MADEMOISELLE CHAMBON

„MADEMOISELLE CHAMBON“ von Stéphane Brizé (Co-B+R; Fr 2009; Co-B: Florence Vignon; nach dem gleichn. Roman von Éric Holder/1996; K: Antoine Héberlé; M: Ange Ghinozzi; 101 Minuten; deutscher Kino-Start: 12.08.2010); der 1966 in Rennes geborene Bretone ist hierzulande durch seinen 2005 gedrehten zweiten Spielfilm „Man muss mich nicht lieben“ (s. Kino-KRITIK) bekannt geworden. Die stille Geschichte über einen „unscheinbaren“ 50-jährigen Gerichtsvollzieher, der sich über einen Tangokurs in der Tanzschule endlich ins Leben „traut“, berührte. Sein neuester, sein 4. Spielfilm ist erneut ein Kammerspiel aus der französischen Provinz. Stéphane Brizé und Florence Vignon erhielten im Frühjahr den „César“ für das „Beste Drehbuch“. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Éric Holder entstand eine faszinierende, köstliche Leichtigkeit von Berührungskino. Die in ihrer atmosphärischen, sensiblen Emotionskraft beeindruckt. So schön, so intensiv, so „innen“.

Jean (VINCENT LINDON) ist ein herzensguter Mensch. Als Handwerker, als Sohn, der sich um seinen alten Vater kümmert, als Vater eines Sohnes, als Ehemann. Jean ist mit Anne-Marie (AURE ATIKA) glücklich verheiratet. Sein Alltag zwischen Familie und Arbeit ist ruhig wie wohlgeordnet. Bis er Mademoiselle Chambon kennenlernt (SANDRINE KIBERLAIN). Die Lehrerin seines Sohnes. Jean, der kaum an Kultur interessiert ist, trifft es wie ein Schlag, als er durch ihr Violinenspiel nicht nur die Musik, sondern auch „sich“ entdeckt. Ihre Erscheinung, dieses Geigenspiel durchstößt eine Barriere bei ihm und eröffnet ihm eine Empfindsamkeit, die er bei und in sich nie für möglich gehalten hätte. Liebe: der handfeste Maurer und die etwas spröde, alleinlebende Violinistin, die Gegensätze könnten nicht größer sein. Und doch ist sie möglich. Aber auch machbar?

Ein purer Schauspieler-Film. Ohne viele Worte. Mit einer dezenten, aber deutlichen Körper-Sprache. Mit einer stillen begreifbaren Mimik. Mit wunderbaren Beiläufigkeiten, Gesten, Andeutungen. Ganz und gar zurückhaltend, aber eindringlich. Poren- wie seelentief. Alles geschieht „drin“, im Innern. Und geht unter die Haut. Denn wie das ehemalige Ehepaar Vincent Lindon („Ohne Schuld“/kürzlich bei uns auf DVD erschienen) und Sandrine Kiberlain („Haben (oder nicht)“; „Zu verkaufen“) diese grandiose Behutsamkeit, diese hochemotionalen Zwischentöne, diese wahrhafte Zartheit körpersprachlich interpretieren, ist zutiefst Gefühl-pur. Nicht peinlich konstruiert, sondern elegant, sanft, still. Glaubwürdig. Überzeugend. Nachvollziehbar. Fernab von Klischee, Trief und Getue entsteht spannendes, verblüffendes Liebesleid. Meryl Streep und Clint Eastwood in „Die Brücken am Fluß“, als SIE den Griff der Autotür hält, sich entscheiden muss, ob sie geht oder bleibt, auf dieser Emotionsebene, Brizé und seine „Tränendrüsen-Referenz“. Wunderwunderschön. Für Gefühls-Junkies ist „Mademoiselle Chambon“ ein Muss-Film. In Cinemascope (= 4 PÖNIs).

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