DELIVER US FROM EVIL (DVD / 2010)

Habe wieder einen neuen Film entdeckt, der so leicht nicht zu entdecken war. Denn schon der Titel „lockt“ eigentlich überhaupt nicht. Dann: Es gab/gibt auch noch einen zweiten ÄLTEREN Film mit genau demselben Titel. Allein der Regisseur trifft bei Eingeweihten sicherlich auf Interesse: OLE BORNEDAL. Das ist ein dänischer Filmemacher, geboren am 26. Mai 1959. DEN hat man einst an der „Danske Filmskole“ abgelehnt, also arbeitete er zunächst als Rundfunk-Journalist. 1994 schuf er als Drehbuch-Autor und Regisseur den Spannungsfilm „NIGHTWATCH – NACHTWACHE“, und der schlug national und dann international ein wie eine Bombe. (Ein Student als Nachtwächter in der Pathologie eines Krankenhauses; ein Polizist als soziopathischer Killer/5 „Roberts“, das sind die dänischen „Oscars“, darunter als „Bester Film“).

Hollywood wurde sofort aufmerksam, dort durfte Ole Bornedal zwei Jahre darauf auch das Remake inszenieren (nach einem Drehbuch, das er gemeinsam mit Steven Soderbergh schrieb): „FREEZE – ALPTRAUM NACHTWACHE“. Mit Ewan McGregor und Nick Nolte in den „entscheidenden Rollen“. Kam längst nicht so gut an wie das dänische Original. Danach drehte Bornedal die Filme: „Deep Water – Im Sog der Angst“ (1998); „Dina – Meine Geschichte“ (2002/ein aufwändiger Historienfilm als internationale Co-Produktion, basierend auf einem norwegischen Bestsellerroman; mit u.a. Maria Bonnevie + Gerard Depardieu; mit 144 Millionen Norwegischen Kronen/ca. 21 Millionen Dollar der teuerste norwegische Kinofilm überhaupt); „Alien Teacher“ (2007) sowie „Bedingungslos“, ein dänischer Schuld-und-Sühne-Thriller (2007).
Der neueste, 7. Film dieses dänischen Experten in Sachen „spezielle Spannung“ heißt im Original „Fri os fra detn onde“, lief im Programm beim vorjährigen Fantasy-Filmfest und bekam hierzulande jetzt den „deutschen“ DVD-Titel

DELIVER US FROM EVIL“ von Ole Bornedal (B+R; Dänemark/Schweden/Norwegen 2008; 93 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 25.09.2010).

Dabei handelt es sich eben NICHT um den gleichnamigen amerikanischen Dokumentarfilm von Amy Berg aus dem Jahr 2006, in dem es um den katholischen Priester Oliver O´Grady aus Kalifornien ging, dem sexueller Missbrauch von hunderten Kindern zwischen den späten 70er Jahren bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vorgeworfen wurde. Sondern: „Befreie/Erlöse uns von dem Bösen“, der an 40 Drehtagen, vom 5. Mai bis zum 30. Juni 2008, weit außerhalb von Kopenhagen, in Westjütland, entstand, entpuppt sich als außergewöhnlich grimmiger, packender Sozial-Thriller. Der in seiner Intensität an das wuchtige, harte David-gegen-Goliath-Meisterwerk „STRAW DOGS“ von SAM PECKINPAH aus dem Jahr 1971 erinnert. Deutscher Titel: „WER GEWALT SÄT“; in den Hauptrollen: Dustin Hoffman und Susan George. Eine intensive, brutale Studie über die Ursachen für Gewalt und Gewaltauswüchse. Innerhalb einer kleinen, überschaubaren Bürger-Gesellschaft.

