„VICE – DER ZWEITE MANN“ von Adam McKay (B + Co-Produktion + R; USA 2017/2018; Co-Produktion: Brad Pitt, Will Ferrell; K: Greig Fraser; M: Nicholas Britell; 132 Minuten; deutscher Kino-Start: 21.02.2019); der am 7. April 1968 in Philadelphia geborene ADAM McKAY, einst – von 1995 bis 2007 – „aufgewachsen“ als Autor bei der legendären US-„Saturday Night Live“-TV-Show, hat 2015 mit „The Big Short“ (s. Kino-KRITIK) glänzend bewiesen, wie er komplexe, an sich zunächst „langweilige“, „theoretische“ (hier: Finanz-)Themen in einen spannenden Spielfilm-Disput umzusetzen versteht. Und in „Ricky Bobby – König der Rennfahrer“ (s. Kino-KRITIK) setzte er 2006 seinen ganz „speziellen“ Anarcho-Humor zünftig in Gang. Hier ist und wird er auf seine exzellente Weise hochpolitisch. Wobei wir immer auch im Augenschein behalten müssen, dass es sich zwar hier „nur“ um anrüchige, gestrige amerikanische Politik handelt, die aber auf viele (auch internationale) Parallelen im Jetzt verweist. Wie wir gedanklich-erschreckend zur Kenntnis nehmen dürfen. Müssen.
Da stellen wir uns mal janz dumm (wie Professor Bömmel/Paul Henckels in der „Feuerzangenbowle“ zu sagen pflegte): Wat is ’ne Demokratie? Eine Demokratie findet statt, wenn es zu einem Thema verschiedene Meinungen gibt. Dann wird, zum Beispiel im Parlament, diskutiert und dann darüber abgestimmt, und was die Mehrheit will, das wird dann von den Macht-Ausübenden gemacht. Umgesetzt. So einfach is dat. Ist es aber nicht. Zumindest nicht – mehr – in den Vereinigten Staaten von Amerika. Hier haben wir es seit vielen Zeiten mit einer Art „demokratischer Diktatur“ zu tun. Kurzum: der oberste Mächtige, genannt Präsident, schert sich einen Dreck um demokratische Regeln, Gepflogenheiten, ums allgemeine Gemeinwohl, sondern ufert seine Macht-Bestrebungen bzw. -Befugnisse in Richtung „Alleinherrschaft(er)“ aus. Bestimmt quasi solo, wohin die Gesellschafts-Reise künftig geht.
DICK CHENEY, geboren am 30. Januar 1941 in Lincoln, Nebraska, war auch ein solcher Tyrann. WER, bitte? Nein, nicht der damals amtierende Präsident bestimmte die Politik, sondern – während der Ära von George W. Bush – dieser listige, böse Manipulator mischte sich amtlich „gerne“ entscheidend mit-ein, wenn es darum ging, direkte Macht auszuüben. Obwohl der Republikaner Richard Bruce „Dick“ Cheney von 2001 bis 2009 „nur“ der 46. VIZE-Präsident der Vereinigen Staaten war, also eigentlich nur fürs Repräsentieren zuständig war und nur darauf hoffen konnte, dass der Präsident während seiner Amtszeit „ausscheidet“ und ER dann für die Führung des Landes zuständig wäre. Also eher ein Langeweile-Job. Doch Dick Cheney wandelte sich von einem Paulus zum Saulus. Mit den bekannten üblen Folgen. Die Inszenierung des Irak-Kriegs, ausgelöst durch amtliche Lügen; die Legitimierung von Folter; Absprachen mit der gierigen Öl-Industrie; also Exzesse des Lobbyismus / gezielte, bewusste öffentliche Desinformationen / dauerhafte Falschmeldungen, heute als Fake-News „normal“.
