MICMACS – UNS GEHÖRT PARIS!

PÖNIs: (3,5/5)

„MICMACS – UNS GEHÖRT PARIS!“ von Jean-Pierre Jeunet (Co-B + R; Fr 2009; Co-B: Guillaume Laurant; K: Tetsuo Nagata; M: Raphael Beau; 104 Minuten; deutscher Kino-Start: 22.07.2010); der 56-jährige französische Regisseur und Drehbuch-Autor zählt zu den interessantesten filmischen Gestaltungskünstlern in Europa. Jeder seiner bisherigen 5 Kinospielfilme war „etwas GANZ Besonderes“ und ist es wert, genannt zu werden: „DELICATESSEN“ (1991/Co-Regie mit Marc Caro); „Die Stadt der verlorenen Kinder“ (1995/Co-Regie mit Marc Caro); „Alien – Die Wiedergeburt“ (1997); natürlich „DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE“ (2001) sowie „MATHILDE – EINE GROßE LIEBE“ (2004). Das Angebot, beim 5. Harry Potter-Film 2007 die Regie zu übernehmen („Harry Potter und der Orden des Phönix“), lehnte er ab. Stattdessen wollte er den Bestseller „Schiffbruch mit Tiger“ von Yann Martel verfilmen, doch bislang befindet sich dieses Projekt noch immer in der finanziellen Planungsphase. Deshalb wohl dieses 25 Millionen EURO teure „Zwischenstück“, sozusagen als „Fingerübung“, um „dranzubleiben“.

„Micmacs à tire-larigot“, so der Originaltitel (frei übersetzt: “Mischmasch/Machenschaften”), zeigt – wie immer, wenn Jeunet in Paris dreht – das „andere“ Paris. Üppig, fein-düster ins Licht gesetzt. DAS Paris, ohne Tourismus-Flair, ohne Postkarten-Motive, leicht bräunlich zerhaucht, charmant-schmuddlig, augenzwinkernd-freakig. Bazil heißt der Typ. Ein unscheinbarer Typ. Irgendwo aus der Masse der „kleinen Leute“ herausgepickt. Bazil ist „etwas“ traumatisiert. Sein Vater ist in den 70er Jahren in Nordafrika beim Entschärfen einer Mine umgekommen, seine Mutter gab daraufhin „auf“. Heute ist Bazil Angestellter in einer Pariser Videothek und zitiert mit Leidenschaft Filmklassiker wie „Tote schlafen fest“ mit Humphrey Bogart + Lauren Bacall. Plötzlich ein Schusswechsel. Real. Vor seiner Ladentür. Eine verirrte Kugel trifft ihn, direkt zwischen die Augen. Der OP-Arzt lässt die Münze entscheiden: „Nehme ich die Kugel ‘raus, kann er krepieren. Lasse ich sie drin, kann er jede Sekunde tot umfallen“. Bazil fortan MIT KUGEL im Kopf. Ist Job und Wohnung los. Findet Unterkunft inmitten einer kleinen Parallelgesellschaft, bei einer Schrottplatz-WG.

Und hier sind sie wieder alle beisammen, die Jeunet-Family. Bestehend aus lauter Exoten von Figuren. Skurrile Typen wie einem außergewöhnlichen Bastelkünstler, einer speziellen Verbiegungsakrobatin („Mademoiselle Kautschuk“), einem Kauz als fliegende Kanonenkugel, bestehend aus lauter Metall-Ersatzteilen, dem afrikanischen Ethnographen als Sprüchesammler mit der Schreibmaschine und… und… und. Wundersame Außenseiter, die in einer selbstgebauten Höhle mit ausgemusterten Gebrauchtwaren und Fundstücken hausen. Und sich jetzt auch um Bazil kümmern. Denn DER benötigt die Hilfe jenes pfiffigen „Ocean´s Eleven“-Schrott-Teams. Bazil hat nämlich herausbekommen, WER für das private Leid bei ihm „zuständig“ ist: Zwei (auch noch gegenüberliegende) Firmen, die den Waffen- und Munitionshandel weltweit und überhaupt organisieren. Deren Chefs soll es künftig und zünftig „an den Kragen“ gehen. Also macht sich die Heavy Metal-Meute daran, Bazil zu seinem Rache-Glück zu verhelfen. Und wie! Eine Schelmerei. Eine Rabaukiade. Die zornigen Davids gegen zwei mächtige Goliaths. Man trickst, gaunert, erfindet, kostümiert sich, verlässt sich auf die „besonderen“ Fähigkeiten, der „Untergrund“ boomt. Mit ein wenig Romantik-Zusatz. Und schließlich sogar mit „YouTube“-Hilfe.

„Micmacs“ von Jean-Pierre Jeunet ist ganz originell, witzig, pointiert, liebevoll, besitzt aber nicht die universelle Tiefenschärfe seiner früheren Antihelden-Aktionen. Dazu wirkt sowohl der anarchische Feldzug der Unterschichtler wie die Romanze zwischen Bazil und dem Kautschuk-Fräulein manchmal zu konstruiert, sind die flippigen Charaktere nicht so ausgefeilt-reizvoll wie gewohnt. Dass der Spaßfunke dennoch schnell ‘rüberspringt, ist dem einmal mehr „visuellen Karacho“ (Kamera: TETSUO NAGATA) sowie natürlich dem sympathischen Ensemble zu verdanken. An vorderster Chaplin-Laurel-Tati-Front: DANY BOON als Bazil. Der 43-jährige französische Komiker ist seit dem sensationellen Komödien-Erfolg mit „WILLKOMMEN BEI DEN SCH`TIS“ (über 20 Millionen Kinobesucher alleine in Frankreich) zuhause derzeit der angesagteste Leinwand-Kumpan. Um ihn herum gruppieren sich auch bei uns bekannte Akteure und Gesichter wie DOMINIQUE PINON („Delicatessen“; „Amélie“), YOLANDE MOREAU („Seraphine“), ANDRÉ DUSSOLIER („Drei Männer und ein Baby“) oder Jean-Pierre Marielle.

Jean-Pierre Jeunet, der ein immenser Bewunderer dieser wunderbar-verrückten PIXAR-Filme à la „WALL-E“ oder „Toy Story“ & Co. ist, also ebenfalls wie PIXAR gerne in ausgesprochen eigenwillige Charaktere vernarrt ist, vermag uns auch mit „Micmacs“ in seinen faszinierenden Unterhaltungsbann zu ziehen, auch wenn diesmal alles „eine Nummer kleiner“ geraten ist. „Micmacs“ oder – wenn sich die fabelhaften „Amélie“-Groupies austoben… (= 3 ½ PÖNIs).

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