SLUMDOG MILLIONÄR

„SLUMDOG MILLIONÄR“ von Danny Boyle (GB 2007/2008; B: Simon Beaufoy; nach dem Roman „Rupien! Rupien!“ von Vikas Swarup/2005; K: Anthony Dod Mantle; M: A. R. Rahman; 120 Minuten; deutscher Kino-Start: 19.03.2009); ist eine für 15 Millionen Dollar realisierte Independent-Produktion, die – wenn es nach dem ursprünglichen Willen der Produzenten gegangen wäre – gar nicht erst zum Kinoeinsatz gekommen, sondern gleich per DVD „verramscht“ worden wäre. Erst nach den ersten umjubelten Vorführungen und den dann 10 „Oscar“-Nominierungen, wurde „umgedacht“. Inzwischen zählt „Slumdog Millionär“ zu den begehrtesten Leinwand-Angeboten der Branche, was nach der kürzlichen 8-fachen „Oscar“-Honorierung, darunter auch als „BESTER FILM“, nicht verwundert: Der Regisseur ist 52, stammt aus dem englischen Radcliffe, war anfangs lange Jahre Theater-Regisseur und Intendant (am renommierten Londoner „Royal Court Theatre“), arbeitete Ende der 80er Jahre beim Fernsehen (als Regisseur und Produzent bei verschiedenen Serien) und fing 1994 mit dem KINO an: „KLEINE MORDE UNTER FREUNDEN“ hieß seine mit Mini-Budget (1,5 Mio. Pfund) hergestellte, international vielbeachtete schwarze Komödie (die bei uns zum Off-Kino-Hit avancierte). Sein zweiter Streich war 1996 d i e filmische Sensation und der kommerziell erfolgreichste britische Film der 90er Jahre: „TRAINSPOTTING“ (s. Kino-KRITIK), nach dem gleichnamigen Roman von Irvine Welsh. Danach drehte Boyle – weniger erfolgreich – in den USA: „Lebe lieber ungewöhnlich“ (1997) und „THE BEACH“ (2000/mit Leonardo DiCaprio und Ewan McGregor). Zuhause in England entstanden danach „28 Days Later“ (ein fast gänzlich mit digitaler Mini-Kamera gedrehter Horrorfilm/2002); „Millions“ (2004) sowie zuletzt der Sci-Fi-Film „Sunshine“ (s. Kino-KRITIK).

Sein 8. Kinofilm hat weltweit bislang über 70 Preise eingeheimst, darunter wie gesagt auch 8 „Oscar“-Trophäen, u.a. auch für das „Beste adaptierte Drehbuch“ von SIMON BEAUFOY. Der 43-jährige britische Drehbuch-Autor ist seit seinem mit einer „Oscar“-Nominierung bedachtem Drehbuch zum britischen Sozial-Drama-Kult-Hit „Ganz oder gar nicht“ (1997; s. Kino-KRITIK) „im Gespräch“. Hier adaptierte er den 2005 veröffentlichten Debüt-Roman „Q and A“ des indischen Diplomaten VIKAS SWARUP, dessen deutscher Buch-Titel „Rupien! Rupien!“ lautet, bei uns 2006 herauskam und sich inzwischen in der 9. Auflage befindet. Der 1. Roman-Satz lautet: „Ich wurde verhaftet, weil ich in einer Quiz-Show gewonnen habe“.