Am Anfang, 1963 in Wyoming, ist der 22-jährige Kerl allerdings noch (sehr) weit weg von irgendwelchen Posten und entscheidenden Positionen. Cheney (überragend: CHRISTIAN BALE) übt sich als Rauf- und Trunkenbold, landet im Knast, während seine „engagierte“ blonde Ehefrau Lynne (großartig: AMY ADAMS) die „gelbe“ (Ehe-)Karte zieht. Entweder erweist du dich ab sofort als Mann oder ich bin weg. Dick wurde brav und folgte fortan den Ansprüchen seiner Gattin. Als Muster-Amerikaner. Aber einer, der zunehmend in Hinterzimmern mit Macht-Fäden hantierte. Zur personifizierten, insgeheim gemeingefährlichen „Grauen Maus“ avancierte. Der übrigens nur zufällig in die Reihen der Republikaner stieß, weil ihn der dortige, unruhig herumwuselnde und andauernd sein zynisches Gift breit verspritzende oberzynische Donald Rumsfeld (beeindruckend: STEVE CARELL), der spätere Verteidigungsminister, ihn unter seine Fittiche nahm und ihm zünftigen Manipulationsschliff beibrachte. So dass der Aufstieg in den Zirkel der Macht überhaupt erst möglich wurde. Wo Cheney seine machtpolitischen Strategien in die Tat umsetzen konnte, weil sich ein schwächlicher Bush Junior (herrlich: SAM ROCKWELL) überzeugen ließ, dass fortan das Amt des Vizepräsidenten sehr viel „anders“, also „aktiver“, also „entscheidender“ interpretiert werden, also = sein müsse. Mit IHM. Am Ende stehen die Bomben auf Bagdad, die Folterzellen von Guantanamo und die – laut Abspann – 500.000 zivilen Opfer des Irak-Kriegs sowie eine ständig unbefriedete und fortan brandgefährliche Welt-Region. Während sich Dick Cheney zuletzt still und besonnen an Uns-Zusehende wendet: „Es war mir eine Ehre, Ihnen zu dienen. Ich tat, was Sie wollten“.
Diese Mischung hinzukriegen, das fieberhafte, spannende, faszinierende Erzählen mit realen Fakten der Eben-Noch-Gegenwart und diese mit scharfsinnigem, spannendem Entertainment zu verbinden, das brillant als KINO unterhält, das ist die perfekte Lösung hier. „Dick Cheney hat alles getan, um so langweilig und bürokratisch zu wirken, dass keiner je einen Film über ihn machen kann„, erklärte der Autoren-Regisseur bei der Berlinale-Präsentation dieses achtfach „Oscar“-nominierten Werks kürzlich: „Wir haben es trotzdem getan“. Und WIE! Mit einem engagierten Ensemble, das sich einmal mehr überbietet im überzeugenden Zurschau-Stellen; allen voran der einmal mehr überragende, heute 45-jährige „Oscar“-Hero CHRISTIAN BALE („The Fighter“), der bereits im Januar mit dem „Golden Globe Award“ für seinen Part ausgezeichnet wurde und sich auch gute „Oscar“-Chancen ausrechnen kann. Bale verwandelt sich hier – mit vielen Extra-Kilos angefuttert – in „diese Masse“ Cheney bis zur eigenen Unkenntlichkeit, mit schütterem Haar und genialer Maske. Blickt hin und wieder „amüsiert“ direkt in die Kamera, um kurz danach wieder brillant hinterhältig-bitter-komisch „zu frotzeln“. Marke: Stellt Euch vor, solch ein unscheinbarer, biederer Typ war einer dieser bedeutenden Entscheider. Innerhalb der US-Politik. Hat dafür mit-gesorgt, dass dermaßen viel Unheil entstehen – geschehen konnte. Es, nein ER ist doch schlicht wunderbar: widerlich. Oder?
Und dann gibt es da ja noch diesen geheimnisvollen, den Film aus dem Off begleitenden Erzähler (JESSE PLEMONS als Kurt), dessen Position sich schließlich als eine geradezu unglaublich makabere Pointe erweist. Bauernschlau. Wie der gesamte Film: höchste Unterhaltung mit aktuellem = ekelhaftem Trump-Geschmack. Zu begreifen als universelle Warnung von geistiger Trägheit, die solche „simplen Führer“ hervorrufen und entsetzlich bestimmen = diktieren lassen. (= 4 1/2 PÖNIs).