QUARTETT

QUARTETT“ von Dustin Hoffman (GB 2011; B: Ronald Harwood, nach seinem gleichn. Bühnenstück; K: John de Borman; 95 Minuten; Start D: 24.01.2013); sie sind, wie es so zutreffend heißt, „in die Jahre“ gekommen. Waren einst kurz verheiratet, dann „trat“ sie zurück, um ihrer Karriere Vorrang zu geben. Was ihn „irritierte“, auch traumatisierte. Heute begegnen sie sich im Alter wieder. In der Seniorenresidenz „Beecham House“. ER gibt sich immer noch verletzt, „sauer“, sie möchte nur noch humanen Frieden. Und späte endgültige Gemeinsamkeit. Weil es knistert. Wieder. Immer noch. Hochemotional. Zuneigung, Liebe ist zeitlos. Langsam bewegen sich die Hände aufeinander zu. Vorhang.

Am Anfang dieses Projekts kommt einer der bedeutendsten Komponisten überhaupt ins Spiel: GIUSEPPE VERDI (1813 – 1901), in diesem Jahr, 2013, also bei 200jährig angelangt. Es wird viel erinnert. Und gebührend gefeiert. Große Ehre wem große Ehre gebührt. Und: Giuseppe Verdi war auch als Geschäftsmann sehr erfolgreich. Vermehrte geschickt sein Vermögen. Tat Gutes. Erschüttert von den tragischen Schicksalen einst erfolgreicher Gesangstars, die ihr Alter in bitterer Armut verbringen mussten, gründete er 1896 in Mailand die Residenz „La Casa di Riposo per Musicisti“, die heute als CASA VERDI bekannt und berühmt ist. Hier können etwa 60 Sänger und Musiker ihren Ruhestand frei von finanziellen Sorgen verbringen. Das Haus ist dank kluger Geldanlagen nach wie vor in Betrieb. 1984 wurde es durch den Dokumentarfilm „IL BACIO DI TOSCA“ des Schweizer Regisseurs Daniel Schmid weit über die Grenzen Italiens hinaus (und auch bei uns, ARTE sei Dank) bekannt. Dieser Dokumentarfilm war für Dustin Hoffman Auslöser für seinen ersten Regie-Film.

Der siebenfach nominierte und zweimal mit dem „Oscar“ ausgezeichnete Schauspieler („Kramer gegen Kramer“ / „Rain Man“) dürfte der derzeit älteste Jung-Filmer in der Kinowelt sein. Der charmant gebliebene 75jährige Hollywoodstar adaptierte das 1999 in London uraufgeführte Bühnenstück „Quartet“ des britischen Theater- und Filmautoren RONALD HARWOOD: Der am 9. November 1934 in Kapstadt unter dem Namen Ronald Horwitz als Sohn osteuropäischer Juden geborene Autor bekam 2003 für sein Drehbuch zum Roman Polanski-Film „Der Pianist“ die „Oscar“-Trophäe. Weitere Drehbücher von ihm entstanden u.a. für bekannte Filme wie „Australia“, „Schmetterling und Taucherglocke“ oder „Being Julia“. In „Quartett“ geht es um „Verdi-Atmosphäre“ im „Beecham House“, einer schmucken Residenz in der englischen Provinz, eingebettet in einen wundervollen Park. Hier leben betagte Sänger und Musiker, die aus ihrem jetzigen Zuhause eine Dauer-Oper machen. Überall erklingt Musik, an vielen Orten wird gesungen. Und gestritten. Die Eitelkeiten der Diven. Da kann die („falsche“) Konfitüre auf dem Frühstückstisch schon mal zu einem kleinen Drama führen ebenso wie ein neckisches Wort im Vorübergehen. Während bisweilen ein stilles Lächeln mehr sagt als viele Worte und Wunder bewirkt. Kurzum – hier ist eine äußerst illustre Gesellschaft beisammen, die gerade für den nächsten Gala-Abend probt. Unter Leitung des ebenso exzentrischen wie lautstarken „Regisseurs“ Cedric Livingstone (MICHAEL GAMBON, köstlich in seinen „Harry Potter“-Klamotten). Es gilt mal wieder, genügend Überlebensgeld für ihr Haus einzuspielen. Da kommt es gerade zupass, dass die berühmte Sopranistin Jean Horton (die zweifache „Oscar“-Preisträgerin MAGGIE SMITH, einmal mehr ganz LADY-like) eintrifft. Was allerdings beim sensiblen, in sich gekehrten und nur als Lehrer bei jungen „Hip Hop“-Besuchsschülern sich öffnenden Reggie (der unvergleichliche Sir TOM COURTENAY / „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“, 1962) nicht auf Zustimmung stößt. Ganz im Gegenteil. Jean und er waren einst mal kurz liiert, dann „schmiss“ sie hin und haute ab. Von wegen lieber Bühne anstatt Küche. Viel emotionales, turbulentes Kuddelmuddel ist also plötzlich im musikalischen britischen Ländle annonciert. Sehr zum Lächeln und Glucksen für uns, den Zusehenden, und vor allem auch: Uns auch freudig angepiekst Zuhörenden.

