NACH DEM URTEIL

„NACH DEM URTEIL“ von Xavier Legrand (B + R; Fr 2016; K: Nathalie Durand; M: Samuel Karl Bohn; 94 Minuten; deutscher Kino-Start: 23.08.2018); 2014 wurde ihm der „Oscar“ für den „Besten Kurzfilm“ zugesprochen, Titel: „Avant que de tout Perdre“ („Kurz vor dem Verlust von allem“); neulich hat der französische Autoren-Regisseur XAVIER LEGRAND, 38, seinen ersten Langfilm gedreht, für den er bei den vorjährigen Filmfestspielen von Venedig mit dem „Silbernen Löwen“ für die „Beste Regie“ ausgezeichnet wurde. Das Thema „Sorgerecht“ drückt nicht annähernd die Spannungswucht dieses Alltags-Thrillers aus.

Miriam (LÉA DRUCKER) und Antoine (DENIS MÉNOCHET) haben sich längst getrennt. Das heißt, sie von ihm. Wegen seiner permanenten Gewaltausbrüche. Folglich ist die Mutter fassungslos, als das Familien-Gericht ihrem Ex-Ehemann Besuchsrecht für den gemeinsamen Sohn Julien (THOMAS GIORIA) einräumt. Von nun an soll der 11jährige – gegen seinen ausdrücklichen Willen – jedes zweite Wochenende bei beziehungsweise mit seinem Vater verbringen. Zwar gilt der Erzeuger als „unberechenbar“ und Julien möchte auf gar keinen Fall zeitweise zu ihm, doch die amtliche Entscheidung gilt. Währenddessen seine Schwester „davonkommt“, sie wird bald 18. Doch das Folge-Geschehen hinterlässt bei sämtlichen Beteiligten erhebliche Schäden und Wunden.

Raffiniert entwickelt Legrand die atmosphärische Unruhe seiner aufwühlenden Geschichte. Bei der es vor allem auch auf die vielen Nebengeräusche ankommt: beim Laufen, durch den Gurtalarm im Auto, wenn sich ein Schlüssel im Türschloss „bewegt“. Und die Angst des Kindes geradezu übernehmbar-spürbar wirkt, wenn Julien sich bemüht, seine Mutter „durch seine Handhabungen“ gegenüber dem aufbrausenden Vater zu schützen.

Schon die beiden erwachsenen Darsteller lassen imponierend aufhorchen. Fordern strikte Aufmerksamkeit. Doch geradezu sensationell ist die darstellerische Intensität des kleinen Thomas Gioria, dessen spielerische Zerrissenheit als „Kind zwischen Eltern“ buchstäblich unter die Haut geht. Am Ende bewegen wir uns in einer atmosphärischen „Shining“-Stimmung, mit eisigem, gruseligem Katastrophen-Charme. „Jusqu’à la garde“, so der Originaltitel, ist ein superbes emotionales Pulverfass zwischen Harmonie & Wut, Frust & Wahn. Selten eine so normal-bedrohliche Familien-Anspannung erzählt = vorgeführt bekommen (= 4 PÖNIs).

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