PÖNIs BLOG (156): WOLFGANG STAUDTE; „TITANE“; „NOWHERE SPECIAL“; „HINTERLAND“; TV-TIPP; ADELE

0.)   ER zählt zu den bedeutendsten (wie am meisten attackierten) Nachkriegsfilmern in Deutschland: WOLFGANG Georg Friedrich STAUDTE, geboren am 9. Oktober 1906 in Saarbrücken; gestorben am 19. Januar 1984 in Zigrski, SR Slowenien. Mit Filmen wie „Die Mörder sind unter uns“ (1946); „DER UNTERTAN“ (1951); „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (1953); „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959) oder „Kirmes“ (1960) hat er sich in den politischen wie cineastischen Geschichtsbücher verewigt. An diesem Sonntag wird – anlässlich des 115. Geburtstages sowie zum 10. Jahrestag der Wolfgang Staudte-Gesellschaft – zu 19 Uhr in das Kino achteinhalb, Saarbrücken eingeladen. Zur Präsentation des Wolfgang Staudte-Meisterwerks „HERRENPARTIE“ aus dem Jahr 1963. Die Männer eines deutschen Gesangsvereins, vorwiegend ehemalige Kriegsteilnehmer, treffen in einem jugoslawischen Dorf auf Witwen. Es stellt sich heraus, dass ihre Männer und ein Junge im Krieg von deutschen Wehrmachts-Soldaten in einer Vergeltungsaktion erschossen worden waren. „Pendelnd zwischen politischer Satire und Schicksalstragödie ist der hervorragend gespielte Film ein bemerkenswerter Beitrag zur unbewältigten Vergangenheit beider Völker. Nicht minder interessant ist der Blick auf die damalige Rezeptionsgeschichte des Films, der als ‚üble Nestbeschmutzung‘ diffamiert wurde und die Kino-Karriere Staudtes als engagierter Gesellschaftskritiker beendete“ (Lexikon des Internationalen Films). In den männlichen Hauptrollen sind u.a. GÖTZ GEORGE, Hans Nielsen, Rudolf Platte zu erleben. Die Einladung gilt!

1.)   STARKER TOBAK. Titel = „TITANE“. Von JULIA DUCOURNAU (B + R); Fr/D/Slowenien/Kroatien/Montenegro/Bosnien/Herzegowina 2020; 108 Minuten. „Goldene Palme“ von Cannes 2021. Wie oft läutet in Kinofilmen die Glocke: DER MENSCH IST SCHLECHT. Man darf ergänzen – meistens vor allem – Leinwand-Kerle. Dass nun eine Frau diese Position übernimmt, im Gewalt-Orgien-Stil, setzt Zeichen: Alexia setzt in der Lichtspielbetrachtung von 2021 (französische) Maßstäbe. Motto: Ansehen gestattet, anfassen, du wirst massakriert. Ein B-Movie inmitten einer paranoiden B-Blut-Öl-Brutalo-Schock-Atmosphäre. Das klarmacht, die gesellschaftliche Gewaltenteilung verändert sich gerade. Auslöser: Ein Junge verschwindet. Ein Jahrzehnt später taucht er wieder auf. Verwandelt als SIE. Alexia. Verrückt? Ja, mit: Aber: Als kleines Mädchen erhält die von ihrem Vater ungeliebte Alexia nach einem Autounfall eine Titanplatte in den Schädel implantiert. Ein Element von größter Widerstandskraft. Unerschütterlich. Unzerstörbar. Feuerfest. Mit geilen Folgen, sprich: Auto-Liebe. Existiert. Abhängige körperliche Zuneigung zum Gerät. Der Horror blüht. Im satten B-Movie. Anstatt Blut mischt sich Öl schreiend ein. Und Vincent (VINCENT LINDON). Ein körperlich abbauender Feuerwehranführer. Der sich mit – schmerzhaften – Hormonspritzen dem körperlichen Zerfall widersetzt.  Der SIE als seinen Sohn emotional einbindet. Uneingeschränkt. Während Alexia als nunmehr Adrien – bekanntermaßen – sowieso jeden massakriert (hat), der versucht, sie zu berühren. Im Alexia-Part suhlt sich AGATHE ROUSSELLE, die nach Ausflügen in die Modewelt und den Journalismus ihre erste Hauptrolle in einem Langfilm vehement auslebt. „Mit ihrem unverbrauchten, energetischen und zutiefst authentischen Schauspiel begeisterte die Newcomerin die Jury in Cannes und trug erheblich zum Gewinn der ‚Goldenen Palme bei“, meldet das Presseheft. Was für ein queres Lichtspiel!

Ich breche ab. Denn ich müsste nun noch von Mord-Ekstase, Geschlechtswandlung, durch einen Cadillac ermöglichte Schwangerschaft, empathische Anfälle und von einer saugefährlichen Haarnadel berichten. Sowie von einer extremen Geburt. In diesem Gemein-Werk, das konsequent alles abfeiert, was provoziert. Tabus bricht. Hemmungslose Spielarten der sexuellen Ekstase ausweitet. Während in Alexias Bauch das Öl dröhnt. JULIA DUCOURNAU, die Regisseurin und Drehbuch-Autorin, sorgte bereits 2016 mit ihrem Debüt, dem kannibalistischen Liebesfilm „RAW“, für breites Aufsehen. Ihr (Presseheft-)Kommentar hierfür: „Ich wollte einen Film machen, in den man sich zu Beginn unmöglich verlieben kann wegen all der Gewalt  – der einen schlussendlich aber dank der charismatischen Charaktere doch berührt und dann tatsächlich als Liebesgeschichte wahrgenommen wird. Oder vielmehr eine Geschichte über die ‚Geburt einer Liebe‘, denn in TITANE ist alles eine Frage der freien Wahl“. Na denn (= 3 PÖNIs).

2.)   HUMAN. Titel = „NOWHERE SPECIAL“. Von UBERTO PASOLINI ( B + R); Italien/Rumänien/GB 2020; 96 Minuten. Wir erinnern uns gerne – Uberto Pasolini, 1957 in Rom geboren, seit 1983 tätig in der britischen Filmindustrie, schuf 2012 als Autoren-Regisseur einen Film, der hierzulande am 4. September 2014 ins Kino gelangte und unvergessen bleibt: „MR. MAY UND DAS FLÜSTERN DER EWIGKEIT“ (s. Kino-KRITIK / 4 1/2 PÖNIs). Sein neues Werk ist ebenfalls ein Sinnbild der menschlichen Humanität. Handelt von Vater und Sohn. John (JAMES NORTON), ein mitteldreißiger selbständiger Fensterputzer in einer nordirischen Kleinstadt, kümmert sich liebevoll um seinen vierjährigen Sohn Michael (eine Wonne: DANIEL LAMONT). Die Mutter ist kurz nach dessen Geburt einfach weggegangen. Eine tiefe Liebe verbindet Vater und Sohn; ein grenzenloses Vertrauen, das wenig Worte braucht, bestimmt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Es ist ein einfaches Leben, das sie ummantelt, bestimmt von den täglichen Notwendigkeiten und Ritualen. Was Michael nicht weiß: Papa John hat Krebs. Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Die will er nutzen, um für seinen Sohn eine „geeignete“ Adoptivfamilie zu finden, eine perfekte. Aber wie kann er seinem Jungen nur erklären, warum sie so viele merkwürdige Menschen dauernd besuchen? Kennt er wirklich seinen Sohn gut genug, um zu wissen, was der braucht? Nach und nach beginnt John zu begreifen, dass er nicht nur eine Entscheidung für die Zukunft treffen muss, sondern vor allem eine für die Gegenwart. Dass er Michael vertrauen muss. Dass sie leben, jetzt, in diesem Moment. Mit der Frage der Fragen – wer vermag künftig ausreichend Liebe, Sicherheit und Trost für seinen heißgeliebten Sohn wirklich aufbringen. Es stellt sich heraus – viele der Ausgesuchten vermögen nicht zwischen-menschlich zu punkten. Im Gegenteil. Doch die Zeit drängt.

Inspiriert von einer wahren Geschichte erzählt der humane Filmemacher eine einfache, unter die Haut gehende Geschichte. James Norton und der vierjährige Daniel Lamont spielen Vater und Sohn mit herzzerreißender Nähe und sagenhafter Vertrautheit. Ohne zerkitschte Emotionen. Mit den rührenden Kleinigkeiten der Alltagsbewegung, etwa beim Überqueren einer Ampel, die Albereien beim gemeinsamen Eis-verspeisen. Oder beim Geschichtenlesen vor dem Schlafengehen des Jungen. In seiner Denk- und Erzählweise greift „Nowhere Special“ auf, was tatsächlich „passiert“: mit leisen Tönen, sehr ruhig, sehr beobachtend, ohne Schreien, Weinen, Wut, Verzweiflung. „Wir haben eine bestimmte Zartheit und Leichtigkeit im Ton gesucht“, erläutert Uberto Pasolini im Presseheft. Und das ist ihm, in der Filmtat, berührend gelungen (= 4 PÖNIs).

3.)    WUCHTIG. Titel = „HINTERLAND“. Von STEFAN RUZOWITZKY (Co-B + R); Ö/Luxemburg/Belgien/D 2019; 99 Minuten. Was für ein überzeugender historischer Thriller und Antikriegsfilm! Vom österreichischen „Oscar“-Preisträger („Die Fälscher“/2008/s. Kino-KRITIK/4 PÖNIs). Dessen neuer Spielfilm fast ausschließlich mit der Blue-Screen-Technik gedreht wurde: Das Szenenbild, das an die modernen und expressionistischen Motive des Kinos der 20er Jahre erinnert, entstand hauptsächlich am Computer. Beeindruckt dadurch mit schrägen Häuserlandschaften des alten Wiens, bietet verzerrt-faszinierende Perspektiven, und bisweilen glaubt man sich im Atelier eines besonders raffinierten Malers aufzuhalten. Dabei befinden wir uns im Jahr 1920. Nach Jahren der Kriegsgefangenschaft kehrt der ehemalige Kriminalbeamte Peter Berg (MURATHAN MUSLU) mit einigen Restgetreuen aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause zurück. Das Kaiserreich, dem er gedient hatte, ist zusammengebrochen. Die neue österreichische Republik lebt von sozialer Sprengkraft und künstlerischer Freiheit, hat mit dem Aufkommen antidemokratischer Bewegungen und Arbeitslosigkeit zu kämpfen. In seinem Haus regiert die Concierge (Margarethe Tiesel); seine geliebte Frau Anna hat mit dem Kind längst die Stadt verlassen; wohnt jetzt auf dem Land. Perg ist ein Fremder in seiner Heimatstadt. Misstrauen allerorten. Gerade als er sich auf den Weg zu seiner Familie machen will, wird er mit dem grausamen Mord an einem seiner ehemaligen Kameraden konfrontiert. Der Beginn einer Reihe von weiteren Hinrichtungen. Morden. Perg erkennt, dass er mit allen Opfern persönlich verbunden ist. Gerät deshalb selbst in den Fokus der Ermittlungen. Startet mit eigenen Ermittlungen, um den Mörder aufzuspüren. Die kühle, kluge Gerichtsmedizinerin Dr. Theresa Körner (LIV LISA FRIES / neulich erst in: „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“) wird zu seiner Verbündeten. Im Verlaufe ihrer Ermittlungen, an denen auch der junge Kommissar Paul Severin (MAX VON DER GROEBEN)  beteiligt ist, stellt man fest, es nicht nur mit einem äußerst brutalen und systematisch vorgehenden Killer zu tun zu haben, sondern, im Hintergrund, in der Begleitung, auch mit üblen Intrigen innerhalb der Polizei.

„HINTERLAND“ oder: Der besondere Film blickt nicht nur in jeder Einstellung auf die innere Zerrissenheit seiner Hauptfigur Peter Berg („Töten und Quälen ist typisch menschlich“), sondern betont auch die äußere Fragilität der Gesellschaft; so dass die sowohl visuelle als auch empathische Gefühlslage dieser Zeit zu einem außergewöhnlichen und faszinierenden, packenden Spannungserlebnis ausufert. Hinterland“ handelt vom puren atmosphärischen Kinogrusel: bildlich wie gedanklich wie hochemotional (= 4 PÖNIs).

4.)    TV-TIPP.  Es ist ein schlimmer Satz: „Brauchbare Menschen müssen sich fügen“. Stammt aus dem Bestseller-Roman „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz/1968. Die Verfilmung von Christian Schwochow zählte zu den besten deutschen Kinofilmen des Jahrgangs 2019. Das ZDF präsentiert „DEUTSCHSTUNDE“ am nächsten Montag, 11.10. ab 20.15 Uhr. Ein hervorragender Film mit einem weiterhin riesigen, weiterhin gültigen Empörungspotenzial! (s. Kino-KRITIK / 4 1/2 PÖNIs).

5.)    MUSIK. „Keine Zeit zu sterben“ oder: Der neue BOND-Film ist gegenwärtig der Besucher-Renner in den landesweiten Lichtspielhäusern. Danke für die Zustimmungspost zum Louis Armstrong-Remember der Vorwoche. Wo u.a. mehrmals die Frage aufkam, welcher BOND-Song denn eigentlich und überhaupt der beste sei. Mein Vorschlag für diese Woche: ADELE mit ihrer brillanten Variante: „SKYFALL“. Bitte sehr:

Wünsche eine GESUNDE bondige Zeit.

HERZlichst:   PÖNI PÖnack

kontakt@poenack.de

 

 

 

 

 

 

 

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