Denn Autor Ronald Harwood & Regisseur Dustin Hoffman setzen auf schmunzelnde Pointen und eine liebevolle, feine Sentimentalität. Ohne Doof-Rührung. Sondern mit dem besonderen und speziellen Gefühl für elegante wie schlagfertige Wortspitzen und atmosphärische wie musikalische Alters-Zärtlichkeit. Motto: Solange du nicht tot bist, lebe. Existiere. Innerhalb der gegebenen Möglichkeiten. Und vielleicht noch mehr. Lass lieber die Lust ´raus. Als grimmig und stur griesgrämig herumzugrummeln. Sei lieber kindisch. Anstatt alt. Mach’ und habe: SPASS. Let’s do it. Oder – play it. Egal, wo und wie es auch piekt. That’s it.

Kamera-As JOHN DE BORMAN („Ganz oder gar nicht“; „An Education“) hält optisch wunderschön sanft mit. Gibt dieser Alters-Bühne ein herrliches Licht. Lässt diese faszinierenden Altersgesichter still vergnügt „sprechen“. „Bei Dustin Hoffman leuchtet der Herbst des Lebens in den hellsten Farben“, heißt es diese Woche im „Spiegel“ (Lars-Olav Beier). Und: „Selten hat man in einem Film, der in England spielt, so wenig Regen gesehen“ (3/2013). Von wegen Seelen-Schönheit. Dustin Hoffman gibt sich nicht als großspuriger Impressario, sondern setzt seine Protagonisten, die sich teilweise auch aus tatsächlichen professionellen Musikern zusammensetzen, eher sanft „bevorzugt“ in be- und verzaubernde Posen. Und respektvolle Possen. Mit eben sehr viel Zuneigung, Charme, vor allem aber: HERZlichkeit.
„Einen“ will ich noch nennen: BILLY CONNOLLY. Als hier ewiger Versteher. Anmacher. Ein potenter Komödiant, ein brillanter Mime, der wie ein zweiter „Monty Python“ John Cleese ausschaut: Groß, listig, es faustdick „hinter den Ohren“ habend. Und nicht nur dort. Der 70jährige schottische Komiker, Musiker und Schauspieler, in seiner Heimat wegen seiner Körpergröße auch „The Big Yin“ genannt, gibt hier den richtig schön schnoddrigen Lüstling vor. Dessen Hormone ununterbrochen „in verbaler Action“ sind. Superb.

Dustin Hoffman ist also nicht nur vor der Kamera ein Immer-As, sondern nun auch als Spielleiter dahinter. „Quartett“ ist ein herrliches Vergnügen um spannende, „dolle“ Alte (= 4 PÖNIs).

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