THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER

THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER“ von Alejandro González Inárritu (Co-B, Co-Produzent + R; USA 2014/2015; Co-B: Mark L. Smith; nach Motiven des Romans „Der Totgeglaubte“ von Michael Punke/2002; K: Emmanuel Lubezki; M: Ryuichi Sakamoto, Carsten Nicolai (alias Alva Noto), Bryce Dessner; 156 Minuten; Start D: 07.01.2016).

Erstens: DER RESPEKT: gewaltig, monströs, faszinierend, gewollt-abstoßend – ER ist eine phantastische Institution im amerikanischen Kino. Zwischen “ extremem Jahrmarkt“ und „grober Kunst“ hangelnd. ALEJANDRO GONZÁLEZ INÁRRITU; geboren am 15. August 1963 in Mexiko-Stadt. Seine fünf Spielfilme, „Amores Perros“ (2000); „21 Gramm“ (2003/s. Kino-KRITIK); „Babel“ (2006/s. Kino-KRITIK); „Biutiful“ (2010) sowie zuletzt „Birdman“ (2014/s. Kino-KRITIK) haben ihm weltweite Achtung und Anerkennung sowie viel Publikumszuspruch und insgesamt drei „Oscar“-Trophäen eingebracht.

Zweitens: Eines seiner thematischen Lieblings-Film-Themen: Der entmenschte Mensch. Der Mensch, der sich moralisch wie viehisch „auffrisst“. Anstand, Würde, Respekt, Achtung, Freundschaft, Liebe über den Haufen wirft. Wenn es darum geht, „mehr“ wollen, zu „haben“, mehr besitzen zu können. Der Mensch als ekliger Erz-Kapitalist. Gewinn-Maximierung lautet das Signal- & Sinn-Motto in den Werken dieses Ausnahme-Filmemachers. Als einen „Gewalt-Magier“ bezeichnet ihn Kai Müller im „Tagesspiegel“ (3.1.16).

Drittens: Bisher hat sich Alejandro González Inárritu in Sachen Budget ziemlich „klein“ gehalten und sich damit weitgehende Unabhängigkeit bewahrt. Sein vierfach „Oscar“-preisgekrönter vorletzter Film „Birdman“ zum Beispiel kostete rund 18 Millionen Dollar. Sein neuer Film verschlang letztlich, nach eigentlich vorgesehenen 60 Millionen Dollar, ein Budget von 135 Millionen Dollar. Und ist ein nicht nur glanzvoller Film geworden.

Viertens: Man hätte frühzeitig „Hitler“ umbringen müssen. Dann wäre vielen Menschen und der Welt sehr viel Leid(en) erspart geblieben. „Hitler“ heißt hier John Fitzgerald (TOM HARDY). Für jedermann schnell sicht- und vor allem fühlbar. Nur DIE in seiner Umgebung kriegen „den Satan“ nicht mit. Halten ihn zwar für einen ständigen Stinkstiefel, der ewig herummotzt und bedrohlich tönt, halten dies und ihn aber nicht für gefährlich. Oder gar bedrohlich. Ein Fehlurteil, das schlimme Folgen haben soll. Und für Parkett-Verstimmung sorgt: Wenn wir diesen Deibel John Fitzgerald als schlimmen Aggressor sogleich identifizieren und „DIE“ im Film nicht, dann hat der Regisseur etwas falsch gemacht. Wenn alles tatsächlich so kommt wie wir das schnell (er-)ahnen, ist der Reiz kühler. Distanzierter. Ein emotionaler Minuspunkt. Für die dadurch vorhersehbare einseitige Dramaturgie.

