PÖNIs: (4,5/5)
„GUNDERMANN“ von Andreas Dresen (D 2017; B: Laila Stieler; K: Andreas Höfer; M: Jens Quandt; Gerhard Gundermann; 127 Minuten; deutscher Kino-Start: 23.08.2018); was fällt mir ein – beziehungsweise auf (?): Ich, der Wessi, habe mir diese (Denk-)Frage oft gestellt – wie wärst Du, also wie wäre ich in der DDR „gewesen“? Wäre ich Mitläufer, Opportunist, gar Stasi-Spitzel gewesen? Oder Mitglied der Opposition? Wie hätte ich es gehalten mit der „Ordnung“? Politisch, gesellschaftlich, überhaupt? Wäre ich in der Masse gerne unerkannt geblieben oder hätte ich mich auch dort „verwirklicht“? Als Film-KRITIKER?
Kein Mensch ist nur eins. Ist nur eine Komponente. Wir bestehen aus (sehr) vielen Facetten. Naiv, vielleicht albern, aber eben wahr. Wie auch jener Gerhard Rüdiger Gundermann (21. Februar 1955 in Weimar – 21. Juni 1998 in Spreetal/Sachsen). Nach Außen: Liedermacher, Rock-Musiker, eifriger Baggerfahrer. Vater und Freigeist. Im Innern: Verhuscht. Eigenwillig. Viel-ver-denkend. Linkisch auftretend. Wirkend, als wäre er nur „versehentlich da“. Und, von 1976 bis 1984, zugleich Stasi-Spitzel („IM Gregori“): „Politisch ein Chaot, ohne gefestigte Weltanschauung; reagiert empfindlich auf Kritik und hat einen Hang zum Egozentrismus“, heißt es in seiner Akte. Über den Genossen Song-Poeten, der auf die Frage, was bereust du, antwortet: „Den Verrat an mir selber. Ich bin sehr enttäuscht von mir“. Und: „Ich gehöre zu den Verlierern. Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen!“. Ein Lied von ihm heißt: „Eine kleine leise Traurigkeit“.
Wie geht du mit einem solchen „unnormalen“ Gegen-den-Strom-Schwimmer um, wenn du ihn porträtieren willst? ANDREAS DRESEN, Jahrgang 1963, aus Gera, zählt hierzulande zu DEN Filmemachern, auf dessen Werke man grundsätzlich immer neugierig ist. Dafür stehen höchst unterschiedliche menschelnde Werke wie „Halbe Treppe“ (2002); „Sommer vorm Balkon“ (2005/s. Kino-KRITIK); „Wolke 9“ (2008/s. Kino-KRITIK); „Whisky mit Wodka“ (2009/s. Kino-KRITIK/5 PÖNIs); „Als wir träumten“ (2015/s. Kino-KRITIK) oder zuletzt „Tim Thaler oder das verkaufte Lachen“ (2017/s. Kino-KRITIK). Sein Porträt über den in der DDR beliebten, geschätzten sensiblen Streiter Gundermann besitzt Tiefe wie Nähe. Reizt sehr. Jener Gundermann: Der eben noch auf der Bühne steht oder im Studio singt, um dann zu „seiner Schicht“ zu gehen, als Abraumbaggerfahrer im Kohle-Tagebau. Der gesellschaftspolitisch aneckt, als Workaholic sich nicht schont und mit seinen vielen Widersprüchen immer auf nervöser „Überkante“ ist. Und darüber sich singend verbreitet. Also, was nun: Ein Opfer? Ein Täter? Im Kino wollen wir doch immer wissen, wie einer gepolt, geerdet ist? Von wegen Happy-End-Beschlichtung.
Dies ist bei Andreas Dresen nicht drin. Schon gar nicht möglich. Er geht mit großer Empathie an die Widersprüchlichkeit eines – ostseits – populären Menschen heran und blättert und entwickelt sie, mittels zeitlicher Sprünge, „unromantisch“, aber zutiefst berührend wie spannend auf. Von wegen: Wie das war, vor allem WER er war, dieser notorische Kommunist, SED-Kritiker wie amtlicher Helfer und unruhiger Privatmensch. Herausgekommen ist ein intensives Porträt über einen Zeitraum von den Siebzigern in Hoyerswerda bis zu den Neunzigern im Vereinigten Land. Wo sich Gundermann – zaghaft-bestimmend – politisch outet und ihm seine Anhängerschar „trotzdem“ folgt.
Das Nonplusultra heißt = ist hier: ALEXANDER SCHEER. Geboren am 1. Juni 1976 in Berlin (Ost). Wie er in diesen langen empfindsamen Schlaks – auch grandios gesanglich – eintaucht, der sich selbst als „Tankstelle für Verlierer“ bezeichnet, 1984 wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ aus der SED ausgeschlossen wird, um sogleich wegen „negativ-feindlichem Standpunkt“ bespitzelt zu werden; wie er in diesen widersprüchlichen Balladen-Menschen eintaucht und seine „pikanten“ Widersprüche differenziert beleuchtet, ist furchterregend-gut. Überragend. Vor allem auch in der „zweiten“ Bewegung: Nach der Körperlichkeit die zutiefst gespaltene seelische. Scheer als Anti-Held Gundermann ist faszinierend. Wie es auch dieser neue Film von Andreas Dresen ist, in dem im Übrigen AXEL PRAHL einen sauber-stinkigen Stasi-Pups mimt (= 4 1/2 PÖNIs).