0.) Es war einmal … vor langer Zeit. Da habe ich, der eigentliche Fußball-Fan, beschlossen, mir nie mehr ein Live-Spiel mit dem – langweilenden – Dauer-Sieger FC BAYERN MÜNCHEN im Fernsehen anzusehen. Kürzlich dann – der Alptraum. Mit einem Bayern-Kick. DFB-Pokal-Match zwischen Borussia Mönchengladbach gegen Bayern München. Motto: Ein magisches Duell. Das nach 21 Spielminuten 3:0 für den Gastgeber Gladbach steht. Zwischendurch höre ich, im Traum, immer wieder den Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic verzweifelt brüllen: „Was für ein kollektiver Blackout!“. Während ich mich alpträumerisch gar nicht einkriege vor Begeisterung. Als ich aufwache und den Fernseher einschalte, ist gerade die 57. Spielminute angelaufen, und soeben fiel das 5:0 für Borussia, und ich kriege mich – nun real – vor Begeisterung gar nicht mehr ein. Die Borussia überrollt einen völlig desolaten FC Bayern München im DFB-Pokal und siegt schließlich „nur“ 5:0. In einem legendären = tatsächlichen Fußballspiel. Ab sofort sehe ich mir wieder „Bayern München-Spiele“ an. Und hoffe auf Öfters-solche-Bayern München-HURRA-Aussetzer. P.S.: Ach so ja – beste Grüße an das 1860 München-Original SASCHA MÖLDERS, 36, genannt „Die Wampe von Giesing“, der das 1:0 für die „richtigen Münchner“ gegen Schalke 04 vorbereitete, womit er seine „besseren Münchner“ ins Achtelfinale des berühmt-berüchtigten DFB-Pokals brachte. Denn das 1:0 hielt für München 60 bis zum Abpfiff. Nochmal, nur jetzt andersrum: HURRA!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
1.) KLASSE-DEBATTE. Titel = „CONTRA“ von SÖNKE WORTMANN (D 2019; B: Doron Wisotzky; nach der französischen Dramödie „Le Brio“ von Yvan Attal (= „Brillanz“/hierzulande unter dem Titel „Die brillante Mademoiselle Neila“ am 14.6.2018 im Kino gestartet/s. Kino-KRITIK / 3 1/2 PÖNIs). 104 Minuten. Ich mag SÖNKE WORTMANN. Passend geboren – am 25. August 1959 – in Marl. Als Sohn eines Bergmanns. Nach dem Abitur wollte er zunächst Fußballprofi werden. Spielte, unter anderem, in der dritthöchsten Spielklasse bei Westfalia Herne und bei der Spielvereinigung Erkenschwick. Für Erkenschwick erzielte er 1980 den ersten Treffer beim 3:0-Sieg über den Bünder SV (= aus dem Kreis Herford) zum Aufstieg in die 2. Bundesliga. Für eine „namhafte“ Laufbahn fehlte Sönke Wortmann nach eigener Aussage der Ehrgeiz, weshalb er seine Karriere zu Gunsten eines Studiums beendete. SCHNITT. Hin zum späteren Filmemacher. Der anfangs mit Spielfilmen wie „Kleine Haie“ (1992) und vor allem natürlich mit „Der bewegte Mann“ (1994/fast 7 Millionen Zuschauer) „auffiel“. Mit dem exzellenten Fußballstreich „Das Wunder von Bern“ (2003) bleibt Sönke Wortmann spielerisch unvergessen. Zuletzt imponierte er mit „Frau Müller muss weg“ (2015 /s. Kino-KRITIK / 4 1/2 PÖNIs) und „Der Vorname“ (2018/s. Kino-KRITIK/4 PÖNIs). Warum diese Einstiegsausführlichkeit?: „CONTRA“ ist ein deutscher Filmmeilenstein in diesem Kinojahr. Die Sätze „stimmen“, die Bewegungen erzeugen Neugier und Interesse, während der Pro-Kontra-Stil pikant anmacht. Man fühlt sich bestens, also intelligent-pfiffig, berührt. Eben – angemacht. Eben – mitgenommen.
ER ist ein ziemlich arroganter Stinkstiefel. Professor Richard Pohl (CHRISTOPH MARIA HERBST), ein zuversichtlicher Pessimist, präsentiert sich im übervollen Frankfurt/Main-Uni-Hörsaal stark aufplusternd. Dabei sollte doch die erste Vorlesung für die Jurastudentin Naima Hamid (NILAM FAROOQ) ein besonderer Tag sein. Schließlich will die Erstsemestlerin mit marokkanischen Wurzeln Anwältin werden und so auch ihrer Mutter und den jüngeren Brüdern zu einer besseren Zukunft in Deutschland zu verhelfen, wo sie allesamt nur Bleiberecht genießen. Dass sie zu spät die Uni erreicht, hat mit der Unzuverlässigkeit ihres Bruders Junis zu tun. Was natürlich Professor Pohl nicht interessieren würde, auch wenn Naima ihm dies sagen würde. Sie ist bedient, denn der „sehr deutsche“ Prof lässt diese Störung SEINER Vorlesung – „In meinem Kulturkreis bedeutet Pünktlichkeit noch etwas“ – nicht ungesühnt. Er stellt Naima bloß und spart auch nicht mit Vorwürfen gegen ihren Kulturkreis, sprich: von wegen SIE und überhaupt allgemein = Migrationshintergrund. Doch dies war eine fremdenfeindliche Bemerkung zu viel. Als das Video „dieses Vorkommnisses“ viral geht, gibt Universitätspräsident Alexander Lambrecht (ERNST STÖTZNER) dem alten Weggefährten eine letzte Verwarnung mit Chance. Wenn es dem rhetorisch begnadeten „Kameraden“ Pohl gelingt, Naima für einen bundesweiten Debattier-Wettbewerb einzustimmen = fitzumachen, wären seine Chancen vor dem Disziplinarausschuss DAMIT wesentlich besser.
Also „My Fair Lady“ 2021? Keineswegs. Vielmehr müssen sich – gedanklich, sprachlich, tatsächlich und vor allem empathisch – zwei höchst unterschiedliche menschliche Pole nähern. Was gelingt, weil CHRISTOPH MARIA HERBST und NILAM FARCOOQ zu temporaler Charakter-Hochform auflaufen. WIE sie pfeffrig argumentieren, ist erste, listige Unterhaltungssahne. Bedeutet zugleich – viel reizvolles Eintauchen in atmosphärische Seelen-Tiefen. Ohne dabei in peinlichen Gefühlskitsch abzurutschen. Ohne dabei brüllenden Schaum zu erzeugen. Kurzum: Debattieren verbindet souveränes Austeilen, scheinbar-empörendes Einfangen. Von zwei Multi-Kulti-Typen von verschiedenen intellektuellen Kulturplaneten. UND: Für „Contra“ hat die deutsche „Queen of Soul“ JOY DENALANE den Bill Withers-Klassiker „USE ME“ (von 1972) in einer fantastischen Nachspann-Version eingebracht.
Dies hier ist: Ein konsequent doppelbödiger Wohlfühlfilm nach der Nelson Mandela-Vorlage: „BILDUNG IST DIE MÄCHTIGSTE WAFFE, UM DIE WELT ZU VERÄNDERN (= 4 1/2 PÖNIs).
2.) DIGITALE-BISSIGKEIT. Titel = „ONLINE FÜR ANFÄNGER“. Von BENOIT DELÉPINE und GUSTAVE KERVERN (B + R ; Fr/Belgien 2019; 110 Minuten). Mit zwei Spielfilmen konnte das Autoren-Regie-Duo auch im deutschen Kino punkten: „Louise Hires a Contract Killer“ (2008/s. Kino-KRITIK /5 Pönis) und mit der Gerard Dépardieu-Delikatesse „Mammuth“ (2017/s. Kino-KRITIK /4 PÖNIs). Hier nun begleiten und attackieren die mit sehr viel bösartig-zweideutigem Humor ausgestatteten Anarcho-Filmemacher das aktuelle Gesellschaftsthema: Was, besser WIE, besser WER BIST DU eigentlich, wenn die Technik dich einwickelt. Dich auffrisst. Radiert. Wenn dieses NETZ mit seinen Versprechungen dich unbemerkt einlullt; dich einfängt; dich besitzt. Motto: Was können die Fallstricke des modernen Daseins erreichen. Beziehungsweise: Wenn Schönfärberei die Realität, DEINE REALITÄT, ausknockt. So dass DU nur noch wie ein Niemand herumschleuderst. In physischer und psychischer Gefangenschaft verkommst.
