DIE TAUBE AUF DEM DACH

DIE TAUBE AUF DEM DACH“ von Iris Gusner (Co-B+R; DDR 1972//1973; D 2009/2010; 82 Minuten; jetzt schwarz-weiß; Start D: 09.09.2010) eigen und „ausschließlich Menschen in der Krise“. Insbesondere die Darstellung eines älteren Arbeiters „als tragische Figur“ stieß auf heftigen Widerstand. Man warf der Regisseurin vor, „der Arbeiterklasse ins Gesicht gespuckt zu haben“. Im Gegensatz zu anderen Verbotsfilmen gelangte das Filmmaterial daraufhin nicht in den „Giftschrank“ beim Staatlichen Filmarchiv der DDR, sondern wurde im Studio vernichtet. Übrig blieb nur eine farbige Arbeitskopie, die seitdem verschollen ist.

Im Zuge der Ausgrabung bzw. Restaurierung anderer DDR-Verbotsfilme 1989/1990 (wie z.B. „Spur der Steine“/s. Kino-Kritik) entdeckte Kameramann ROLAND GRÄF diese Arbeitskopie in der Ecke eines nicht klimatisierten Vorführraums im DEFA-Spielfilmstudio. Weil sie erhebliche Schichtablösungen aufwies, veranlasste er die Herstellung eines schwarz-weißen Dup-Negativs sowie einer Kino-Kopie. So konnte „Die Taube auf dem Dach“ im Oktober 1990 zweimal im Berliner „Ost“-Kino „Babylon“ aufgeführt werden. Danach verloren sich erneut alle Spuren des gesamten Materials. Nach jahrelanger Recherche gelang es der DEFA-Stiftung 2009 endlich, das schwarz-weiße Duip-Negativ aufzutreiben und den Film zu rekonstruieren. Jetzt hat er erneut, allerdings eben in schwarz-weiß, Kino-Start.

„Die Taube auf dem Dach“ war, ist ein DDR-Gegenwartsfilm aus jener Herstellungszeit. Der Ort: Eine Baustelle. Im Süden der DDR. Dort, wo „jetzt“ viele Häuser im Plattenbauformat hochgezogen werden, um mehr Wohnraum für die Werktätigen zu schaffen. Wir blicken auf das Bau-Kollektiv. Deren Leiterin ist die junge, engagierte attraktive Linda (HEIDEMARIE WENZEL). Ihre Probleme sind weniger „sozialistischer“ Art, sondern private. Denn sie „bekommt“ es mit zwei „Bewerbern“ zu tun. Da ist einmal der sprunghafte „Unruhe“-Student Daniel (ANDREAS GRIPP), der hier in den Ferien arbeitet und sich unangepasst und träumerisch zeigt. Und da ist der altgediente Brigadier Hans Böwe (DEFA-Star GÜNTHER NAUMANN/17.11.1925 – 6.11.2009; TV-Reihe „Zur See“). Der ist ein Ewig-Wanderer, bleibt nie fest an einem Ort, ist geschieden, eine Tochter. Doch anstatt eines „Helden der Arbeit“ bekommen wir es hier mit einem „gebrochenen Kerl“ zu tun. Fleißig im Aufbau, ohne sich zu schonen, aber schwächlich als rastloser Privatmann. Neben Ehrlichkeit und Arbeitsamkeit mit Alkoholproblemen und einer Dauer-Unruhe umnebelt. Ein Idealist ohne Privatglück. DER die anpackende Linda darüber nachdenken lässt, wie „das“ mal mit ihr wird/werden könnte. Auf dem weiteren Lebensweg. Wo ihr Platz im Leben einmal „endgültig“ sein könnte. Also „probiert“ sie „es“. Sowohl mit Daniel wie auch mit Hans Böwe. Der ihr einen Heiratsantrag macht.

Kein „Fahne“-Film also, sondern Skizzen, Episoden, Motive aus dem Alltag von drei Menschen. In der Anfang Siebziger-DDR. Der Titel? Es existiert ja dieses Sprichwort: „Lieber einen Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“. „Nachwuchs“ Daniel, Sohn einer „entsetzten“ Ärztin, will sich auf gar keinen Fall nur mit dem Spatz zufrieden geben. Vielmehr geht es in Richtung Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit, um Kosmonaut zu werden. 1973 roch dies im Arbeiter- und Bauernstaat irgendwie nach „Aufmüpfigkeit“. Während dieser „verdiente“, verwundbare Hans Böwe zwischen Pflicht & Seele wankt. Also auch kein „zuverlässiger Patron“ ist. Aus der Sicht der oberen Herrschaft. In der DDR waren doch alle „gut“ aufgehoben, wieso also dort erst noch seinen gesellschaftlichen Platz suchen??? Wollen oder Müssen? Ist doch eigentlich alles geregelt?

Eben: Eigentlich. Teilen die Bilder gefühlt, unaufdringlich mit. Ein hochinteressanter Streifen. Tupferartig angelegt, nie „groß“ auftragend, dick und dramaturgisch schreiend, sondern mit offenen gedanklichen Interpretationen. Ohne lärmende Emotionen. Inmitten leiser Jazz-Rhythmen (Musik: GERHARD ROSENFELD). Swingend düster, fragend, suchend, mit mehr ernsten Gesichtern. Und mit einem wunderbar simplen, minimalistischem Ausdruck. Ohne Lösungsberuhigungen. Wie ein Fingerschnacken neugierig herumsurrend. Dass er anstatt in Farbe jetzt in schwarz-weiß „Atmosphäre“ ausatmet, scheint sogar stimmiger, stimmungsvoller zu sein. Für eine beruhigende Gleichmacherbuntheit ist hier kein Platz. Ein verblüffender, origineller, denk-spannender DDR-Filmrückblick. Und natürlich mit heutigem („Wessi“-)Erstaunen: Vor „so etwas Sanft-Cineastischem“, Spielerischem, Probierendem, bekamen DIE damals wirklich die Wut + sogar Angst??? (= 4 PÖNIs).

Teilen mit: