Ich erwähne ja immer wieder – es gibt US-Schauspieler, deren Auftreten, deren Filme, man gerne ständig (ver-)folgt. Haben Sie doch über die Jahre bewiesen, dass SIE zu den besten Mimen überhaupt zählen. Willem Dafoe war in der Vorwoche diesbezüglich das Charakter-As (in und als „The Hunter“), zu den weiteren Mitstreitern in dieser Qualitätshöhe zählen etwa Akteure wie Senior Robert Duvall, („Am Ende des Weges“), William H. Macy („The Cooler – Alles auf Liebe“), Peter Dinklage („Station Agent“), Patricia Clarkson („Cairo Time“) oder Edward Norton („The Illusionist“) und natürlich Philip Seymour Hoffman („Capote“). Sowie – selbstverständlich – WOODY HARRELSON.
Der gerade, am 23. Juli 2012, 51 Jahre alt gewordene Texaner ist seit Mitte der 80er US-Filmjahre „unterwegs“. Mal ganz prächtig vorne, an der Rampenfront („Weiße Jungs bringen’s nicht“, „Natural Born Killers“, „Larry Flynt – Die nackte Wahrheit“), mal als vorzüglicher Team-Player im Ensemble („Wag the Dog – Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“, „Robert Altman’s Last Radio Show“, „No Country for Old Men“). Dabei war die Anfangszeit dieses hochgewachsenen Burschen „mit der typisch texanischen Hackfresse“ (= ist von mir und als Kompliment gedacht) alles andere als gemütlich: Er wuchs mit seiner Mutter in Ohio auf, sein Vater wurde 1968, da war Woody sieben Jahre alt, wegen Mordes an einem texanischen Geschäftsmann verurteilt. 1979 erhielt dieser wegen Ermordung eines Bundesrichters eine zweite lebenslängliche Haftstrafe. Im März 2007 verstarb der Senior im Gefängnis an Herzinfarkt. Woody Harrelson studierte Englisch und Schauspiel am „Hanover College“ in Indiana und gehört heute zu den spannendsten Darstellern des US-Kinos. Bekam 2010 für seine exzellente Darstellung eines traumatisierten US-Soldaten in dem Drama „The Messenger – Die letzte Nachricht“ (nach „Larry Flynt“/1997) seine zweite „Oscar“-Nominierung. Der Drehbuch-Autor und Regisseur von „The Messenger“ (s.Kino-KRITIK) ist der in Israel geborene und seit 1988 in den USA lebende OREN MOVERMAN, der für seinen Debütfilm für einen „Oscar“ in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“ nominiert war und bei der BERLINALE 2009 mit seinem Film den „Silbernen Bären“ wie auch den „Friedensfilmpreis“ gewann.
Der zweite (Independent-)Film dieses Regie-Talents „startet“ hierzulande gleich auf DVD:
„RAMPART“ von Oren Moverman (Co-B+R; USA 2011; Co-B: James Ellroy; K: Bobby Bukowski; 104 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 07.08.2012).
Welche Wertschätzung Oren Moverman bereits besitzt, zeigt sich zunächst an seinem prominenten Mit-Drehbuch-Autoren: JAMES ELLROY. Der am 4. März 1948 in Los Angeles geborene Schriftsteller ist „der wichtigste zeitgenössische Kriminalautor“ („Spiegel“). Für die „Süddeutsche Zeitung“ ist der Autor von Bestseller wie „Die schwarze Dahlie“, „L.A. Confidential“ und „Crime Wave: Auf der Nachtseite von L.A.“ „der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur“. „Aus seinen Büchern weht der Wind des Bösen“, hieß es im ARD-„Bücherjournal“. Im Bonus-Material-Interview erklärt James Ellroy überzeugend: „Das ist der erste Film, für den ich das Drehbuch geschrieben habe und ehrlich sagen kann, dass ich stolz bin, ein Teil des Projekts gewesen zu sein“.