Drei Nachbarn. In der Provinz. Ehemalige Gelbwesten. Solistin Marie (BLANCHE GARDIN) sucht (k)einen Job; hat noch nie gearbeitet, verkauft ihr Mobiliar im Internet, trinkt Whiskey-Cola und wird gerade erpresst, weil sie in einem Sex-Video auftaucht. Ihr Kind lebt beim Vater. Bertrand dagegen (DENIS PODALYDÉS) ist immens verschuldet; hat zu viel „eingekauft“; hat sich zu viel Geld geliehen; ist Opfer von Cyber-Mobbing, während er sich in die Stimme einer Callcenter-Agentin am anderen Ende der Welt so verliebt hat, dass er ihr kein noch so bescheuertes Angebot abzulehnen vermag. Und zu den Absurditäten der überdrehten Digitalität zählt auch Christine (CORINNE MASIERO), die TV-Serien-süchtig ist und die – trotz vieler Anstrengungen – sich, als schlecht gelaunte Uber-Fahrerin mit Kleinwagen, über die permanent schlechten Internet-Stern-Bewertungen aufregt. So dass erneute Arbeitslosigkeit droht. Alle Drei vereint – niemand ist auch nur annähernd stabil; alle sind aufgeregt, nervös, diffus. (Auf meinem Zettel steht an dieser Stelle: Wenn du diesen Film gesehen hast, fast du kein Handy mit der Dauerauskunft „bitte haben sie noch etwas Geduld“ bzw. kein Phone mehr an). „Online für Anfänger“ lief 2020 im Berlinale-Wettbewerb, bekam einen „Silbernen Bären“-Sonderpreis und präsentiert sich als Sarkasmus-Orgie, deren Bitterkeit zerhackt angeliefert wird, während die ulkigen Slapstick-Situationen mehr flachgefüllt darben denn horrend zündeln. Die Chance, hier mit wütendem Schnelldurchlauf zünftig für vor-treffliche = deftige Wirkung zu sorgen, wird zu oft vertan. Von wegen Gesellschaftskollaps: solche Misshandlungen im digitalen Alltags, zwischen Absurditäten und Stolperfallen, zwischen künstlicher Intelligenz und Fake-Bewertungen samt überteuerter Kosten, hätten keine Schwammigkeit, sondern härtere und schärfere Antworten verdient. Zumal der Schluss nur ein vages Versprechen ist denn überzeugende „Rache“ bietet. (= 2 1/2 PÖNIs). P.S.: In Frankreich, so heißt es, sollen über 500.000 Zuschauer diesen Kinofilm im Vorjahr besucht haben.
3.) FESSELND. Titel = „BORGA“. Von YORK-FABIAN RAABE (Co-B + R); D/Ghana 2020; Co-B: Toks Körner; 108 Minuten. Feierte seine Premiere auf dem diesjährigen „Filmfestival MAX OPHÜLS“ und wurde hier Ende Januar als „„Bester Film“, mit dem „Publikumspreis Spielfilm“, dem „Preis der Ökumenischen Jury“ sowie dem Preis „Gesellschaftlich relevanter Film“ ausgezeichnet. Vor kurzem wurde Hauptdarsteller EUGENE BOATENG mit dem „Deutschen Schauspielpreis“ gewürdigt. Begründung: „Der Preis wird an Persönlichkeiten vergeben, die mit ihrer schöpferischen Leistung dem deutschen Film zu einer vielschichtigen Identität verhelfen und andere damit inspirieren“.
Zwei Brüder. Kojo (EUGENE BOATENG) und Kofi (JUDE ARNOLD KURANKYI). Sie wachsen auf der Elektroschrott-Müllhalde Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra auf. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie im Betrieb ihres Vaters mit dem Sammeln von Metallen, die sie aus westlichem Elektroschrott gewinnen. Eines Tages hat Kojo eine Begegnung mit einem Borga (ELIKEM KUMORDZIE), die sein Leben verändern wird. Als sich 10 Jahre später die Chance ergibt, selber nach Deutschland zu gehen, zerreißt das Familienband, und für Kojo beginnt eine vierjährige Irrfahrt über die Kontinente. In Deutschland endlich angekommen, bemerkt er schnell, dass sein Traum nur ein Mythos ist. Er wird keineswegs mit offenen Armen empfangen. Aber eine Rückkehr kommt nicht in Frage. Sein Lichtblick ist Lina (CHRISTIANE PAUL), doch auch bei ihr versucht er das Bild zu erfüllen, von dem er annimmt, dass es alle von ihm erwarten – das Bild eines Borgas. Doch die Realität sieht ganz anders aus. Völlig anders.
Ein fesselndes, authentisches Filmdrama, das eine außergewöhnliche Menschen-Reise beschreibt. Mit Anleihen, die Gangsterfilm, Melo- und Sozialdrama einbinden. Und: Mit der empathischen Erkenntnis, nie den Wert einer Familie aus den Augen, aus dem Sinn zu verlieren (= 4 PÖNIs).
