ERBARMUNGSLOS

PÖNIs: (5/5)

„ERBARMUNGSLOS“ von Clint Eastwood (USA 1991; B: David Webb Peoples; K: Jack N. Green; M: Lennie Niehaus, Clint Eastwood; 131 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.09.1992).

Wie haben sich die Western-Zeiten geändert! Einst war William Munny ein gefürchteter Revolverheld im Wilden Westen. Ein schlimmer Trunkenbold und schießwütiger Bandit, der die Leute reihenweise umbrachte. Sein Name wurde zur anrüchigen Berühmtheit. Er war kaltblütig, gemein und erbarmungslos. Doch dann kam die Wandlung. Munny heiratete, wurde Familienvater und braver Farmer. Jetzt, 1880, ist seine Frau 2 Jahre tot, und Munny lebt mehr schlecht als recht auf der heruntergekommenen kleinen Farm als Schweinezüchter. Um seine beiden Kinder vor zukünftiger materieller Not zu bewahren, klappt, er nochmal die Vergangenheit auf. Angelockt von einer 1000 Dollar-Prämie macht er sich mit einem jungen Cowboy und einem alten Kumpel wieder auf den schmutzigen Weg zum Töten.

Zwei Viehhirten haben in einer nahegelegenen Stadt einer Hure das Gesicht zerschnitten. Daraufhin schworen die Kolleginnen Rache und setzten die Prämie aus. Was dem örtlichen Sheriff überhaupt nicht passt. Denn 1.) hat nur er, wenn überhaupt jemand, “Rache“ auszuüben und 2.) lässt er allzu gerne und oft seine Muskeln und Revolver spielen, um nach außen zu demonstrieren, dass er hier der HERR über Recht, Ordnung, über Leben und Tod ist. Nachdem der erste angelockte Outlaw, ein älterer, schwafelnder Engländer, mit Schimpf und Schande und vielen Wunden verjagt wurde, tauchen Munny und Anhang auf. „Erbarmungslos“ ist ein Film von und mit Clint Eastwood. Es ist sein 36. Film und sein 16. in auch eigener Regie.

CLINT EASTWOOD: Was fällt einem nicht alles zu ihm ein: zynischer Desperado in den berühmten “Dollar“-Filmen von Sergio Leone. Brutaler Großstadt-Cop in den 5 “Dirty Harry“-Abenteuern. Wandlungsfähiger Charakterschauspieler in Streifen wie “Westwärts zieht der Wind“, “Betrogen“ und “Die Letzten beißen die Hunde“. Patriotischer Amerikaner in hiesigen Misserfolgen wie “Bronco Billy“, “Firefox“ und “Heartbreak Ridge“. Komiker als “Der Mann aus San Fernando“, und sensibler Jazz-Biograph mit “Bird“ (s. Kino-KRITIK), dem faszinierenden Porträt des Musikers Charlie Parker. Jetzt kehrt Clint Eastwood als rüstiger 62-jähriger nochmal in den Western-Staub zurück. Aber: Es ist keine glorreiche Rückkehr, ganz im Gegenteil. Eastwood demontiert sein Image und seinen Mythos als Held total. Sein William Munny kann kaum noch geradeaus schießen und fällt andauernd vom Pferd. Seine Bewegungen sind lahm geworden und von Gewissensbissen bestimmt. Doch er will es noch einmal wissen, um seinen Kindern eine halbwegs vernünftige Zukunft zu bieten.

“Erbarmungslos“ zertrümmert Legenden real und nüchtern und zeigt die Gewalt als gemeine, schmerzhafte Blut-Tat. Es gibt weder Gut noch Böse, es gibt keine Helden und Anti-Helden, es gibt nur Verlierer. Zwar “gewinnt“ am Ende Eastwood-Munny nochmal das allerletzte Duell, indem er 5 Männer tötet, aber das ist dann nur noch die Reverenz an das Hollywood-KINO. Der dazugehörige zynisch-ironische Kommentar von Eastwood: “Beim Töten hab‘ ich immer Glück gehabt!“ Dachte man bislang, das Western-Genre sei abgehakt, ausgereizt, erledigt, muss man sich jetzt eines Viel-Besseren belehren lassen.

Clint Eastwood, der alte Haudegen, hat nochmal einen wunderbaren, weil spannenden und intelligenten Western geschaffen. Der überzeugt in seiner klugen Gebrochenheit und in der atmosphärischen Erzählweise. Und der besitzt mit hervorragenden Akteuren wie Morgan Freeman, Richard Harris, dem unverwüstlichen Gene Hackman und mit eben Eastwood selbst sehr ausdrucksstarke Darsteller.

Clint Eastwood, dessen Poker-Face allein schon Bände von Geschichten mitteilt, hat es aufregend geschafft, schon zu Lebzeiten seinen ersten Nachlass-Film zu drehen. Mit „Erbarmungslos“, der sich sofort in die Western-Bestenliste einreiht und weit vorn platziert (= 5 PÖNIs).

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