JAMAL MALIK, 18, ein mittelloser Straßenjunge aus den Slums der 22 Millionen-Metropole Mumbai, das ehemalige Bombay. Er ist ein Chai-Walla, Teeholer in einem Callcenter. Bis er den schicksalhaften Suchbegriff in den Computer eingibt und Kandidat bei der indischen TV-Ausgabe von „Wer wird Millionär?“ wird. Und: Jamal hat alle bisherigen Fragen richtig beantwortet, ist nur noch eine Frage vom 20 Millionen Rupien-Hauptgewinn entfernt. Was dem misstrauischen wie eitlen Moderator der Sendung, Prem Kumar (Bollywood-Star ANIL KAPOOR), „spanisch“ vorkommt. Er hält Jamal für einen Betrüger, denn: Wie kann SOLCH ein ungebildeter, „einfältiger“ Slum-Junge DAS ALLES wissen? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu? Zudem ist er insgeheim eifersüchtig-sauer, weil sein Kandidat inzwischen zum Publikumsliebling aufgestiegen ist. Also liefert er ihn der Polizei aus. Denn kurz vor der letzten Frage ertönt das Schlußsignal der Sendung. Die letzte, entscheidende Frage gibt es erst in der nächsten Folge. „Was um Himmels Willen kann ein Slumdog (Slum-Hund) denn überhaupt wissen?“ Skeptisch bringt der verhörende Polizeibeamte auf den Punkt, was viele denken. Denn wenn sogar hochgebildete Ärzte, Anwälte oder Professoren es nicht geschafft haben, die richtigen Antworten zu geben, wie kommt es dann, dass dieser Junge soviel weiß? Und weil auch „die Verhör-Folter“ keine plausiblen Antworten hervorbringt, darf Jamal präzise erklären/erzählen: das unfassbare Elend der Kindheit; der gewaltsame Tod der Mutter anlässlich religiöser Unruhen; der gemeinsame Überlebenskampf mit dem älteren Bruder Salim; die Begegnung mit Latika, einer Vollwaise und die erste große Liebe; der Absturz in die Kriminalität; das Entzweien der Brüder… Jede Quizfrage steht quasi für einen bestimmten Lebensabschnitt von Jamal; die Erinnerungen an all seine grausamen, komischen, schicksalhaften Lebensstationen bilden ganz einfach die Grundlage für die RICHTIGEN Quiz-ANTWORTEN. In einem furiosen Hin und Her von Rückblenden entfaltet sich eine grausige Kindheit und Jugend, deren Schlüsselmomente Jamal die Antworten „bieten“. Also darf er zurück ins Studio, zur allerletzten Frage. Dabei geht es ihm überhaupt nicht um das Geld, sondern für ihn wäre der eigentliche Gewinn: LATIKA.

Ein wunderbar „verrückter“ Film: von kitschiger Sozialromantik ebenso keine Spur wie von falschen Tönen oder überhöhtem Heldentum. Ganz im Gegenteil: Ähnlich wie schon in seinem Kult-Schock „Trainspotting“ konfrontiert Danny Boyle mit verstörenden Bildern, wenn der kleine Kerl sich durch eine grausam-brutale Jugend kämpfen muss, mit vielen bedrückenden Motiven, doch wie Glück und Elend in Indien so dicht nebeneinanderliegen, so wechseln auch die Gefühle hier sekundenschnell: von tiefer Verzweiflung und unbeschreiblichem Leid zu Beschwingtheit und unbändiger Lebensfreude. Das pralle Leben, vibrierend, leidenschaftlich, aufregend, farbenprächtig und nicht auszulöschen.

In der Mixtur aus Gangstergeschichte, Sittenbild und Schelmenstory wird „Slumdog Millionär“ ein auf großartigem Niveau hergerichtetes realistisch-märchenhaftes „Poem“, eine Art spannende indische Charles-Dickens-„Oliver Twist“-Menschen-Fabel, mit atemlosem Rhythmus, knalligen Kontrasten und treibender („Oscar“-)Musik, übervoll von herzzerreißender, herzergreifender Emotionalität. Dabei: ohne Anklage-Charakter oder Folklore-Banalität, sondern mit viel Herz, Wucht, Wut, Härte, Vergnügen und ROMANTIK. Mitreißend, packend, außerordentlich berührend. „Slumdog Millionär“ haut jeden noch so abgebrühten Zyniker schließlich unterhaltsam-fiebrig-erschöpft um: Jamal & Latika, am Ende MÜSSEN sie sich einfach kriegen. Sie MÜSSEN sich einfach kriegen, verstanden?!!! Das Ensemble ist phantastisch; die unbekannten Schauspieler, Erwachsene wie Kinder, überzeugen. Hauptdarsteller ist jedoch auch bzw. mit – dieser urbane Hexenkessel Mumbai; mit der konsequenten Handkamera eingefangen, mit dieser Gedrängtheit und brodelnden Dauer-Energie eine urbane Metropole, die faszinierend-unaufhörlich-beängstigend (zu-)wächst. „Slumdog Millionär“ oder: Einen intelligenteren Glücksfall von Unterhaltungsfilm gab es schon lange nicht mehr im Kino. Absolutes MUß-KINO!!!!! (= 5+ PÖNIs).

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