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„CATS“ von Tom Hooper (Co-B + R; GB/USA 2018/2019; Co-B: Lee Hall; nach dem gleichn. Musical von Andrew Lloyd Webber und Trevor Nunn/1981, basierend auf T. S. Eliots Katzengedichtband „Old Possum‘s Book of Practical Cats“/1939; K: Christopher Ross; M: Andrew Lloyd Webber/Musik, Trevor Nunn/Texte; 111 Minuten; deutscher Kino-Start: 25.12.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
Kennen Sie dieses kübelnde Geräusch einer Katze, die ein schleimiges Fellknäul wieder aus ihrem Magen hervorwürgt? Genauso würgt, pardon, wirkt die Verfilmung des Musical-Klassikers CATS. Die keinerlei Daseinsberechtigung besitzt und einem Schmerzenstränen ins Gesicht treibt. Vor allem dann, wenn man die Ursprünge liebt.
Ganz am Anfang stand am 5. Oktober 1939 die leichte Poesie. Über Haus- und Straßenkatzen. Der Wahl-Engländer und Schriftsteller T. S. Eliot gab sich ehedem den Decknamen „Old Possum“ unter dem er fortan seinen Patenkindern Briefe schrieb. Das Lieblingsthema: Miezen und ihre unwiderstehlichen Persönlichkeiten. Die felligen Lieblinge unter ihnen im „Old Possum‘s Book of Practical Cats“: Der Macho Rum Tum Tugger, die reizende Jennyanydots, das diebische Duo Mungojerrie & Rumpleteazer, das weise Oberhaupt Old Deuteronomy, der schnurrhaarige Zauberer Mr. Mistoffelees, Gus der alte Theaterkater, der elitäre Fettwanst Bustopher Jones, der kriminelle Macavity oder Skimbleshanks die verantwortungsbewusste Pfote vom Bahnhof. Allesamt Mitglieder der Jellicle Cats – einem Klan verspielter Stubentiger.
ANDREW LLOYD WEBBER: Musical-Baron und Komponist solch erfolgreicher Shows wie „Jesus Christ Superstar“ (1970), „Das Phantom der Oper“ (1986), „Evita“ (1976), „Starlight Express“ (1984) oder „Sunset Boulevard“ (1993) begann 1977 damit diese Lyrik zu vertonen. Sein ursprünglicher Plan war es, die daraus entwickelten Songs als Einzelepisoden im Fernsehen zu zeigen. Als die Ersten davon allerdings 1980 auf dem Sommerkunstfestival von Sydmonton präsentiert wurden, wurde Valerie Eliot, die Witwe des Autors, auf einmal auf das Projekt aufmerksam. Sie schenkte ihm daraufhin noch unveröffentlichte Gedichte aus dem Familien-Archiv, mit denen sich Webber an den den britischen Bühnenregisseur TREVOR NUNN, damaliger Leiter der angesehenen Shakespeare Company, wandte. Zusammen mit ihm legte er schließlich den Grundstein zum Erfolg des Bühnen-Phänomens: CATS (1981). Eine revueartige Musikshow, die heute mit sieben „Tony Awards“ (den Broadway-„Oscars“) und über 50 Millionen Zuschauern zu den erfolgreichsten Produktionen aller Zeiten gehört. Im Mittelpunkt: Für sich selbst stehende, wunderschöne Gesangsnummern. Zusammengefügt durch eine Rahmenhandlung, die hinter dem faszinierenden Spektakel, den putzigen Kostümen und der Leistung aller Beteiligten ansteht:
Alljährlich treffen sich die Jellicle Cats bei Vollmond zu einer Art Ball. Auf einem Schrottplatz. Bei diesem Anlass wählen sie eines ihrer Mitglieder aus, das die Ehre bekommt, in den „Heaviside Layer“, ihre Version des Himmels, aufzusteigen. Dort kann der oder die Auserwählte ein Leben opfern (Katzen haben bekanntlich viele davon: in England: 9; in Deutschland: 7), um in Form einer Reinkarnation ein neues, besserer führen zu können. Folglich werden die Anwärter vorgestellt. Darunter Grizabella die alternde Diva: die Norma Desmond auf dem Sunset Boulevard der CATS. Mitsamt ihrem emotionalen Solo: „Memory“/“Erinnerung“. Die wohl b e r ü h m t e s t e Musical-Arie auf diesem Planeten. Hundertfach interpretiert von Weltstars wie Barbra Streisand. Am „Theater an der Wien“ wurde bei der deutschsprachigen Premiere 1983 hingegen eine damals noch völlig Unbekannte besetzt: ANGELIKA MILSTER, die sich bis 1987 dieses Fell über die Ohren stülpte. Die Langspielplatte zur Erstaufführung hatte bis dorthin schon längst den Goldstatus erreicht. Und sie, die aufstrebende Künstlerin, hatte bereits die „Goldene Europa“, den ältesten, deutschen Fernsehpreis, in der Tasche. A Star was born! Wochenlang lebte das Ur-Ensemble zur Vorbereitung mit Katzen zusammen, um deren Habitus zu inhalieren, in und durch Improvisationen und körperlichen Drill, um den von DAME GILLIAN BARBARA LYNNE einst entwickelten kräftezehrenden Choreografien, eingepackt in saunaähnlichen Kostümen, überhaupt standhalten zu können. Sie, diese ehrwürdige Ballerina, verstarb am 1 Juli 2018 im Alter von 92 Jahren, so dass sie das Folgende zum Glück nicht mehr miterleben musste:
TOM HOOPER. 2010 geadelt durch sein Werk „The King`s Speech“ („Oscar“ für Colin Firth als stotternder König George VI. von England; außerdem: „Bester Film“, „Beste Regie“, „Bestes Originaldrehbuch“; s. Kino-KRITIK); mit der elend umgesetzten Nahaufnahmen-Mund-Orgie des Boublil- und Schönberg-Musicals „Les Misérables“ eher revolutionär unangenehm aufgefallen (s. Kino-KRITIK). Londoner des Jahrgangs 1972 und offensichtlich großer Fan des klassischen Singspiels. Und Muschis – denen er sich in dieser Leinwandadaption „leidenschaftlich“ widmet. Eine Leidenschaft, die leider großes Leiden schafft.
