DIE WAND

PÖNIs: (4,5/5)

„DIE WAND“ von Julian Pölsler (B + R; Ö/D 2010/2011; nach dem gleichn. Roman von Marlen Haushofer; K: J.R.P. Altmann, Christian Berger, Markus Fraunholz, Martin Gschlacht, Bernhard Keller, Helmut Pirnat, Hans Selikovsky, Thomas Tröger, Richi Wagner; 108 Minuten; deutscher Kino-Start: 11.10.2012); das Schöne, das wirklich Wunderschöne hieran war – ich habe diesen Film ohne jedwede Vorkenntnis gesehen. Und: nicht bereits im Frühjahr, anlässlich der Aufführung im Special-Programm beim Berlinale-Panorama, sondern erst kürzlich. Innerhalb einer „ruhigen“ Pressevorführung. Und 2.: Ich kannte bislang auch nicht die literarische Grundlage, den gleichnamigen Roman der österreichischen Schriftstellerin MARLEN HAUSHOFER (*11.4.1920 – †21.3.1970). Aus dem Jahr 1963. Habe diesen erst „daraufhin“ kürzlich verschlungen. Als Taschenbuch. Die Begeisterung ist jetzt total. Umfassend. „Die Wand“ als wundersamer, gedankengroßer Philosophie-Thriller.

Denn: seitdem läuft bei mir die faszinierende Interpretationswelle. Aber zum Ausgangspunkt: Ihr Name ist unbekannt. Nur: DIE FRAU. Aus der Stadt. Diese fährt eines Tages mit Cousin und Cousine und deren Hund Luchs in die Gebirgslandschaft Österreichs. Zu deren Hütte. Für einen Wochenendausflug. Kaum angekommen, begibt sich das Ehepaar „kurz mal“ zu Fuß in Richtung Dorf. Um auszudampfen. Vor der Abenddämmerung will man zurück sein. Doch am nächsten Morgen sind sie immer noch nicht zurück. Die Frau geht also los, um nachzuschauen. Was los ist. Wo Hugo und Luise bleiben. Luchs ist an ihrer Seite aber „bricht“ plötzlich ab. Läuft nicht mehr weiter. Während die Frau an SIE stößt: an die Wand. Eine unsichtbare Wand. Die sie ab- und eingrenzt. Gerade vor ihr, dann aber auch links, rechts, hinter ihr. Überall: DIE WAND. Die sie fortan vom Rest der Welt trennt. Eine unerklärliche, ungeklärte Grenze. Einfach so. Während die Geräusche der Natur „völlig normal“ sind.

Es dauert, bis die Frau begreift: Was & Das. In der Hütte sind Lebens- wie Überlebensmittel. Für Mensch und Tier. Zunächst. „Ausbruchsversuche“ an verschiedenen Drumherumorten scheitern. Die Frau ist allein. Mit sich. Und dem Hund. Dann auch mit einer Kuh, die plötzlich auftaucht. Sowie zwei Katzen. Wie soll sie, wie wird sie fortan denken, handeln, fühlen? Das neue Da-Sein empfinden? Im Tagebuch werden die Gedanken und „Ereignisse“ festgehalten. WIR hören, erfahren, davon. Und erleben die existenzielle Welt eines Menschen, der zwar leben, überleben darf, aber wie einst Robinson Crusoe völlig „gestrandet“ ist. Sich nur noch in einer überschaubaren Region bewegen kann. Aber von dort nicht fort kann. Offensichtlich auch nie mehr fortkommt. Und sich plötzlich mit Fragen, Sinn-Fragen der Menschheit, konfrontiert sieht. Sich mit und in der Natur allein befindet und für sich allein, also grübelnd, verzweifelt, aber dann auch immer selbstbewusster entscheiden muss, was – wie – warum. Tue ich. Oder auch nicht. Ohne auf das Weshalb eine Antwort zu erhalten.

