DAS MÄDCHEN WADJDA

PÖNIs: (4/5)

„DAS MÄDCHEN WADJDA“ von Haifaa Al-Mansour (B + R; Saudi-Arabien/D 2012; K: Lutz Reitemeier, M: Max Richter; 97 Minuten; deutscher Kino-Start: 05.09.2013); als der Film bei den vorjährigen Filmfestspielen in Venedig auftauchte, war er eine Sensation. Denn bis dato gab es noch keinen komplett in Saudi-Arabien gedrehten Spielfilm. Und „dort“ wird er auch nie in einem Kino laufen, denn in diesem streng muslimischen Königreich gibt es keine Lichtspielhäuser. Sondern „nur“ das Fernsehen. HAIFAA AL-MANSOUR, Jahrgang 1974, ist die erste Filmemacherin Saudi-Arabiens, wuchs in einer Kleinstadt mit verhältnismäßig großen Freiheiten in ihrem familiären Umfeld auf und gilt heute als herausragende Persönlichkeit im Königreich. Sie schloss die amerikanische Universität in Kairo mit einem Bachelorgrad in Literatur ab und studierte an der Universität von Sydney, wo sie ihren Master in Regie und Filmwissenschaft absolvierte. Aus dem Presseheft: „In Saudi-Arabien wird ihre Tätigkeit gleichermaßen gepriesen wie geschmäht. Haifaa Al-Mansour scheut sich nicht davor, Tabuthemen wie Toleranz oder Gefahren der Orthodoxie öffentlich anzusprechen. Darüber hinaus weist sie immer wieder darauf hin, dass die Saudis sich kritisch mit ihrer Tradition und der restriktiven Kultur auseinandersetzen müssen“.

Sie ist 10, heißt Wadjda (gesprochen: WADSCHDA), lebt mit ihrer (im Grunde alleinerziehenden) Mutter im saudi-arabischen Riad und tickt „anders“ als ihre kindliche Umgebung. Zwar ist sie – meistens – vorschriftsmäßig von Kopf bis Fuß eingehüllt gekleidet, doch „unten“ blitzen Turnschuhe hervor. Was die streng islamische Lehrerin an der Schule gar nicht gerne sieht. Wie überhaupt: Wadjda von ihr ob ihrer „Aufsässigkeit“ andauernd drangsaliert wird. Doch DIE lässt sich „davon“ wenig beirren. Kaum beeindrucken. Hat es gelernt, sich „kleine Freiheiten“ zu gönnen. Wie mit dem Nachbarjungen Abdullah auf dem Nachhauseweg herumzutollen. Ihr großer Traum ist es, ein Fahrrad zu besitzen. Und sie setzt alles daran, alle tüchtigen (und keineswegs gestatteten) Hebel in Bewegung, um sich baldmöglichst diesen Traum zu erfüllen. Dabei soll ausgerechnet ein Schulwettbewerb im Zitieren von Koran-Versen helfen. Von wegen dem stattlichen Preisgeld. Wadjda ist listig, clever und plötzlich auch sehr fleißig. Im Sinne der Regeln hier. An diesem Ort, an dem Mädchen als „zweitklassig“ gelten. Gegenüber den Jungens. Wie Frauen gegenüber den Männern. Wie Wadjdas Vater, der gerade eine andere „zweite Frau“ heiraten will. „Gebäre mir einen Sohn und alles wird gut“, lautet sein dominantes Argument. Während die Mutter kuscht, hat Wadjda längst von dem süßen Geruch der Emanzipation, der kleinen erkämpften Freiheiten, erfahren. Und vermag sich selbstbewusst schon etwas zu behaupten.

Was für eine wunderbare Entdeckung ist dieser Film! Ganz „fremd“ in seinen starren Konventionen, ganz behutsam sich „dagegen“ annähernd, souverän in der Schilderung und Beschreibung dieser leisen individuellen „Auflehnung“. Einer jungen Andersdenkenden, Andersempfindenden, Andershandelnden. Dabei ohne Geschrei und Getöse. Die konsequente wie unauffällige Summierung von Dagegen-Kleinigkeiten bildet ihren Weg. In diesem „anderen Film“ ist man erstaunlich schnell wie einfühlsam drin. Weil diese herrliche kleine „Göre“ so bezaubernd wie überzeugend wider der Ordnung auftritt: WAAD MOHAMMED lautet ihr richtiger Name, und sie erweist und zeigt sich als ausdrucksstarke Persönlichkeit in ihrer Hauptrolle.

„Das Mädchen Wadjda“ ist ein mutiger, couragierter wie auch verspielter Einblick-Film. In diese andere, sich zwischen uralt und aufgeschlossener zeigende und im Kino bislang völlig verschlossene arabische Kultur- und Gesellschaftswelt. Wo ein forsches Wesen wie diese zielstrebige Wadjda entschlossen ist, die Chance, die sie eigentlich nicht hat, für sich konsequent, also beharrlich zu nutzen. Dieser begeisternde Film besitzt Signalcharme und bietet prächtige Kopfunterhaltung (= 4 PÖNIs).

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