Was soll das? Sein. Menschen mit Fell? Katzen mit Menschenköpfen/-füßen? Stephen Kings wiederbelebter Kuscheltierfriedhof? Probanden aus einem Genversuchslabor, als gescheitertes Horrorexperiment? Hätte der alte Dante das gesehen, gäbe es einen zehnten Kreis der Hölle: diesen. So etwas abartig Verstörendes. Mit Brüsten. „Kitties“ mit „Titties“ – überall. Wie ekelhaft abstoßend. Unästhetisch. Peinlich berührend. Mit der Überschrift: von Katzen und Vögeln. Wobei nicht das Federvieh gemeint ist! Ständige Rolligkeit zum Fremdschämen. Triebgesteuert. Alle Schwänze dauerhaft nach oben gereckt. Eine unterschwellige Pornographie von Katern und Anhang auf Freiersfüßen, denen eine Rute aus dem Hintern wächst. Bekanntlich kreischend. Schrill. Nummer eins unter den Gründen für eine Kastration. In der Realität. Hätte man hier auch mal drüber nachdenken können. Um die Nerven zu schonen. Und: Kein Mensch möchte in diesem Kontext sehen, wie eine sonst so erhabene DAME JUDI DENCH (als Obermieze „Alt-Deuteronimus“; im Stück stets männlich) beim Anblick von einem nicht weniger hochgeschätzten SIR IAN McKELLEN (als „Gus, der Theaterkater“) die Beine breit macht!!! Keiner!!! Das ist derartig diffamierend, dass einem die Worte ausgehen, um solch eine Respektlosigkeit ü b e r h a u p t beschreiben zu können. Nochmal: Was machen die hier? Das Gleiche gilt für den renommierten britischen Schauspieler, Komiker und Moderator JAMES CORDEN oder die sonst so kesse REBEL WILSON (zuletzt noch hinreißend verdorben in „Glam Girls“ an der Seite von Anne Hathaway).
Dazu: Die schlechtesten Computereffekte/Animationen, die je produziert wurden: Ruckelnde Bilder in den halb-realen-halb-PC-gesteuerten Tanzsequenzen, verwaschene Gesichtszüge der Zwitterwesen und eine unästhetische Plastik-Atmosphäre voll von Pixel-Dilettantismus. Eine, im Original eigentlich ganz gut klingende, aber viel zu jung für die Grizabella besetzte JENNIFER HUDSON, der ständig die Rotze aus der Nase läuft (ekelhaft!); Katzen, die Pelz tragen (so ein Schwachsinn!) oder auf Stöckelschuhen herumeiern (!). Eine unerträgliche deutsche Neu-Übersetzung. Keine Story (dafür ist CATS auch nicht ausgelegt); stattdessen dicke Kinder als animierte Mäuse, die fröhlich musizieren; steppende humanoide Kakerlaken, die gefressen werden … das Arsenal des Schreckens kennt hier wirklich keine Grenzen.
Nach einem desaströsen Kinostart lieferte der Regisseur neulich einen überarbeiteten Technik-Patch in die Lichtspielhäuser nach. Völlig ungewöhnlich für eine bereits laufende Produktion. Eine reine Verzweiflungstat, um dem entgegenzuwirken, was bereits einen Tag nach Veröffentlichung nicht nur der Presse klar war: Alles für die Katz! Jüngst erreichte uns zudem die Nachricht, dass sich jetzt auch UNIVERSAL selbst d e r m a ß e n für dieses Desaster zu schämen scheint, dass sie CATS auf ihrer Homepage mittlerweile von der Liste ihrer eigenen „Oscar“-Empfehlungen gestrichen haben. Und das obwohl Musical-Verfilmungen „eigentlich“ für den Gewinn dieser Trophäe prädestiniert sind.
Ich ergänze eingangs wie abschließend: CATS ist Katzen-Kotze. Hochgewürgt aus einer Mutterversion, von deren Charme, deren magischer Livehaftigkeit, deren bezaubernden Figuren, deren eingängigen Melodien nichts mehr übrig ist. Wenig Miau. Dafür: umso mehr Mi-AUA für Augen, Ohren und Seele! Eins meiner Leben hat mich dieser Film – ganz persönlich – mit Sicherheit gekostet! Schämen sollten Sie sich Mr. Hooper, ein Bühnenmeisterwerk, für das so viele Kunstidealisten heute noch, tagtäglich, auf der ganzen Welt ihren Schweiß geben, dermaßen RESPEKTLOS zu behandeln! (= 0 „Carrie“-PÖNIs …für den Katzenjammer des Kinojahres 2019).
P.S.: Im Online-Programm des hiesigen Cineplex ist übrigens zu lesen, dass die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW hierfür das „Prädikat besonders wertvoll“ vergeben hat. Ein Klick und Blick auf die weltweite IMDb-Kritik lohnt sich diesbezüglich. Lassen wir es so stehen und denken in einer Schweigeminute an den Zustand des Movie-Business in unserem Land … über das dieser Stempel hier so einiges aussagt.