Dein Weg Kritik

DEIN WEG“ von Emilio Estevez (B+R; USA/Spanien 2009/2010; K: Juan Miguel Azpiroz; 123 Minuten; Start D: 21.06.2012); er stammt aus einer prominenten amerikanischen Künstler-Familie, mit irischen und spanischen Wurzeln – der am 12. Mai 1962 in New York City geborene Drehbuch-Autor, Regisseur („Bobby“/2006) und Schauspieler („The Breakfast Club“/1985; „Blaze of Glory“/1990; „Mighty Ducks 1-3“/19921994/1996). Er ist der Sohn von Martin Sheen und der Bruder von Charlie Sheen, behielt aber den Familiennamen bei und verwendete nicht den bekannten Künstlernamen seines Vaters. Mit DEM zusammen er diesen großartigen Film realisierte. „My Way“, so der Originaltitel, ist eine kleine wunderbare Kostbarkeit von Kino. Darf jetzt als Ereignis von Entdeckung bezeichnet werden.

Erzählt von Tom Avery, einem honorigen kalifornischen Augenarzt. Dessen Leben in bewährten, überschaubaren Bahnen verläuft. Wenn sich der Witwer nicht gerade in der Praxis aufhält, ist Golf mit Freunden im Club angesagt. Sein erwachsener Sohn Daniel (Emilio Estevez) hat sich längst von ihm abgenabelt, aber auch „entfernt“, denn Daniel ist gerne als Globetrotter in der Weltgeschichte unterwegs. Der Vater hätte ihn lieber öfters in seiner Nähe, aber Daniel hatte andere Pläne: „Man entscheidet sich nicht für ein Leben, man lebt eins“. Und ging weg.

Der Anruf erreicht Tom Avery auf dem Golfplatz. Er kommt aus Spanien. Sein Sohn ist tödlich verunglückt. Ein Sturz. Am ersten Tag seiner Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg. Tom fliegt in die Pyrenäen, um den Leichnam seines Sohnes nach Hause zu holen. Entschließt sich dann aber spontan anders. Will die Tour seines Sohnes selber durchführen. Allein. Und auf dem Weg dessen Asche „verteilen“. Will dabei Daniel besser verstehen lernen. Und ihm noch einmal „nahe“ sein. Trifft dabei – natürlich – auf kauzige Begleiter. Ob er will oder nicht. Auf den Holländer Joost (YORICK VAN WAGENINGEN), der unterwegs ist, um abzunehmen; auf den irischen Reisebuchautor Jack mit Schreibblockade (JAMES NESBITT); auf die kanadische Kettenraucherin Sarah (DEBORAH KARA UNGER), die „mit der (eigenen) Welt“ so ihre Probleme hat. 800 Kilometer auf dem bekanntesten Pilgerweg der Welt. Zur Nordwestküste Spaniens. In Richtung Santiago de Compostela. Zum Grab des Apostel Jakobus. (1993 wurde der spanische Hauptweg in das UNESCO-Welterbe aufgenommen).

Der mürrische, wortkarge Tom möchte lieber und eigentlich ganz alleine laufen, vermag aber die Anderen nie „richtig“ abzuschütteln. Und lernt nach und nach spannende wie „komische“ Begleiter kennen. Und akzeptieren. Und wird auch für diese zum „interessanten“ Mitmenschen. Schließlich: Der Weg ist das Ziel. Beziehungsweise: Trauer-Laufen als Sinn-Suche. Ein toller spiritueller Spannungsfilm. Als lakonische Selbstfindung.

Der Film hat ein Gesicht: MARTIN SHEEN. Geboren am 3. August 1940 in Dayton/Ohio. Als Ramón Antonio Gerard Estévez. Ein seit Jahrzehnten viel gefragter, viel angesagter Charakter-Mime. Der seinen großen Karriere-Durchbruch 1979 mit dem Francis Ford Coppola-Meisterwerk „Apocalypse Now“ hatte. Seitdem zählt er zu den „zuverlässigsten“ Sympathieträgern Hollywoods. Hat in unzähligen Produktionen in Haupt- und Nebenrollen mitgewirkt. Martin Sheen ist auch politisch sehr aktiv. Protestierte einst gegen die SDI-Pläne der Reagan-Administration, gegen atomare Anlagen und auch 2003 gegen den Irak-Krieg. Seine öffentliche Kritik am US-Präsidenten George W. Bush fand nicht zuletzt ein breites öffentliches Interesse, weil der bekennende Katholik in der Rolle des US-Präsidenten in der erfolgreichen TV-Serie „The West Wing – Im Zentrum der Macht“ große Popularität einheimste. Zudem setzt sich Martin Sheen aktiv für Umweltschutz ein und unterstützt die Tierschutzorganisation „Sea Shepherd Conservation Society“, die neulich im Mittelpunkt des Dokumentarfilms „Bekenntnisse eines Öko-Terroristen“ stand. Martin Sheen (deutsche Stimme diesmal: Wolfgang Condrus) ist von phantastischer körpersprachlicher Ruhe. Ausstrahlung. Sensibilität. Von immensem Reiz. Seine leisen Bewegungen sind ausreichend Erklärung und Sprache.

Emilio Estevez hat seinem Vater eine einzigartige emotionale Bühne bereitet, die DER unangestrengt, unaufdringlich, magisch annimmt. Nutzt. Benutzt. Für einen brillanten Solo-Auftritt. Mit dem er sich zweifelsohne in den Darsteller-„Olymp“ katapultiert. Inmitten dieser atemberaubenden, wunderschönen erhabenen „würdevollen“ baskischen Landschaft. Mit ihren „eigenwilligen“ Anwohnern.
Eine einzigartige Atmosphäre. Entsteht hier. Ohne klerikale „Genugtuung“. Ohne jedweden falschen Kitsch. Oder fahrige Sentimentalität. Einfach so. Glaubwürdig, überzeugend, stimmig in jeder Tonlage, Bewegung, Haltung. Ohne Spektakel und Geschrei. Von origineller faszinierender Schlichtheit. Zum Mit-Empfinden und lächelnden Aufnehmen.

„Dein Weg“, der Film, ist so herrlich offensiv altmodisch in Blick, Gedanken und Handwerk. Dass er pure filmische Freude vermittelt (= 4 PÖNIs).

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