Für den Film „Rampart“ benutzten Oren Moverman & James Ellroy als Drehbuchverfasser wahre Begebenheiten aus Los Angeles. Wo 1977 sogenannte „Community Resources Against Street Hoodlums“, abgekürzt CRASH, gegründet wurden, um gezielter gegen das verstärkte Aufkommen von Gangs in L.A. vorzugehen. In die damaligen Schlagzeilen geriet jene Einheit der Rampart-Abteilung, als mehr als 70 Police Officers der unterschiedlichsten Vergehen (wie Korruption, Drogenschmuggel, Beteiligung an Banküberfällen bis hin zu vorsetzlicher Körperverletzung) beschuldigt wurden. Zudem wurden diese Polizisten auch mit dem Mord an dem bekannten Rapper Notorious B.I.G. im Jahr 1997 in Verbindung gebracht.
1999. Der Typ heißt Dave Brown (WOODY HARRELSON). Ist Vietnam-Veteran und seit 24 Jahren im aktiven Polizeidienst. „Aktiv“, also an vorderster Front. GERNE vorne an vorderster Gerechtigkeitsbeschaffungs-Front. Und am liebsten solo. „Ich bin kein Rassist, ich hasse alle Menschen gleich“, lautet sein Credo „draußen“. Wo er offen den Macho-Unhold gibt: Dave Brown äußert sich rassistisch, zeigt sich sexistisch und handelt dann auch faschistisch. Indem er vor laufender Straßenbeobachtungskamera einen Unfallverursacher verprügelt. Zerprügelt. Die Medien „jubeln“. In den „kritischen“ Nachrichten und Talk Shows. ER aber fühlt sich eher verfolgt denn schuldig. „Ich war höflich“, behauptet er. „Leider kann ich mich nicht ändern“, rotzt er seine Chefin Joan Coufrey (SIGOURNEY WEAVER) an. Die ihn aus der Schusslinie nehmen will, was sich aber nicht so schnell „umsetzen“ lässt. Irgendwo hat er, irgendwoher bekommt er immer noch „Deckung“. Von „oben“. Dennoch – das krisengeschüttelte L.A. Police Department reagiert. Lässt einen Sonder-Ermittler auf diesen zynischen Ausraster los: Kyle Timkins (ICE CUBE). Einen schwarzen internen Schnüffler. Und der kann mächtig gegenhalten, wenn es darauf ankommt. So dass Dave Brown erstmals richtig ins Taumeln gerät. Zumal auch Zuhause, privat, die emotionale Kacke am Dampfen ist.
Dave war mit zwei Schwestern nacheinander verheiratet, hat von beiden eine Tochter, und hält sich immer noch „bei denen“, die in zwei kleinen Häusern nebeneinander wohnen, auf. „Lass uns endlich gehen“, lautet dort die Aufforderung zum endgültigen Ausziehen. Während er sich von seiner neuen „Flamme“, der nur sexinteressierten Anwältin Linda (ROBIN WRIGHT), sein blödes „John Wayne-Ding“ vorhalten lassen muß. Kurzum: Dave Brown, das ist ein richtiger Kotzbrocken-Typ. Irgendwie hat man irgendwie das permanente Gefühl, DER explodiert gleich komplett. Doch als DAS tatsächlich passiert, scheint er plötzlich tatsächlich wieder „die besseren Karten“, sprich Argumente und Indizien, auf seiner Seite zu haben. Dennoch warnt ihn sein alter Wegbegleiter, Kumpel, Ex-Kollege und Jetzt-Rentner Hartshorn (NED BEATTY), der möglicherweise im Hintergrund die Law-and-Order-Fäden mit seiner „Marionette“ Dave Brown lenkte, dass er jetzt endlich „damit“ aufhören möge: „Die Zeiten haben sich gewaltig geändert“. „Man“ wird liberaler. Also: „Wie wäre es, wenn Du einfach aufhören würdest, auf Menschen einzuprügeln?“ Dave versteht buchstäblich wie wortwörtlich die Welt, „seine Welt“, nicht mehr. Der ewige Dauerraucher knallt sich noch mehr die Birne „flüssig“ voll. Sieht inzwischen wie ein zerschundener alter Westerner aus, der es einfach nicht wahrhaben will, dass „seine Zeit“ komplett abgelaufen ist. Beruflich. Und privat sowieso. Und eigentlich überhaupt. Denn: Niemand benötigt ihn. Oder mag ihn gar.
„RAMPART“ bedeutet – eine einzigartige, unglaubliche PERFORMANCE des wahnsinnig-guten WOODY HARRELSON. Zu erleben. Zu genießen.
DER in beinahe jeder Einstellung mit von der harten, zerrissenen, wütenden Lebens-Party dieses Dave Brown ist. „Rampart“ ist ein hervorragender Menschen-Thriller; ist eine faszinierende Charakter-Studie; ist das begeisternde Psychogramm eines „komplizierten“ US-Bürgers. Der sich durch seine Uniform und die Polizeimarke jederzeit das aggressive Recht nimmt, Eigen-Recht selbstverständlich zu denken und auszuüben. Recht und Unrecht darf ER bestimmen, festlegen, da er sich ja ständig „vorne“, an der schäbigen Alltagskriegsfront von L.A., befindet. Als Kämpfer. Vertreter für die guten amerikanischen Werte. Wie einst in Vietnam. Wo auch nicht lange gefragt, nachgedacht werden konnte, sondern sogleich „gehandelt“ werden mußte. Sollte. Durfte. Dave Brown ist ein unappetitlicher Bursche. Um es „gesittet“ zu formulieren. Aber: Er ist zwar der personifizierte Dreckskerl, und dennoch empfinden wir für ihn auch so etwas wie Mitgefühl, wenn wir zuschauen, wie er leidet, wenn er leidet: WOODY HARRELSON kotzt ihm wahrhaftig die menschliche Seele aus dem Leib. Ohne in nur simple Böse-Kategorien zu verfallen.
„Der Film verlangte nach einer denkwürdigen Besetzung mit Charakterschauspielern“, erklärt Sigourney Weaver im Bonus-Interview ihre Motivation für ihre Mitwirkung-hier. Und in der Tat, solch ein namhaftes STICHWORT-Ensemble für den fabelhaften Charakter-Solisten Woody Harrelson ist schon beeindruckend wie erstaunlich: Eben SIGOURNEY WEAVER (die Ellen Ripley in den „Alien“-Filmen); dann CYNTHIA NIXON (die Anwältin Miranda aus der TV-Serie und den Spielfilmen „Sex and the City“); dann ANNE HECHE („Sechs Tage, sieben Nächte“/mit Harrison Ford); sowie Rapper ICE CUBE („xXx 2 – „The Next Level“); ROBIN WRIGHT („Message in a Bottle“/mit Kevin Costner); STEVE BUSCEMI („Reservoir Dogs“ von Quentin Tarantino); BEN FOSTER („Todeszug nach Yuma“) und der unverwüstliche, inzwischen 75jährige NED BEATTY („Beim Sterben ist jeder der Erste“). Jeder Einzelne ein Star, der längst eigene Hauptrollenfilme trägt. Hier aber „hofieren“ sie einen „besonderen“ neuen „Ami“-Regisseur und ihren geschätzten texanischen Kollegen, adeln sie durch ihre (preiswerte) Mitwirkung ein Projekt, dessen spannende (Denk-)Qualitäten mal wieder darauf warten, in einigen Jahren erst „entdeckt“ zu werden. Auf einem Festival, vielleicht auch bei einem Verbeugungsfestival für den großen, großartigen WOODY HARELSON. Im Rahmen einer Werkschau. Mit obligatorischer Preiszugabe.
Der Kollege vom „Wall Street Journal“ jedenfalls bringt es heute bereits auf den Punkt: „Gemeinsam mit Mr. Harrelson hat Mr. Moverman einen Antihelden von epischen Ausmaßen geschaffen“. Während CNN neulich meldete: „Woody Harrelson ist ein ernsthafter Oscar-Anwärter. Noch nie hat es eine so überragende Vorstellung gegeben“.
Auf DVD (oder Blu-ray) aber können wir es jetzt schon (an-)erkennen: „RAMPART“ ist ein komplexes, unter die Gefühls- und Denk-Haut kriechendes Meisterwerk. Nun im aktuellen Heimkino.
Anbieter: „Ascot Elite Home Entertainment“