DER ILLUSIONIST

PÖNIs: (4,5/5)

Das war damals schon ein ebenso erstaunliches wie wunderbares ANIMATIONS-Langfilm-Debüt von SYLVAIN CHOMET, einem in Kanada lebenden Franzosen, der heute in der Nähe der schottischen Stadt Edinburgh lebt und dessen Filmstudio dort den Namen „Django Films“ trägt. Die Film-Rede ist von diesem tollen absurden Vergnügen „DAS GROSSE RENNEN VON BELLEVILLE“ (s. Kino-KRITIK). In dem eine alleinerziehende Großmutter ihren hochtalentierten Radfahrer-Enkel für die ‚Tour de France‘ trainiert. Weil dunkle Mächte dies verhindern wollen, greift die alte Dame „energisch“ ein. 2004 gab es dafür Unmengen von Auszeichnungen, darunter zwei „Oscar“-Nominierungen (in den Kategorien „Bester animierter Spielfilm“ sowie „Bester Song“). In den nächsten Tagen, nämlich am 10. November 2012, wird Sylvain Chomet 49 Jahre jung, und in diesen Tagen ist sein zweiter Animationslangfilm hierzulande gleich auf dem DVD-Markt herausgekommen, für den es wieder – im Vorjahr – immense internationale preisliche Wertschätzung gab: Mit einer „Golden Globe“- und einer „Oscar“-Nominierung sowie mit den gewonnenen Trophäen „César“ und „Europäischer Filmpreis“ als „Bester Animationsfilm“. Seine offizielle Film-Premiere hatte der Film übrigens am 16. Februar 2010 auf der Berlinale:

„DER ILLUSIONIST“ von Sylvain Chomet (B + R + Co-Pr.; Musik + Schnitt; GB/Fr 2009/2010; nach einem Originaldrehbuch von JACQUES TATI; 80 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 18.10.2012).

SYLVAIN CHOMET: Geboren in der Nähe von Paris, Absolvent der Oberstufe einer Hochschule für angewandte Kunst. 1986 veröffentlichte er seinen ersten Comic („Le secret des Libellules“). Weitere folgten. Drei Jahre Studium im französischen Angoulême in den dortigen Comic-Strip-Studios, 1987 diplomierter Abschluss. Nach Aufenthalten in London und Kanada, wo er in der TV-Werbung arbeitete, kam Sylvain Chomet 1997, nach fast zehnjähriger Entwicklung, mit seinem Animations-Kurzfilm „La vieille dame et les pigeons“ („Die alte Dame und die Tauben“) heraus und sorgte sogleich, dank einer „Oscar“-Nominierung, für internationales Aufsehen.

Sylvain Chomet verehrt JACQUES TATI. Den großen französischen Pantomimen, Drehbuch-Autoren, Schauspieler und Regisseur (*09.10.1907 – †04.11.1982). Dessen Filme „Tatis Schützenfest“ (1949), „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1953), „Mein Onkel“ (1958) sowie „Playtime – Tatis herrliche Zeiten“ (1967; in 70mm) und „Trafic – Tati im Stoßverkehr“ (1971) mit ihrer künstlerischen = satirisch-zivilisationskritischen Betrachtungsweise von „überkandideltem Bürger-Tun“ und lächerlichen Bemühungen von „modernem Bürgerleben“ weit vorausschauend waren. Hatte er es zu Lebzeiten zuletzt schwer, seiner Bedeutung nach „angemessen“ vom Publikum angenommen zu werden, so gilt er heute als gleichrangiger Genie-Cineast neben Charlie Chaplin und Buster Keaton. Tati, bürgerlich Jacques Tatischeff, hinterließ ein unveröffentlichtes Drehbuch aus dem Jahr 1956. In dem er von sich erzählte: Tati, „L‘ Illusionniste“. Die Grundlage für diesen neuen allerletzten „Tati-Streich“.

