NELLY & MONSIEUR ARNAUD

NELLY & MONSIEUR ARNAUD“ von Claude Sautet (Co-B+R; Fr 1995; 106 Minuten; Start D: 11.01.1996)

François Truffaut sagte über ihn, er sei der „französischste“ aller Regisseure. CIAUDE SAUTET, der am 23. Februar 72 Jahre alt wird, gibt seinen Filmen ein simples, aber bezeichnendes Motto vor: “Mich interessiert das Banale“, sagt er. Und: “Ich wollte von Anfang an Erklärungen durch Bilder ersetzen“. Spaziergänge und Autofahrten auf dem Land, Strömender Regen. Cafés in den Pariser Vorstädten. Eine Gruppe von Menschen in der Bewegung zu- und auseinander. Überhaupt: Bewegungen, so das Lächeln, die Anspannung von Gesichtern, die ausgestreckte Hand: Das ist die Welt, in der Claude Sautet zu Hause ist. Gedanken zeigen, Gedanken ausdrücken, Intimität, ohne den Hauch von Spekulation. Ohne ordinär zu wirken. Sautet liebt die Andeutungen, die Vorahnungen, den Seitenblick. Also all das, was nie zur Vollendung gelangt, zur Erfüllung kommt.

Der “Oscar“-Preisträger von 1980, für “Eine einfache Geschichte“, benötigt nicht viele Worte und auch keine große Musikalität. Ihm reicht die Nennung, die kurze Betonung, die halbfertige Absicht. Diskretion ist seine Sache, nicht die grobe und große ‘Schlacht‘. Und: Zufälle gibt es nicht, und auch keine Hintergedanken oder Verdunklungen. Alles ist so, wie es gesehen und aufgenommen wird. Die Filme von Claude Sautet waren stets Höhepunkte ihrer Zeit: Die illusionslosen Schwarzen Krimis der 60er wie “Der Panther wird gehetzt“ mit Lino Ventura. Die melancholischen Porträts des französischen Bürgertums der 70er wie “Die Dinge des Lebens“, “Das Mädchen und der Kommissar“ und “Cesar und Rosalie“, allesamt mit Romy Schneider“. Oder der Meilenstein von 1974: “Vincent, François, Paul und die anderen“ mit Piccoli, Montand und Depardieu. Die ans Absurde grenzenden Comedies der 80er wie “Garcon! Kollege kommt gleich“ mit Yves Nontand und “Einige Tage mit mir“ mit Sandrine Bonnaire. Und nun, in den 90ern, die mit stillem Humor gekennzeichneten strengen Studien. Erst: “Ein Herz im Winter“, die mit dem “Silbernen Venedig-Löwen“ prämierte Dreiecksgeschichte von 1992, und jetzt “ Nelly & Monsieur Arnaud“. Tenor: Ein alter Mann und eine junge, schöne Frau.

Er: Gut gekleidet, gutsituiert, von vitaler, strenger Ausstrahlung. Von seiner Frau schon lange getrennt lebend. Arnaud ist gefühlsmäßig “zu“. Hat mit seinen Mitmenschen abgeschlossen. Glaubt, “diesbezüglich“ nicht mehr “angreifbar“ zu sein. Eine stabile, beruhigende Haltung. Sie, Nelly, die Freundin einer Freundin, trennt sich gerade von ihrem Mann. Hat Geldprobleme. Er empfindet nichts dabei, ihr zu helfen. Einfach so. Ohne Forderung. Gut, wenn sie wolle, könne sie ihm ja helfen, sein Leben in ein Buch “zu formulieren“, das er gerade vorbereite. Also willigt sie ein, seine Schreibkraft zu werden. Täglich ein paar Stunden in seiner großräumigen Wohnung. Eine Abmachung ohne Verpflichtung und Zweideutigkeit. Doch dann: Das Geflecht der Emotionen. “Anziehung“ entsteht ebenso wie ein letztlich offen bleibender Reigen um Freundschaft, Zuneigung, Eifersucht, Väterlichkeit, Rivalität.

“Am Anfang gab es dieses Bild“, sagt Claude Sautet, “das mich gleichsam seit meiner Jugend verfolgte: ältere Männer, die sich auf der Terrasse des Cafés mit jungen Mädchen unterhielten. Das faszinierte mich, denn das waren weder Beziehungen von Verwandten und Familie noch von Prostitution. Ich fragte mich, was könnte sie miteinander verbinden. Und: Was könne bewirken, dass sie den Eindruck vermittelten, glücklich zu sein“. Und das ist dann auch: “Nelly & Monsieur Arnaud“.

Ohne Falltüren, ohne ‘Aktionen‘, ohne Lärm. Claude Sautet: Ein Zauberer und Verzauberer in Sachen Melancholie. Ein Poet der zwischenmenschlichen Töne. Ein Beobachter des Alltäglichen. Dass dies auch funktioniert, dass dies auch so reizvoll und faszinierend-einfühlsam komponiert und arrangiert wird, verdankt Sautet natürlich seinen beiden grandiosen Hauptdarstellern MICHEL SERRAULT und EMMANUELLE BEART. Er ist jetzt der Jean Gabin der 90er Film-Jahre: Würdevoll bis in die Fußspitzen, geckenhaft-streng, von autoritärer Schrulligkeit. Ein Durchs-leben-Schlängler mit festen Prinzipien und robustem Charme. Michel Serrault vermittelt Spannung in jeder kleinsten Bewegung. Und wie er diesen inneren/intimen Umsturz ausdrückt, ist ein schauspielerisches Meisterstück. Michel Serrault: Eine Persönlichkeit, die in jeder Pore aufregend “arbeitet“. Emmanuelle Beart, kürzlich erst als “Eine französische Frau“ gescheitert, wird von Sautet endlich einmal nicht als Schmollmund-Weib geführt, sondern als selbstbewusste, starke und moderne FRAU. Sautet führt sie zurückhaltend. Sich entdeckend. Sich einbringend. Reizvoller werdend.

Der grobe Klotz und die kluge Schöne: Ein starkes Paar in einer zeitlosen und ohne einen Tupfer von Kitsch entworfenen emotionalen Momentaufnahme. Eben: “Die Dinge des Lebens“ in den 90ern, erzählt von einem feinen Erzähler. Ganz einfach, lebendig und sehr unterhaltsam (= 4 PÖNIs).

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