Was würde „man“ selbst machen? Hätten wir eine Chance „bei so etwas“? Könnten wir überhaupt dermaßen „unzivilisiert“, als verwöhnte, gelenkte Städter, mit einer solchen Situation/Konfrontation umgehen? Wenn nur – zunächst – das Notwendigste „da“ ist, um weiter existieren zu können? Wenn mittenmal „Tier“ zu einem bedeutungsvollen „Werte-Partner“ an der Lebensseite wird. Wenn bislang oberflächliche Betrachtungen, Ansichten, Benutzungen von Steinen, Bäumen, Erde und Witterung „wichtig“ werden. Wenn dieses ganze Schema vom Sein neu „interpretiert“ werden muss. Wo es „Nahrung“ strapaziös zu „beschaffen“ gilt. Wo Hand-Arbeit eine völlig neue Bedeutung bekommt. Wo kein soziales Netz einen „auffängt“. Wenn das tägliche menschliche Leben ein totales Allein-Leben bedeutet. Ohne zwischenmenschliche Kontakte. Ohne den gewohnten Austausch. Ohne gewohnte Zuwendungen. Menschliche Berührungen. Ohne das ALLES, was wir tagtäglich selbstverständlich nutzen. Be-nutzen. Brauchen. Ge-brauchen. Zum Schutz. Zur Pflege. Zur Existenz. Zur Lust. Hier ist jetzt die komplette Isolation angesagt. Angezeigt. Vorhanden. Vor allem auch die seelische Isolation. Nur intensiv aufgebrochen durch die Anwesenheit der Tiere. Eine vollständige klaustrophobische Situation. Atmosphäre. Erkenntnis. Bei der Schreiben hilft. Zu helfen vermag. Das Aufschreiben. Als Aufarbeiten. Um die Sprache nicht vollständig zu verlieren. Um nicht total verrückt zu werden. Und um die Angst etwas im Keim zu behalten. Unter Kontrolle. Denn Angst frisst zu gerne Seele auf. Dagegen steuern, dagegenhalten fällt der Frau lange schwer. Dann aber hat sie ES im Griff. Halbwegs. Seelen zittrig, aber immerhin. Sowie auch physisch. Auch als der Mann auftaucht. Und zur immensen Bedrohung wird.

WIE DAS umsetzen? Diesen Weg zum totalen Ich eines Menschen? Viele Jahre galt der Roman „Die Wand“ als nicht verfilmbar. Der existenzielle Solo-Lauf einer „stummen Schreib-Frau“, wie kann das filmisch umgesetzt, gestaltet werden? Der 1954 in der Steiermark geborene Autor und Regisseur Julian Pölsler setzt bei seinem Kino-Debüt auf erklärende Körper-Bewegung und den erzählerischen Rhythmus aus dem Off. Von MARTINA GEDECK. Die 50-jährige Münchnerin mit den vielen Auszeichnungen ist auf der Bühne wie im Film („Das Leben der Anderen“; „Der Baader Meinhof Komplex“) künstlerisch Zuhause. Als „Die Frau“ trifft sie in diesem abstrakten neugierigem Spiel ihre Einzelgängerin mit unaufdringlich-eindringlicher Präsenz. Martina Gedeck strahlt diese „nötige“, ungemein sensible Kraft aus. Die notwendig ist, eben Neugier, Anteilnahme wie Kopf-Interesse beizubehalten. Sie vermittelt faszinierend die schwierige innere Gefühlslage dieses Sinn-Wesens. Frau. In jedem Moment. Bei jedem Motiv. Inmitten dieser „seelenverwandten“ kantigen wie meditativen Gebirgslandschaft.

Ein toller Film. Als „dolles“ Erlebnis. Mit heutigem Mystery-Charme. Zum lustvollen Schauen. Und spannenden Denken. Und mit enormer Wirkung. Bei zwei Schwächen: Die Musik, sich äußernd mit Cello oder Bratsche oder Violine, ich vermag dies nicht immer zu unterscheiden, ist typisch deutsch-tränend. Quälend. Mit nur deprimierenden Signalen. Immerweg trostlos. Dröge. Und als aufpassender Regisseur hätte ich Luchs, dem treuen Hunde-Gefährten, dann das enge und „witzlose“ Halsband abgenommen. Es dient zu rein gar nix. Mehr. Hier. Ist vollkommen überflüssig. Was „klein“ anzumerken bitte ist. Ansonsten – der Film „DIE WAND“ schlägt in den vollen Bann und ist ein außergewöhnliches „deutschsprachiges“ Kino-Ereignis (= 4 ½ PÖNIs).

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