4.) NÖ. Titel = „8 RUE de l’HUMANITÉ“. Von und mit DANY BOON (Co-B + R + Rolle); Fr 2020; 125 Minuten; im Netflix-HEIMKINO. Wir kennen ihn seit „Willkommen bei den Sch´tis“ (s. Kino-KRITIK / 2008) und dem Nachfolger-Movie „Die Sch’tis in Paris – Eine Familie auf Abwegen“ (2018/s. Kino-KRITIK): DANY BOON. Hier hat sich der nervöse Clown Dany als hypochondrischer Martin vertan. Obgleich – rund eine Filmstunde funktioniert die „allgemeine häusliche Mobilmachung“. Paris wirkt wie ausgestorben. Die Pandemie hat die Leute aufs Land abhauen oder sich Zuhause fest aufhalten = binden lassen. Der überlange Film spielt in einem Gebäude mit trockenem Innenhof. Sieben Familien haben es hier unter sich und mit den anderen schrägen Bewohnern zu tun. Dabei fällt auf – nicht nur Dany, pardon Martin zeigt sich überdreht, verrückt, spinnerhaft, also als doofer Irrer, sondern auch die Nachbarn haben alle was an der Klatsche. Benehmen sich meistens bescheuert und durchgeknallt. Wir blicken auf: Eltern, Kinder, Vater, Rechtsanwältin und auch auf Dottore Jean-Paul (YVAN ATTAL), der sich „Wissenschaftler“ nennt und völlig überkandidelt ist. Was aber niemandem auffällt. Auch nicht, als er Versuche mit einem Meerschweinchen – Lili – startet. Während eine Followerin im Haus andauern dasselbe Corona-Lied trötet. Fürchterlich. Ein Polizist weiß Bescheid: „Ein Irrenhaus ist das hier“. Mit überdrehtem Chaos-Charme. Obwohl – ’ne gute Stunde geht das Na-Ja-noch mit halt kaputten Gags und neckischen Albereien. Dann aber wird’s dauer- blöd. Eindimensionale Typen, mit ihren lausigen plumpen Witzen, die alles andere als ulkig herum-kalauern, und diese Länge, die zum Schluss nur noch Happy-Mostrich ist. Das ist sowas von tristem Heimkino-Schrott (= 1 PÖNI).
5.) GEWALT-PUR. Titel = „THE PROTÉGÉ – MADE FOR REVENGE“. Von MARTIN CAMPBELL (USA/GB 2020); B: RICHARD WENK; 109 Minuten. Heimkino (seit 22.10.2021). Wieder solch ein KILLER-STREIFEN. Gedreht von einem britischen Regisseur aus Neuseeland, der 1995 Neu-Bond Pierce Brosnan mit „GoldenEye“ das Erfolgsdebüt gestaltete. 2006 schuf er seinen zweiten 007-Hammer mit „CASINO ROYALE“ (s. Kino-KRITIK), in dem Daniel Craig triumphal seinen James Bond-Einstieg feierte. Hier setzt Mr. Campbell MAGGIE Q in Bewegung. Als unschlagbare – eben Killerin. Die alles und jeden niedermäht. An ihrer Seite stampfen immerhin SAMUEL L. JACKSON (als cooler Viel-Quatscher-Mentor) und MICHAEL KEATON (als Michael Rembrandt) mit. Mal doller, mal weniger. Aber Sprüche-intensiv. Worum es geht? Schießen, Prügeln, Meucheln, Abfackeln. Immer an vorderster Front: Maggie Q als Anna. Selbst als sie gefangen genommen wird, hält sie natürlich durch. Und sinnt und nimmt: Revenge. Gut so. Wie erlebt man diese Killer-Operette? Einfach alles abschalten, was mit Gehirn zu tun hat; sich gut zurücklehnen, damit der Verstand sich genüsslich ausruhen kann; einfach alles hinnehmen. Ist doch nur HEIMKINO, mit enorm vielem Radau und einer Hyäne-Lady, die ganz-doll-fleißig herumballert. Das, nein DIE isses (= 3 PÖNIs).
6.) MUSIK: D E R Film der Woche heißt „C O N T R A“. Der Nachspann-Soul wird hinreißend von JOY DENALANE gesungen. Ganz klar – Film und Song sind die Lieblingsutensilien dieser PÖNI-Woche:
Wünsche eine GESUNDE, soulige Woche.
HERZlichst: PÖNI PÖnack
kontakt@poenack.de