die Handlungen der „Obrigkeit“ gebunden sind, lebt das wortwörtlich höher-gestellte Volk im „Licht“: mit Prunk, Völlerei und Zukunftsperspektiven. Chancengleichheit innerhalb dieser Struktur – Fehlanzeige. Unter dieser Betrachtung sind die Interpretationsmöglichkeiten der audio-visuellen Bilder nahezu unendlich. Als da wären: Das weiße Alice-im-Wunderland-Kaninchen als Wegweiser in die dunklen Gänge des Klon-Baus; das Mahnmal der „Hands-Across-America“-Demonstration, innerhalb der sich Leute 1986 an den Händen hielten, um eine Kette für Menschenrechte zu bilden oder der alles überschattende „Unter“-Ton: Was passiert mit Kindern der gleichen DNA, die in unterschiedlichen Sozialschichten aufwachsen? Irrungen und Wirrungen sind die Folge. Wendungen, die an dieser Stelle zum Selber-Erleben, -Mitdenken und -Mitfühlen einladen.

Jordan Peele jedenfalls hat ein weiteres Grusel-Prachtstück abgeliefert, das „us“ – also uns -, wenn wir uns darauf einlassen, gedanklich noch einige Zeit verfolgen wird. Angsteinflößend wirklichkeitsnah. Unfair. Und trotzdem Realität. Dieser wahrhaftige Schrecken überträgt sich einerseits natürlich durch die beängstigende Vorstellung, nichtsahnend irgendwo einen niederträchtigen Zwilling zu haben, der uns an den Kragen will (dargestellt durch eine überragende Doppelleistung der Schauspieler wie SHAHADI WRIGHT JOSEPH als Tochter „Zora“ respektive ihr dunkles Spiegelbild „Umbrae“) und zweitens durch das wortwörtlich u n h e i m l i c h ernste Thema einer vorherrschenden Doppelmoral innerhalb der verschiedenen Staaten. Nicht nur „von“ Amerika. Als gespiegeltes Böses in uns, und um uns herum, das wir alle verantworten oder bekämpfen müssen. Ein harter Horror-Tobak, verpackt in düstere, blutige Bilder, vor denen wir die Augen nicht verschließen dürfen. Unerträglich. Bitter. Um dieses dystophische Volksbild aber nicht zu sehr ausarten zu lassen, besinnt sich der Regisseur zeitweise auch auf seine Comedy-Wurzeln. Und so sorgt zum Glück WINSTON DUKE als Papa Gabe in vielen nervenzerreißenden Szenen für einen erlösenden „Comic Relief“. Eine auflockernde Komik, die den Zuschauer wenigsten für kurze Zeit von einer beängstigenden Tatsache ablenkt. Reelle Studien haben es heute längst bewiesen: Jeder auf der Welt besitzt mindestens ein (nicht nur genetisches) Pendant. Hoffentlich hatte in dem Fall die Natur, und nicht die Politik, die Hand im Spiel.

„WIR“ – oder: Unten gegen Oben. Arm gegen Reich. Privilegiert gegen Benachteiligt… eine intelligente Horror-Inszenierung, die aufklärt, Angst macht, philosophiert u n d unterhält (= 4 „Carrie“-PÖNIs).

 

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