POINT BLANK (1968)

PÖNIs: (5/5)

Es gibt Filmszenen, die sind und bleiben ewig im Gedächtnis. Das Wagenrennen in „Ben Hur“; der „Pfeiffer mit den drei f“ aus der rühmann’schen „Feuerzangenbowle“; das Schlussmotiv aus „Casablanca“, mit dem berühmten Humphrey Bogart-Zitat: „Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“. Mein heutiges Heimkino-Classic-MUSS-Movie besitzt auch solch einen „speziellen“ Moment. Eine „geile Sequenz“.

Stellen Sie sich bitte vor: ein Gang. Ein riesiger Gang. Ein gigantisch langer Gang in einem Hochhaus. Unendlich lang erscheinend. Ein Mann läuft diesen Gang in einem marschier-ähnlichen schnellen Tempo entlang. Seine Schritte klingen wie bedrohliche rhythmische Hammerschläge laut auf dem Parkett-Fußboden. Dazu sein ebenso entschlossenes Pokerface. Ganz klar: Der Typ hat „was vor“. Und DAS, was er vorhat, wird für die Beteiligten, zu denen er dermaßen geräusch-intensiv eilt, nicht unbedingt angenehm sein. Jedenfalls ist dies dem Gesicht von LEE MARVIN eindeutig zu entnehmen. In der Rolle des WALKER, also Läufers. Oder Gehers. IN:

„POINT BLANK“ von John Boorman (USA 1966/1967; B: Alexander Jacobs, David Newhouse, Rafe Newhouse; nach dem Roman „The Hunter“ von Richard Stark = Donald E. Westlake/1962; K: Philip H. Lathrop; M: Johnny Mandel; 92 Minuten; BRD-Kino-Start: 01.03.1968; DVD-Veröffentlichung: 21.09.2007; Blu-ray-Veröffentlichung: 31.07.2014).

„Point Blank“ = das Abfeuern einer Waffe aus nächster Nähe. WALKER (Lee Marvin) hat dies erlebt. Seine eigenen Leute haben ihn nach einem Überfall-Coup abgeknallt. Und um seinen 93.000 Dollar Anteil betrogen. Haben ihn in einer Zelle von „The Rock“, so wie man das längst geschlossene Felsen-Gefängnis ALCATRAZ vor San Francisco bezeichnet, zurückgelassen. Im Glauben, dass er krepiert. Ist. Doch weit gefehlt. Walker lebt. Überlebt. Und will nun sein Geld. Auf Heller und Cent: 93.000 Dollar. Das würde ihm genügen. Doch niemand fühlt sich dafür „zuständig“. „Man(n)“ findet es überhaupt absurd, dass sich „Jemand“ wegen einer solchen Summe derart „in Bewegung“ setzt. Aufregt. Wie dieser Typ. Aber Walker regt sich auf. UND WIE!

„Point Blank“ zählt zu den besten Filmen im Genre RACHE. Bietet formidables fiebriges Kälte-Kino. Ganz der alttestamentarischen Ansage verpflichtet: Ich habe und nehme mir das Recht, erlittenes Unrecht durch Ausübung von eigener Gewalt an diesen Personen, die mir dieses vorher angetan haben, „auszugleichen“. Hollywood-Star LEE MARVIN (*19.02.1924 – †29.08.1987), vor allem bekannt und populär geworden durch Auftritte in „Cat Ballou – Hängen sollst du in Wyoming“; „Das dreckige Dutzend“; „Westwärts zieht der Wind“; „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“ oder „Gorky Park“, mimt diesen alternden, auf VERTRAUEN und Abmachungen setzenden alternden Outlaw mit faszinierend stoischer Ruhe und Gestik, mal mit eiskalter, mal mit melancholischer Körpersprache. Bisweilen agiert er wie in Trance. Wenn er gegen das Handwerk-Motto der modernen Nadelstreifen-Businness-Gangster antritt, „Gewinn ist das einzige Prinzip“. Dabei ist er doch nur eine Schachfigur in der Berechnung der Chefetage. Denn er sorgt dort für einen „mächtigen Gewinn“.