Paris 1959. Monsieur Tatischeff ist ein in die Jahre gekommener, glückloser und manchmal auch etwas ungeschickter langer Lulatsch-„Magier“. Besser: Zauberer. Noch treffender: Illusionist. Monsieur ist ein Überbleibsel. Längst vergangener Varieté-Zeiten. Auf der Bühne wie im Solo-Dasein. Ein „korrektes“, gepflegtes Auslaufmodell von Artist. Dessen ständiger „Begleiter“ ein weißes und manchmal renitentes Kaninchen ist. Man tingelt durch die Welt, aber – es wird immer schwerer für die beiden, die nächsten (Mahl-)Zeiten zu finanzieren. Nach den gekündigten Großbühnen in Paris und London geht es gen Schottland, in die Highlands, wo eine angeheiterte wie begeisterte Dorfgemeinschaft im Pub ihm nochmal das Gefühl vermittelt, „jemand zu sein“. Wohlfühlen ist angesagt. Dazu verhilft ihm auch die junge naive Hausangestellte Alice, die ihn bewundert und ihm kostenlos die Wäsche pflegt. Er revanchiert sich mit „väterlichen Geschenken“, die er sich eigentlich nicht leisten kann. Sie bleibt an ihm „dran“, dann auch in Edinburgh. Der alternde Tramp muss sich immer mehr – originell – verbiegen, zum Beispiel in einer Autowerkstatt als KFZ-Mechaniker, um Überlebensgeld zu verdienen. Für nun zweimal Mensch und einmal Tier. Zugleich bewegen sich um ihn herum immer mehr auch „ähnliche“ Schwermut-Künstler. Die es gar nicht mehr „schaffen“. Zu existieren. Am Ende ist die Chaplin-Landstraße ein Zug. Nach irgendwo-nirgendwo. Während Alice ihren Lebens-Kavalier gefunden hat. Wie Monsieur Tatischeff zufrieden feststellt. Bevor er ihr Blumen hinstellt und sich allein auf die (letzte) Reise begibt.

Was für ein schöner feiner leiser Film! Was für ein wunderbarer altmodischer Unterhaltungsfilm! Mit einem vortrefflich gezeichneten Monsieur Tati-Universum. Was für eine poetische Perle der Animationskunst! Der melancholische Clown und das träumende Dorf-Mädchen. Das ins Leben eintritt, während er den Rückzug beginnt. Annimmt. Noch ein paar letzte glückliche Übungen, dann fällt der Vorhang. Der Narr hat seine Schuldigkeit getan. Absolviert. Human, sensibel, kauzig, alle Seelenflächen breiten sich über Monsieur Tatischeff völlig unangestrengt, sanft, ohne Gebrüll aus. Mit lakonischem Lächeln, realem, also herbem Zivilisations-Charme. Inmitten einer pulsierenden tragikomischen Animations-Atmosphäre. Um spleenige Typen, erbärmliche existenzielle Probleme, kuriose Situationskomik, hübsche Slapstick-Motive. Und mit (SEHR) viel cineastischem Gut-Gefühl. Der Tochter gewidmet: „Für Sophie Tatischeff (*1946 – †2000)“ heißt es im Abspann.

„Der Illusionist“ ist ein DVD-Film zum Mögen. Motto: Kunst und Broterwerb. Wollen, aber können nicht – mehr – zusammen sein. Trotzdem gibt es „Helden“, die nicht aufgeben. Wollen. Mögen. Ein Spaß zum genießerischen Eintauchen. In die Moderne von Vor-Gestern. Im Bonus-Material sorgt der Beitrag „Hinter den Kulissen“ für ausführliche Informationen, wie DAS ALLES in Sachen brillante „Zeichnungen“ und stimmige, einfühlsame, herrlich unauffällige, passende Musik überhaupt entstanden ist. So beeindruckend entstehen konnte.

„Der Illusionist“ ist eine formidable Erinnerung an den einzigartigen, unvergesslichen, phantastisch-phantasievollen JACQUES TATI – ist ein würdevolles, liebevolles Animations-Nachlass-Werk von seinem Bewunderer Sylvain Chomet !!! (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „Studiocanal“.

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