Ähnlich hier: „Es gibt keine bösen Menschen; es gibt nur Menschen, die zu wenig geliebt werden“, sagt eingangs Pernille zu ihrer kleinen Tochter und ihrem etwas älteren Bruder. Pernille (LENE NYSTROM) ist die attraktive Ehefrau des gutsituierten Anwalts Johannes (LASSE RIMMER). Der ist mit seiner Frau und den beiden Kindern aus der hektischen Großstadt in das beschauliche Dorf in Westjütland gezogen, wo er einst mit seinem Bruder Lars aufwuchs. In IHR HAUS. Hier scheint das „alte ruhige übersichtliche“ Leben wieder aufzublühen: Die gute, saubere Luft, die herrliche Natur, die netten Menschen. Eine gute Gemeinschaft. Man kontaktet miteinander, geht in die Kirche, man kennt und schätzt sich. Ein friedliches Beieinander. Doch dann taucht Lars auf (diabolisch-faszinierend-charismatisch furchterregend: JENS ANDERSEN), und alles gerät aus dem Ruder. Lars, der geborene Krawall-Bruder, hat mit seinem LKW offensichtlich die Ehefrau von Ingvar (MOGENS PEDERSEN) überfahren, dem mächtigen Fuhrunternehmer und bibeltreuen Fundamentalisten. Und DER will – im Namen des Herrn („Gott gibt uns den Auftrag zu handeln“) – seine persönliche Rache. Schwingt sich als „Herrscher des Ortes“ auf und zieht mit dem Mob los, um Alain zu töten. Alain, den Balkan-Flüchtling, den viele nur „NEGER“ nennen. Denn Lars hat geschickt die Schuld-Fährte auf Alain gelenkt. Auf der Kirmes wird „Mut“ und unkontrollierte Wut angesoffen, dann ziehen sie los. Zu Johannes. Der den verletzten Alain in seinem Haus beschützt. Bis die Polizei kommt. Doch die kommt (zunächst) nicht. „Wer Gewalt sät“ im freundlichen Dänemark. In widerlicher Reinkultur.

Der gute Mensch mit seinen zwei Seiten. Seelen. Die Dr. Jekyll/Mr. Hyde-Geschichte. Wehe wenn sie losgelassen….. Dabei kann sich keiner entziehen. Es bedarf nur eines „geschickten“ Funkens und der Mensch „offenbart“ sich. „Du bist ein Tier, genau wie die da draußen“, sagt Pernille zu Johannes, der nicht nachgeben und Alain opfern will. Die Eskalation der Gewalt. Wie, wieso, weshalb, warum. Und wie entsetzlich, eklig, widerwärtig. Und absolut unmenschlich.
Ole Bornedal („Das ist der 1. Bierzeltfilm Dänemarks“, spöttisch im Feature-Bonusmaterial) hat einen kantigen, extrem spannenden Thriller gedreht. Mit (sehr) viel Realismusgeschmack. Trifft Typen wie Geschehnisse konsequent. Spiegel-genau. Präzise. Eindringlich. Ist düster-farbig am unheimlichen wie atmosphärischen Mikrokosmos hier, enthält sich einer simplen Schwarzweißmalerei. Vielmehr atmet er unbequeme, aber wahrscheinlichkeitsnahe Ereignisse aus, die natürlich überall stattfinden könnten, natürlich auch bei bzw. mit UNS. Und dies ist die besorgniserregende Erkenntnis aus diesem brillanten Unterhaltungsfilm: JEDER KÖNNTE SO REAGIEREN. Ausgeflippt, verrückt, beschädigt, gemein. Abgestürzt. Und Sätze von sich geben wie „Gesetze? Nicht für Terroristen!“ Also.

Das Ende allerdings ist verstörend. Soll nicht verraten werden, verkauft sich aber inkonsequent, eher harmlos zu Ende gedacht, eher unangemessen. Vermag aber den insgesamten wie exzellenten Eindruck, einen großartigen, bedeutenden, aufregenden wie außergewöhnlichen Höllenfilm gesehen zu haben, nicht weiter zu stören. Vielleicht war Ole Bornedal da schon wieder auf dem Weg Richtung Hollywood.
Egal: Sein neuer Film ist eine phantastische Entdeckung und gehört zum DVD-Besten in diesen langsam dunkler werdenden Tagen (= 4 PÖNIs).
Anbieter: „Senator Home Entertainment“.

 

Teilen mit: