NUMMER 6

Normalerweise schaffe ich es zeitlich nicht, mich auch um bessere TV-SERIEN zu kümmern. Eine der wenigen Ausnahmen ist jetzt die DVD-Box-Set-Veröffentlichung der GESAMTEN FOLGEN der legendären britischen MYSTERY-SERIE
„THE PRISONER“, deren Dreharbeiten im Spätsommer 1966 (mit Außenaufnahmen im walisischen Örtchen Portmeiron) begannen und, mit Unterbrechungen, bis zum Winter 1967 andauerten. Gedreht wurde, entgegen den Gepflogenheiten für Fernsehserien, auf teurem 35mm-Kinomaterial und in Farbe. Mit 75.000 Pfund pro Folge war die Reihe extrem hoch budgetiert. Insgesamt entstanden 17 Folgen von je 52 Minuten. Im britischen Fernsehen (ITV) lief die Serie komplett vom 29.9.1967 bis zum 2.2.1968. In der BRD strahlte sie das ZDF ab dem 16. August 1969 an späten Samstag-Abenden aus. Bis zum 25. April 1970 wurden 13 der 17 Episoden in unregelmäßigen Zeitabständen gezeigt. In übrigens einer außergewöhnlich sorgfältigen Synchronisation.

Unter dem Titel:
NUMMER 6„. (GB 1967-1968; je 52 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 02.12.2010)

Die Reihe, die im Verlauf der Jahre immer wieder genannt, zitiert, in Folgen im Privat-TV (SAT.1/Pro 7) „unauffällig“ versendet wurde, entwickelte KULT-Geruch, bekam KULT-Status. Eine „hoch-niveau“-TV-Serie entwickelte sich zur eigenständigen Kunstform. Der deutsch-französische Kultursender ARTE brachte in diesem Sommer, im Rahmen des Themenschwerpunkts „Summer of the 60’s“, alle Folgen ins Samstagabend-Programm. Einschließlich der vier seinerzeit vom ZDF nicht „angenommenen“ Episoden, die neu synchronisiert wurden. Und jetzt ist das TV-PRACHTWERK in seiner Gänze und mit viel erläuterndem, ausführlichem Bonusmaterial auf DVD zu bestaunen. Motto: Auch nach über vier Jahrzehnten hat diese TV-Reihe nichts, aber auch gar nichts von seiner intelligenten Spannung, der Gedankenschärfe und von seinem in der Tat außergewöhnlichen Reiz verloren.
„NUMMER 6“ lebt, und wie!

Wir befinden uns im letzten Jahrhundert, Ende der 60er Jahre. Stichwort: Die äußere und innere Aufruhr jener Epoche. Die alte Ordnung verblühte. Swinging Sixties. Alles wurde infrage gestellt. Eltern-Generation, Kunst, Politik. Die Autoritäten schwanden, die Pop-Art wurde ausgerufen, George Orwell mit seinem Überwachungsstaat und diesen Überwachungsmechanismen in seinem (bereits 1946/47 geschriebenen und 1949 erschienenen) Roman-Klassiker „1984“ waren ebenso gedanklich-kritisch angesagt wie Aldous Huxleys „Brave New World“. Die Antwort des Fernsehens darauf war diese britische Serie. Erdacht und ausgeheckt hat sie, gemeinsam mit dem Script-Editor George Markstein (1929-1987), der in den USA geborene, in Großbritannien aufgewachsene Schauspieler, Drehbuch-Autor und Regisseur
PATRICK McGOOHAN (19.3.1928 – 13.1.2009).

DER war Mitte der 60er Jahre über die (auch international) SEHR erfolgreiche TV-Agenten-Serie „Danger Man“ zur Ikone und zu Englands bestbezahltem Schauspieler aufgestiegen. (Bei uns lief diese Vorabend-Serie unter dem Titel „GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE“ (s. Kritik); deutsche Stimme für Patrick McGoohan-John Drake war übrigens Heinz Drache). McGoohan entwickelte das Konzept, schrieb einige Drehbücher, führte mehrmals Regie UND spielte die Hauptperson: Einen „anonymen“ Agenten (Seiner Majestät), der soeben (Vorspann) seinen „Austritt“ erklärt hat. Als er in seine Wohnung zurückkehrt, wird er betäubt und wacht an einem abgelegenen exotischen Ort („The Village“) auf. Festgesetzt. Auf einer Insel. Wo die Menschen Nummern tragen und sind. Dort tituliert man ihn als „Nummer 6“ und will INFORMATIONEN. Will sein GANZES WISSEN „haben“. Der andauernd wechselnde örtliche Chef, die „Nummer 2“, bemüht sich in jeder Folge herauszufinden, WARUM er gekündigt hat und ausgestiegen ist. „Nummer 6“ jedoch ist störrisch und keinesfalls bereit, irgendwem, irgendjemandem irgendwas „zu erklären“: „Ich bin keine Nummer, ich bin ein freier Mensch“ (letzter Satz im jeweiligen Vorspann). Gelächter „von oben“.

Ein Mensch wird seiner Identität „enthoben“. Soll sich in die genormte Gesellschaft eingliedern. Soll sein Ich und sein Sich „preisgeben“. Zugunsten eines kontrollierten, bequemen, vollkommen abgesicherten, sorgenfreien, problemlosen Lebens. Um ihn herum haben DAS alle getan. Oder – fast alle. Man blickt auf „die Masse“ und sieht ein ruhiges, gesittetes, friedfertiges wie diskussionsloses Völkchen. Rebellion, illusorisch wie lächerlich. Und taucht hin und wieder doch mal ein „Störenfried“ auf und will gar abhauen (was nur über das Meer möglich erscheint), wird er von einem riesigen weißen Ballon, der aus dem Meer aufsteigt, aggressiv zur Räson gebracht. Auch Nummer 6 macht bald die „Erfahrungen“ mit dem Ballon. Zudem werden an ihm permanente „exotische“ Versuche gestartet, ihn einzuschüchtern, also zu foppen, zu manipulieren, listig einzubinden, fest einzugemeinden. Doch alle Versuche prallen von ihm ab. Nummer 6 erweist sich als „hartes Brot“ und lässt die jeweilige Nummer 2 und dessen Adlaten verzweifeln. Doch die Tricks, Täuschungen und „Spiele“ werden immer kauziger, „verrückter“, undurchschaubarer, surrealer. Aufregender. „Britisch-komischer“.

„NUMMER 6“ ist DER futuristische Thriller der End-Sechziger Jahre. Ist DIE allegorische (TV-)Antwort auf die damalige westliche Zivilisationsgemeinschaft. Eine Hymne auf das kluge, unangepasste Individuum. Als Warnung vor einer Art verführerischer Utopie vom Rundum-Wohlfahrtsstaat. Der einen ALLES abnimmt. Vor allem auch das Denken. Mit-Denken. Und für DEN ein hoher Untertanen-Preis zu zahlen sei. Ein viel zu hoher Preis. Kostenlose Voll-Versorgung für ununterbrochene Überwachung. Einengung. Ruhigstellung. Ewig-„Spaß“ für dauerhafte Gehirnwäsche. Aktuelle, brisante philosophische, soziologische wie psychologische Damals-Themen. „Man kommt sich vor wie in einer Schachpartie vom Meister Marcel Duchamp. Und fühlt sich durchaus wohl darin“, schrieb Fritz Göttler im Juni 1994 im „Kölner Stadtanzeiger“. Und zum 30-jährigen Jubiläum jubelte die Zeitschrift „Uncut“ (Nr.7/1998): „Alptraumhaft in Thema und Ausstattung, ist ´The Prisoner` wie George Orwell auf LSD, Kafka auf der Carnaby Street, Samuel Beckett gekleidet in eine Sergeant-Pepper-Uniform. Tony Blair würde eine gute Nr.2 abgeben“.

„Nummer 6“ sorgte einst für viele kreative, spannende, intelligente Unruhe. Denk-Unruhe. Unterhaltungs-Unruhe. Heiße Diskussions-Unruhe. Stand aber auch für originelles Entertainment. Dabei hat diese außergewöhnliche TV-Serie bis heute nichts von ihrem politischen Reiz-Charme verloren, ganz im Gegenteil: Beim heutigen Zuschauen entdecken wir die einstigen psychischen, physischen wie gesetzlichen Unterdrückungsformen und -normen noch viel „spezifischer“, sprich „verfeinert-normaler“: In Sachen Lobbyismus, Manipulation(en), Überwachung, Kontrolle(n), Verhör(e), ständige „humoristische“ Beeinflussungsversuche. Medien-Präsenz. Plump, prollig, produktiv. Diese schreckliche moderne Idylle. Im gekauften Demokratie-Vergnügen.
Mit ihren Parallelgesellschaften. Die sich für „besser“ halten und laufend „den Pöbel“ nach ihrem Gutdünken, über ihre ertragreichen Geschäfte bewusst täuschen, dirigieren, foppen, vereinnahmen. Eine uralte britische Fernsehserie erweist, zeigt sich heute als aktuelle Zukunft. PATRICK McGOOHAN, der zweimal als 007-James Bond vorgesehen war, aber ablehnte, ausgestattet mit seiner damaligen deutschen Stimme Horst Naumann (dem späteren ZDF-„Traumschiff“-Arzt), schuf eine unglaublich raffinierte, phantasievolle, atmosphärische wie schwarz-ironische Wut-Performance. Die später eigentlich, wieder mit ihm, in einen Kinofilm münden sollte (mit Christopher Nolan/“Inception“/ als Regisseur). Schade, dass es dazu, jetzt nun ohne ihn, (noch?) nicht gekommen ist.
Auf jeden Fall aber ist die neue, hervorragend digital bearbeitete und exzellent „rundum“ Bonus-ausgestattete DVD-Box von „NUMMER 6 – THE PRISONER“ mit das Beste, was derzeit auf dem filmischen DVD-Spannungsmarkt angeboten wird.
Ein MUSS für jedes kluge, gute DVD-Archiv (= 5 PÖNIs).

Anbieter: „Koch Media“.

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