Ephraim und das Lamm Kritik

EPHRAIM UND DAS LAMM“ von Yared Zeleke (Co-B + R; Äthiopien/Fr/D/Norwegen/Katar 2014; Co-B: Géraldine Bajard; K: Josée Deshaies; M: Christophe Chassol; 94 Minuten; Start D: 26.11.2015); es ist eine so schöne Landschaft, aber die Menschen-dort können in ihr kaum existieren, leben in erbärmlicher Armut. Ihr tägliches Bestreben richtet sich darauf, sich um Nahrung „zu kümmern“. Was eingangs sogleich unter die „hiesige“ Haut geht, angesichts dessen, was wir täglich an Nahrung verschwenden. Wegschmeißen. Doch der 1978 geborene äthiopische Filmemacher YARED ZELEKE, der in New York Film studiert hat und der es mit seinem ersten Lang-Film „Lamb“ geschafft hat, in diesem Jahr als erster äthiopischer Film überhaupt zum Festival von Cannes eingeladen zu werden, für die dortige „Forum“-Reihe „Un Certain Regard“, hat keinen Beileids- oder Mitleids-Film geschaffen, sondern einen Spielfilm mit (sehr) viel Mehr-Wert.

Im Blick- und ständigen Mittelpunkt: der neunjährige Ephraim (sensibel faszinierend: REDIAT AMARE). Die Mutter ist gestorben, Ephraim lebt mit seinem Vater, einem Bauern, in einer ärmlichen Dorf-Region. Der beste Freund des Jungen ist das Lamm Chuni. Als die (Über-)Lebensbedingungen durch die Dürre immer schlimmer werden, beschließt der Vater, allein in die Stadt zu ziehen, um Arbeit zu finden und seinen Sohn bei Verwandten in den Bergen zurückzulassen. „Wenn der Regen fällt, werden wir uns wiedersehen“, verspricht er.

Die neue Umgebung, allen voran Cousin-Oberhaupt Solomon, ist natürlich von dem weiteren „Mit-Esser“ gar nicht begeistert. Doch Ephraim hilft im Haushalt mit, erweist sich als geschickter, talentierter Koch, was die Frauen riesig freut. Was ihm aber sogleich vom Patriarchen untersagt wird, schließlich sei Koch-Arbeit reine Frauen-Sache. Basta. Die Tradition. Eine Verbündete findet Ephraim in der 17jährigen Tsion, die viel in Zeitungen liest und sich mehr Gedanken macht und Ideen entwickelt, wie man das karge Land fruchtbarer machen kann als sich etwa um einen Ehemann „zu kümmern“. Und deshalb natürlich „aneckt“. Als Solomon für ein bevorstehendes Fest anordnet, sein Lamm zu schlachten, beschließt der Junge wegzugehen. Mit Chuni. Doch das Schicksal hat für ihn noch viele – erstaunliche – Erfahrungen parat.

Es sind die vielen Gedanken hinter den einprägsamen Bildern. Der Alltag. Mit dem Wenigen. Im Wohnen und Leben. Reale Existenznöte. Ohne dickes Ausrufungszeichen. Als Tatsache, in der sich aber langsame „Veränderungen“ auftun. Das „sture“ Mädchen Tsion, die am liebsten später einmal Medizin studieren und Ärztin werden möchte, ist dafür ein „bockiges“ Beispiel. Tradition hin und her, für die Zukunft müssen „Korrekturen“ her. Yared Zeleke bringt märchenhafte Züge ins interessante Spiel: ein Junge sucht nach seinem Standort für sein Leben. Sein bester Freund ist ein Lamm; er steht ziemlich allein gegen seinen ignoranten, verborten Onkel da; inmitten fremder Berge und einem „verbotenen Wald“. „Diese Geschichte ist aber mehr Realität als Fabel“, erläutert der Drehbuch-Autor und Regisseur im Presseheft.

Ein 9jähriger Junge verliert seine Mutter und wird auch von seinem Vater und von seinem Zuhause getrennt. Er hat in seinen erst wenigen Lebensjahren so viele Verwundungen durchlebt, dass er „verständlicherweise“ sich lieber mit einem Lamm abgibt, spricht, als mit Menschen. In ihren klaustrophobischen Hütten. „Die Geschichte weicht nicht von der Ernsthaftigkeit seines Traumas zurück“, fährt Yared Zeleke fort, „aber genauso wenig verweilt sie bei der Tragödie“. In der stillen Augen-Tat, eine „kleine feine Beobachtung“ bekommt universellen Charakter: In diesem nicht-romantisierenden Porträt durchziehen liebevolle, farbenfrohe, humor- wie hoffnungsvolle Motive diese beeindruckende Reise von Ephraim genauso wie wirkungsvolle authentische Ist-Zustandsbeschreibungen. Aus Äthiopien, das sich endlich einmal auf der Leinwand präsentieren und „formulieren“ darf. Über einen unangestrengt- nahegehenden, weil sehr global-menschlichen Spielfilm (= 4 PÖNIs).

Teilen mit: