FRANCES HA

PÖNIs: (4/5)

„FRANCES HA“ von Noah Baumbach (Co-B + R; USA 2012; Co-B: Greta Gerwig; K: Sam Levy; Schwarz-Weiß; M: George Drakoulias; deutscher Kino-Start: 01.08.2013); mit seinen Independent-Streichen „Der Tintenfisch und der Wal“ („Oscar“-Nominierung Drehbuch; s. Kino-KRITIK), und „Greenberg“ (im Berlinale-Wettbewerb von 2010; s. Kino-KRITIK) wurde der heute 43-jährige US-Drehbuch-Autor und Regisseur auch bei uns bekannt. Sein bisher überzeugendstes Werk schuf er hier. Mit d e m kommenden weiblichen US-Star überhaupt, diesem wunderbar verhuschten, charmant unsortierten, sympathisch tollpatschigen großen blonden weiblichen Lulatsch GRETA GERWIG. Die schärfste auffällig Unauffällige. Im derzeitigen US-Kino. Mit dem wirklich gewissen Etwas. Dass Regisseur Noah Baumbach mal als „außergewöhnlich“ und dann auch als „sehr speziell“ bezeichnete. Und mit Filmsätzen hier, die sie, gemeinsam mit ihrem Regisseur, sich geradezu auf den Leib schrieb und die „ihre Wirkung“ bestechend beschreiben: Du wirkst viel älter, aber auch weniger erwachsen; Du hast ein älteres Gesicht; Ich bin zu groß, um zu heiraten; Irgendwie ist im Augenblick bei mir alles in der Schwebe; Du mit deinem komischen männlichen Gang; DU SIEHST SO VERDAMMT NORMAL AUS; Mit mir geht GAR Nicht.

Die große schlaksige Greta Gerwig, die „maßgebliche Leinwandheldin ihrer Generation“ (Kritiker A. O. Scott in „The New York Times“), wurde am 4. August 1983 in Sacramento, Kalifornien geboren. Sie studierte Philosophie und Englisch, schrieb neben dem Studium Theaterstücke und gründete eine eigene Sketch-Comedy-Gruppe. Seit 2006 steht sie vor der Kamera. Avancierte „drüben“ zum „Indie Star“ („The Hollywood Reporter“). In „Greenberg“, wo sie neben Ben Stiller auftrat, nahm ich sie erstmals „unaufgeregt“ zur Kenntnis. In dem mäßigen Komödien-Remake „Arthur“ hatte sie als mittellose New Yorker Stadtführerin Naomi Quinn 2011 (neben Russell Brand + Helen Mirren) keine darstellerische Chance. Erst als sie Woody Allen für seinen Italien-Spaß „To Rome With Love“ als Sally-Partnerin des neurotischen Pfiffikus Jack alias Jesse Eisenberg verpflichtete, begann die größere Blütezeit für Greta Gerwig. Ihr erster umfangreicher darstellerischer Hammer aber kam hierzulande erst verspätet heraus mit der schrillen 2011er Campus-Komödie „Damsels in Distress“ von Whit Stillman, also „Maiden im Kummer“, die bei uns am 10. Januar 2013 gleich im Heimkino unter dem Titel „ALGEBRA IN LOVE“ veröffentlicht wurde (s. Heimkino-KRITIK). Die erste neugierige Annäherung und Würdigung über Greta Gerwig war fällig.

In dem schwarz-weißen Film „Frances Ha“ spielt sie, stellt sie unwiderstehlich eine („authentische“) 27-jährige verhuschte New Yorker Überlebenskünstlerin dar. Eben Frances. In dem gedanklichen wie emotionalen Mix aus Diane Keaton („Annie Hall“) und Audrey Hepburn, und wenn sie Rad fährt, wird auch ein weiblicher Tati sichtbar. Die probiert sich immer noch als Tänzerin aus, kommt aber nicht voran. Lebt mit Freundin Sophie in enger Beziehung und Wohnung, aber Sophie nabelt sich ab. Was eine neue Glücks- und Budensuche erforderlich macht. Und zahlreiche Begegnungen und einiges Herumgemache mit ziemlich kauzigen Woody Allen-Figuren von heute. Erinnernd an JENE von damals, die der Meister aller schwarz-weißen New York-Komödien 1977 in „Der Stadtneurotiker“ oder in „Manhatten“ ein Jahr darauf hippen ließ. Frances taumelt, verliert die sowieso schon nicht genügend vorhandene Orientierung, beginnt zu spüren, dass sie sich verändern sollte, fliegt kurz mal „vergeblich“ nach Paris, um auf saloppe Erkennungsweise allmählich an die „komischen“ Strukturen zu geraten, die man allgemein „Einteilung von Leben“ nennt. Frances ist keine Spinnerin, ganz im charmanten Gegenteil, aber sie benötigt einige eigene Hartnäckigkeit, um endlich zu begreifen, was sie eigentlich nicht will. Um damit zu wissen, was sie tatsächlich (machen) will. In ihrem spleenigen Wuseldasein. „Frances Ha“, man achte auf die Schluss- und Nachspannpointe in Sachen Titel, ist einer jener wunderbar lächelnden Filme, in denen ständig Menschen am Tisch sitzen, um zu essen, zu trinken und vor allem viel zu babbeln. Über Gott und die Welt und das Leben und die Liebe, über Sex und den Beruf. Ihr Sprechen ist wie verbale Musik, nie störend, belästigend, sondern als swingender Rhythmus von Gedanken, Empfindung, Bewegung, Gefühlen: frisch wie atmosphärisch wie melancholisch wie ironisch inspirierend. Als Klang des Menschen in seiner gedanklichen Dauerbewegung. „Ich bin ein Gefühlsroboter“, klärte Greta Gerwig im originellen Interview am letzten Wochenende in der „Süddeutschen Zeitung“ spitzbübisch auf. Von DEM man mit aller größter Wahrscheinlichkeit in den nächsten tausend Jahren nicht genug bekommen kann, darf ich euphorisch ergänzen. „Frances Ha“ jedenfalls ist der Beginn einer wunderbaren Dauerfreundschaft. Mit der faszinierenden Persönlichkeit GRETA GERWIG (= 4 PÖNIs).

P.S.: Ach so ja – noch zwei interessante Notizen: MICKEY SUMNER, die Tochter von Sting, spielt Sophie, die „untreue“ Frances-Freundin; und GRACE GUMMER, die Tochter von Meryl Streep, hat als Bekanntschaft Rachel hier auch ihren Auftritt. Und: Wenn der Film in einiger Zeit zum KULT erklärt wird … sagen Sie nicht, ich hätte es ihnen nicht rechtzeitig gesagt… Die Ansehempfehlung gilt! Ganz doll. Und unbedingt.

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