„Point Blank“ setzt deftige Zeit-Zeichen der End-Sechziger-Kapital-Jahre. Bar-Geld ist lächerlich. Kleinkrämerei. Der Mob, die Mafia, das System oder hier „DIE ORGANISATION“ besitzen zwar Millionen, aber „die Teilnehmer“ haben selbst kaum Bares. Leben zwar in tollen Häusern, fliegen in Privatjets, handeln täglich mit Millionen Dollar, “sehen“ aber von denen so gut wie gar nichts. Und da kommt so ein „Hansel“ daher und will 93.000 Dollar. Bar. Cash. Auf die Hand. Was soll das? Ist der verrückt? Wieso dreht DER so durch???

Und noch so eine sagenhafte, unvergessene Szene. In einem Club. Während dort ein schwarzer Sänger die Besucher in jazziger Song-Stimmung klangvoll anbrüllt und sie ihm brüllend antworten, fightet Walker hinter den Kulissen dieses fiebrigen Pop-Tempels um sein Leben. Bunte Schatten: eine ästhetische Meisterleistung als irres Pop-Art-Bild jener Epoche. Wie überhaupt diese flirrenden Ton- und Bild-Montagen wunderbar ans Auge, an den Schädel und in den Bauch knallen. Der britische Regisseur JOHN BOORMAN („Beim Sterben ist jeder der Erste“) benutzt konsequent Stilelemente des französischen Noir-Kinos, der Solist inmitten der ungerechten Massen-Fütterung, und schafft daraus eine phantastisch wirkende, hochemotionale Spannungs-Philosophie in brillant-heller (US-)Farbenkomposition: nur Walker. Vor- oder Nachname? Egal. Ich will DAS, was mir zusteht. Ohne Abrechnung trete ich nicht ab. Mit euch feinen Drecksäcken kann ich immer noch bestens mithalten. Ich bin cleverer als ihr. Ich bin gut. RICHTIG gut. Der Tod kann mich nicht (mehr) schrecken.

Der vorher einmal von seiner Ex-Frau betonte Satz „Es muss wunderbar sein, tot zu sein“, wird zum deutungsvollen Durchlauferhitzer. Für Walker und für diese feurige Todes-Arie.

LEE MARVIN (deutsche Stimme: Ex-„Tatort“-Kommissar MARTIN HIRTHE) in seiner imposantesten Rollen. Knochentrocken-humorig, schwarzironisch als moderne Lonesome Cowboy-Ikone. Als elegante männliche Furie. Als Walker-Brother für die filmische Ewigkeit. Anführer eines großartigen Ensembles: Mit zum Beispiel der hinreißend schönen Blonden ANGIE DICKINSON („Rio Bravo“), KEENAN WYNN als lakonischem Strippenzieher, JOHN VERNON in seinem schmutzigen Durchbruch-Part als ekliger Schurke Mal Reese.

„POINT BLANK“: Auch heute ist dieser Thriller wieder beziehungsweise weiterhin eine Augenweide. Ein Hochgenuss an Spannung. Ein meisterhaftes cineastisches Genre-Werk. Und nun auch mit vorzüglichem BONUS-Material versehen: Darunter einem Audiokommentar von John Boorman und seinem Bewunderer Steven Soderbergh sowie zwei Dokumentationen von damals über den Drehort „The Rock“, also ALCATRAZ. Toll (= 5 PÖNIs).

Apropos: Der Titel „POINT BLANK“ wurde in den letzten Jahren einige Male missverständlich für neue französische Filme mit-verwandt, die hierzulande gleich im Heimkino anliefen. Sowohl „Point Blank – Aus kurzer Distanz“ (2012/Originaltitel: „À bout portant“ = „Aus nächster Nähe“; s. Kino-KRITIK) wie auch „Point Blank – Bedrohung im Schatten“ (2013/“Mains Armées“ = „Bewaffnete Raubüberfälle“; s. Kino-KRITIK) haben rein gar nichts mit dem amerikanischen Original und Spitzenfilm zu tun. Sind nur titelmäßige Unverschämtheiten.

Anbieter: „WHV/Warner Home Video“.

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