Fünftens: Ihn hat es wirklich gegeben. Den Trapper HUGH GLASS (1773 – 1833). Der anno 1823 im noch „jungfräulichen“ amerikanischen Wilden Westen von einer militärisch geführten Jagdgesellschaft – unter Führung von Kapitän Andrew Henry (DOMHBALL GLEESON) – angeheuert wird, um sie bei der Jagd nach kostbaren Tier-Pelzen zu leiten. Das unwegsame Gelände der Rocky Mountains ist „schwierig“, auf dem Territorium befinden sich Ureinwohner, Franzosen und Engländer, die sich ebenfalls an der „Quelle des Reichtums“ bedienen wollen, so dass Überfälle, kriegerische Auseinandersetzungen und Dezimierung des „Personals“ an der blutigen Tagesordnung sind. Nachdem Hugh Glass (LEONARDO DI CAPRIO) von einem seinen Nachwuchs verteidigenden Grizzly angegriffen und übel zugerichtet wird, beginnt die eigentliche Handlung. Denn er wird „unter Aufsicht“ zurückgelassen, und unter den Helfern, die ihn langsam zurückbringen sollen, befindet sich neben seinem Sohn auch John Fitzgerald. Der dann, nachdem er unter den Seinen brutal für Klar-Schiff gesorgt hat, den totgeglaubten, aber „nur“ schwerverwundeten Hugh Glas zurücklässt. In einem Grab. Um später, zurück im Fort, für dessen „Erdbestattung“ beim Kapitän zu kassieren.

Sechstens: Erst ist er dreiviertel tot, dann halb, dann ein Drittel, dann immer noch ein Viertel. „Ich habe keine Angst mehr zu sterben, ich bin schon tot“. Hugh Glass beginnt mit seiner Rückkehr. Kriechend. Auf dem Boden. Röchelnd wälzt er sich voran. Ächzt und stöhnt unter den Schmerzen. Schiebt sich mühsam fort, während seine Wunden eitrig tuckern. Glass wirkt wie eine mythische Heilands-Figur auf Büßer-Trip. Mit sämtlichen Qual-Stufen. Einschließlich Und seinen Erinnerungen an seine indianische Frau und seinen Sohn. Die Wut-Empfindung RACHE hält ihn bei Atem.

Siebentens: Dieser innere Koloss. Was LEONARDO DI CAPRIO, 41, als Hugh Glass hier – mit ständiger Boden-Berührung – aufwendet, ist grandios. Überwältigend. Nie unangenehm, peinlich oder marktschreierisch, sondern mit einer physischen Präsenz, die bewundernswert ist. Mit zugleich enormer Charakter-Faszination; ein bärenstarker Typ: Für seine leidvolle spirituelle Performance ist der „Oscar“ endlich fällig.

Achtens: Die optischen Kulissen – gedreht wurde in Kanada, den USA und in Argentinien – sind phänomenal „eingemeindet“ worden. Dem zweifachen „Oscar“-Preisträger und erneuter heißen „Oscar“-Favoriten EMMANUEL LUBEZKI („Gravity“; „Birdman“) gelingen packende epische Natur- und Landschaftsmotive. Mit Natur-Licht. Einschließlich irrer „Wasser-Wellness“. Die Bilder-Ästhetik übertrumpft die in der Mitte zähflüssig werdende lange „Wanderung“ des Rückkehrers Glass (Filmdauer: 156 Minuten). Zudem: Die prächtige visuelle Schönheit triumphiert eindeutig über die bisweilen unappetitliche inhaltliche Drastik. Wenn Pfeile „kollidieren“, das Blut tobt. Und: wenn am Ende die beiden Kontrahenten wild aufeinander eindreschen, ist das mehr dem plumpen Räuber-und-Sheriff-Western-Kino Hollywoods geschuldet. Als dem magischen Überlebensverstand eines „Gekreuzigten“. Und eines Abenteuer-Filmes mit Sinn-Fragen.

Neuntens: Die orchestrale Musik besitzt sphärische Dynamik. Kommt ohne Ohrwurm aus.

Zehntens: „The Revenant – Der Rückkehrer“ ist ein torkelndes, aufwühlendes Spektakel, das auch unsere Innereien anmacht (= 3 ½ PÖNIs).

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