„GLASS“ von M. Night Shyamalan (B + R; USA 2018; K: Mike Gioulakis; M: West Dylan Thordson; 128 Minuten; deutscher Kino-Start: 17.01.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
Ein Name. Ein Thema. Eine Wendung. M. Night Shyamalan befasst sich gerne mit dem Ungewöhnlichen. Und setzt indem der gängigen Filmordnung häufig ein unkonventionelles Ende. Alle Regeln des klassischen Hollywood-Kinos ignorierend. All das machte ihn 1999 mit THE SIXTH SENSE (s. Kino-Kritik) berühmt. Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt Manoj Nelliyattu (so sein richtiger Name) auf der Liste. Keiner hatte solch einen genialen Inhaltstwist kommen sehen. Es folgten: Lob, Lorbeeren und Legendenbekundungen – aber auch Leid, Lethargie und Pleiten, denn der indisch-stämmige Regisseur konnte diesen Erfolgsstatus nicht lange aufrechterhalten. Seine Kniffe lutschten sich zu schnell aus, den Tops (allein sechs „Oscar“-Nominierungen für „The Sixth Sense“) folgten Flops (zehn Nominierungen bei den „Goldenen Himbeeren“ von 2007-2011), und der Künstler versickerte zunehmend in einer langen Schaffenskrise. Bis es 2015 mit THE VISIT (s. Kino-Kritik) allmählich wieder bergauf ging und 2016 mit SPLIT (s. Kino-KRITIK) die multiple Kreativität abermals zur vollen Blüte kam. Die schizophrene Katze sprang aus dem Sack und wurde als Fortsetzung seines Millennium-Hits UNBREAKABLE etabliert. Die Neugier war geweckt. Die Fans bis zum Anschlag gespannt. Nun 2019 soll in GLASS endlich die Geschichte über den unzerbrechlichen David Dunn (BRUCE WILLIS), den gespaltenen Kevin Wendell Crumb (JAMES McAVOY) und das Glaskörper-Mega-Mind Elijah Price (SAMUEL L. JACKSON) vollendet werden. Als Abschluss der sogenannten Eastrail 177-Trilogie, die wie gesagt 2000 mit deren fiktionaler Entgleisung in UNBREAKABLE begann.
David, der im Zuge dessen – als einziger Überlebender dieser Katastrophe – seine Unverwundbarkeit erkannte, befindet sich aufs neue auf Verbrecherjagd. Zugutekommen ihm dabei seine Visionen von den Sünden anderer, die er durch bloße Berührungen erhält. In seinem Visier: Crumb, dessen 23igste Persönlichkeit, „die Bestie“, offensichtlich noch nicht genug Cheerleader-Blut geleckt hat. Es kommt wie es kommen muss: zum ersten Kampf der Titanen, welcher mit der Inhaftierung der Beiden endet. Verfrachtet hinter die Mauern einer Nervenheilanstalt, in der sich überraschenderweise seit seinem Anschlag auf die 177 auch Elijah alias Mr. Glass befindet. Dieser versucht weiterhin terroristische Pläne zu schmieden, um die Existenz von Superhelden zu beweisen. Sein Problem: Die ehrgeizige Dr. Ellie Staple (ganz nett: SARAH PAULSON) die darauf aus ist, diesen übermenschlichen Mächte-Quatsch als psychologischen Unfug zu entlarven.
Klingt wie der Inhalt eines Comics? Ist es auch. Das betonen nicht nur der erzählerische wie visuelle Stil immer wieder, sondern auch das Marketing, welches GLASS werbewirksam im Superhelden-Genre verankert. Wohingegen die beiden Vorgänger noch im Horror-Thriller-Bereich angesiedelt waren. Szenen in denen sich der vermeintliche Held (Bruce Willis als David) und der vorgeführte Antiheld (James McAvoy grandios in seinen 23 Figuren der „Horde“) brachial prügeln, bleiben demnach ebenso wenig aus wie ständig-augenzwinkernde Referenzen auf Marvel & Co. Unter diesem „prominenten“ Deckmantel zeichnet das ersten Drittel des Films ein Bild dreier Menschen, die sich im guten wie im schlechten Sinn für exorbitant halten. Machtlos verfrachtet in Gummizellen. Im streng-analytischen Blick der Ärztin entsteht derweilen die alles überlagernde Frage: Reale Superindividuen? Oder kranke Hirne? Ein interessanter Ansatz, der aber leider, durch die zu starke Fokussierung auf die einzelnen Dreiecks-Charaktere Dunn, Crumb und Glass, zu lange andere menschliche Beziehungen hinter sich lässt. Die eigentlich wichtigen Täter-Opfer-Beziehungen rücken folglich zu sehr in den spannungslosen Hintergrund. Die Kernaussage, dass alles Übernatürliche auf irgendeine Art und Weise erklärt werden kann und doch innerhalb dieses Vorgangs wahr bleibt, knallt uns M. Night Shyamalan fortan emotional und pausenlos um die Ohren. Sein Verzicht auf überdimensionale Spezialeffekte oder einen epischen Score holen dabei das sonstige Comic-Kino schroff auf den profanen Erdboden zurück. Ein Showdown, mit armseligen, witzigen und heroische Momente, die wie er selbst sagt, als eine Haube dienen, die den Zuschauer gefangen nehmen soll, damit er genauer zusieht und zuhört, um wohl für sich eigene Schlüsse ziehen zu können: Realität oder Wahnsinn?
So schön das alles letztlich auch klingt: Neu ist daran nichts. Stagnation statt Innovation. Stilzwang statt Kreativität. Ein mittelmäßiges Überraschungsfinale auf Kosten sinniger Handlungsstränge, in dem GLASS dank seines hervorragenden Ensembles nicht ganz zerbricht. Dem alten Shyamalan-Spirit mal wieder nachzuspüren, wäre so schön gewesen…
Der Gedanke allerdings, dass in jedem von uns ein Superheld schlummern kann – bleibt charmant und unterhält, sagen wir mal, nicht schlecht. (= 3 „Carrie“-PÖNIs).