DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE

PÖNIs: (4/5)

„DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE“ von Kaouther Ben Hania (B + R; Tunesien/Fr/Belgien/D/Schweden 2019; K: Christopher Aoun; M: Amin Bouhafa; 108 Minuten);

DER WERT DES MENSCHEN. Titel = „DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE“. Von KAOUTHER BEN HANIA (B + R; Tunesien/Fr/Belgien/D/Schweden 2019; K: Christopher Aoun; M: Amin Bouhafa; 108 Minuten; deutscher Kino-Start: 24.2.2022). Die Idee ist formidabel. Der junge sensible Syrer Sam Ali (YAHYA MAHAYNI) hat in einem Zug zu laut gesprochen. Dabei wollte er nur mitteilen, wie verliebt er gerade ist. In die schöne Abeer (DEA LIANE). Die Verlobung soll folgen. Doch wir befinden uns im Jahr 2011, es herrscht Krieg in seinem Heimatland, und Sam Ali muss flüchten. Dadurch geht ihm Abeer „verloren“. Sie verlobt sich mit einem reichen Lover, der sie mit nach Brüssel nimmt. Er dagegen landet in Beirut, wo ihm etwas „ganz Besonderes“ passiert. Ein angesagter Künstler, Jeffrey Godefroi (KOEN De BOUW), bietet ihm an, gegen ein immenses Honorar, seinen Rücken tätowieren zu lassen. Sam akzeptiert und wird so zum Kunstwerk, zu einem Objekt in Maestros Ausstellungen. Auf seinem Körper ist nun die Nachbildung des europäischen Schengen-Visums verewigt, das den Zugang zu den 22 EU-Staaten vereinfacht. – Ein Dokument, das Sam nach seiner Flucht aus Syrien nicht legal erhalten konnte -. Nun besitzt er es auch. Auf dem Kunstmarkt ist jetzt die tätowierte Haut eine astronomische Summe wert. Zugleich bekommt Sam Ali Freiheit, denn „Papier“, wo immer auch vorhanden, bedeutet bekanntlich, unantastbar zu sein. Bedeutet auch für den nun reichen Jungspunt, sich in Luxushotels aufhalten zu können. Dort sich mit Scheinwerfer zu arrangieren. Und überhaupt – reisen zu dürfen, wohin er möchte. Wenn er nicht gerade Kunstverpflichtungen hat. Und dann will er auch in Brüssel die inzwischen verheiratete Abeer finden. Seine große Liebe.

Der Mensch als Kunstobjekt. Als wertvoller Wert. Mit viel Zynismus-Beigabe. Als ein Schweizer Kunstsammler das Rücken-Werk kauft, werden auch gleich die Versicherungsbeträge bei einem Todesfall bekannt: „Eine Explosion wäre ungünstig“. Wir erleben ein dekadentes Schauspiel. Einen Mix aus Drama, Tragödie, Satire, Romantik und einigem schwarzen Humor. Sam Ali ist verliebt = Romanze; er durchlebt ein Drama und wird zum Geflüchteten, findet sich also in einer paradoxen Welt wieder, die eine Satire ist, während aus Ironie schwarzer Humor entsteht. Mit emotionaler Euphorie – wie bin ich wer und wie darf ich überhaupt ICH sein. Während der Körper „an der Börse“ steigt. Der westliche Wohlstand erstaunt die gierigen Massen, die sich in Ausstellungen an dem Rücken-Ereignis laben. Was ist das für eine bekloppte Existenzdatei, die hier herumgezeigt wird. Wo der Künstler die ihn betreuende Agentin Soraya (!) (immerhin: MONICA BELLUCCI) darauf hinweist, dass ein Pickel gerade das Kunstwerk-hinten unansehnlich traktiert. Was für eigenwillige Wechselfälle des sauberen Daseins.

Was „das“ soll: „Wir leben in einer dunklen Ära“, verlautet an einer Filmstelle. Und verweist auf die Geschichte dahinter: Denn der Film basiert auf der Geschichte des menschlichen Kunstwerks namens Tim des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye: 2008 tätowierte Delvoye eine aufwendige Punk-Kreuzigungsszene auf den Rücken eines Zürcher Tattoo-Studio-Besitzers namens Tim Steiner, der sich gegen Bezahlung dazu bereit erklärte, sich mit seinem tätowierten Rücken in Galerien auszustellen und sich nach seinem Tod die tätowierte Haut operativentfernen und ausstellen zu lassen. „Das Kunstwerk ist auf meinem Rücken, ich bin nur der Typ, der es herumträgt“, gab er 2017 in einem Interview kund.

Na dann schauen wir doch mal (= 4 PÖNIs).     P.S.: „The Man Who Sold His Skin“ wurde von Tunesien als Beitrag für die „Oscar“-Verleihung 2021 eingereicht und später auch von der Academy als erster tunesischer Film nominiert.

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