„AVENGERS: ENDGAME“ von Anthony & Joe Russo (USA 2017-2019; B: Christopher Markus, Stephen McFeely; nach den gleichnamigen MARVEL-Comics; K: Trent Opaloch; M: Alan Silvestri; 182 Minuten; deutscher Kino-Start: 25.04.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
IRON MAN, verkörpert durch ROBERT DOWNEY JR., feierte als erster MARVEL-Superheld am 14. April 2008 Weltpremiere in Sydney/Australien. Der Startschuss zu einem Kino-Universum, das heute, 11 Jahre später, zum gewaltigen MCU (= Marvel Cinematic Universe) heranwuchs. Darin enthalten bisher: 21 Filme, davon 3 AVENGERS-Titel, die nun im Insgesamt-Werk Nummer 22, dem gleichzeitig vierten Teil der AVENGERS-Reihe, in einem großen ENDGAME (= Endspiel) gipfeln sollen. Dieses kündigte sich bereits in der dritten AVENGERS-Auskopplung INFINITY WAR laut an. Nun ist es endlich da: d a s Finale. Ein Wort, das dem Duden nach einen Moment beschreibt, der „einen besonderen Höhepunkt darstellender, glanzvoller Abschluss von etwas“ ist. „Etwas“, das ganz klar eine gewisse Vorkenntnis benötigt. Aus diesem Grund gleich zu Beginn der wichtige Hinweis: Zuschauer, die sich mit der cineastischen Welt von MARVEL n i c h t auskennen, werden hiermit k e i n e Freude haben und, das muss man deutlich sagen, nur wenig verstehen. Der Unterhaltungsfaktor wird sich ihnen verschließen. Denn die Story macht an vielen Stellen keinen objektiven Sinn. Stattdessen bietet sie zu 90% einen Fan-Service, der die Anhänger drei Stunden lang begeistern wird, während der Rest sich fragt: Was soll das?
Der Versuch einer „kurzen“ Erklärung. Das MCU beinhaltet aktuell drei Phasen. Die erste (2008-2012), stellte in „Iron Man“ (2008/s. Kino-KRITIK); „Der unglaubliche Hulk“ (2008/s. Kino-KRITIK); „Iron Man 2“ (2010/s. Kino-KRITIK); „Thor“; „Captain America: The First Avenger“ (2011/ s. Kino-KRITIK) und letztlich in „Marvel`s The Avengers“ (2012/s. Kino-KRITIK) die einzelnen Charaktere vor. Die zweite (2013-2015), beschäftigte sich in „Iron Man 3“ (2013/s. Kino-KRITIK); „Thor – The Dark Kingdom“ (2013/s. Kino-KRITIK); „The Return of the First Avenger“ (2014/s. Kino-KRITIK); „Guardians of the Galaxy“ (2014/s. Kino-KRITIK); “Avengers: Age of Ultron“ (2015/s. Kino-KRITIK) und „Ant-Man“ (2015/s. Kino-KRITIK) mit deren Weiterentwicklung. Die dritte und aktuell letzte Phase (2016-2019) beschreibt die Zusammenführung von a l l e n Beteiligten und a l l e n Ereignissen in: „The First Avenger: Civil War“ (2016/s. Kino-KRITIK); „Doctor Strange“ (2016/s. Kino-KRITIK); „Guardians of the Galaxy Vol. 2“ (2017/s. Kino-KRITIK); „Spider-Man: Homecoming“ (2017/s. Kino-KRITIK); „Thor: Tag der Entscheidung“ (2017/s. Kino-KRITIK); „Black Panther“ (2018/s. Kino-KRITIK); „Avengers: Infinity War“ (2018/s. Kino-KRITIK); „Ant-Man and the Wasp“ (2018/s. Kino-KRITIK) und – last but not least – „Captain Marvel“ (2019/s. Kino-KRITIK). Eine Superheldin, die ebenso wie der Ameisen-Mann und seine Wespen-Dame, jüngst noch als letzte Puzzle-Teile das vervollständigten, was in INFINITY WAR 2018 begann. Also – letzte Warnung: Eine Sichtung dieses oben genannten Materials wird eindringlich v o r h e r empfohlen, um sich auf den neusten Stand zu bringen. Denn der lautet wie folgt:
Der Titan Thanos (JOSH BROLIN) hat mit Hilfe der sechs übermächtigen Infinity-Steine die Hälfte allen Lebens ausgelöscht. Die Mission der AVENGERS, dies zu verhindern, ist gescheitert. S i e scheiterten. Verloren alles: den Krieg, ihre Familien, ihre Freunde und sich selbst. Sie sind moralisch und körperlich zerschlagen. Manche mehr. Manche weniger. Manche sind kaum noch wiederzuerkennen. Genauso wie der Rest des Planeten, dessen Schicksal besiegelt scheint. Oder? Eine Reise durch die Zeit könnte das Unmögliche möglich machen und die Niederlage doch noch in einen Sieg verwandeln.
An dieser Stelle gilt es vom „oberflächlichen“ Inhalt Abstand zu nehmen. Aus verschiedenen Gründen. Zum einen verdirbt weiteres Vorwissen jeglichen Seh-Spaß. Zum anderen ist es wichtig zu verstehen, dass dieser Film anders arbeitet. Völlig anders funktioniert. Er folgt keiner stringenten Handlung und setzt nicht auf das gewohnte Hochpeitschen von Action oder Spezialeffekten. Der Anfang vom Ende ist leise. Melancholisch. Und selbst die späte, epische Schlacht zwischen Gut und Böse, die habituell das Kino der Sensationen bedient, bleibt als Spektakel zweitrangig. Nahezu belanglos, neben dem eigentlichem Erzählmotor: der gefühlsbeladenen Bindung zwischen den MARVEL-Figuren untereinander – und der des Publikums zu ihnen. Die „inhaltliche“ Reise in die Vergangenheit, welche die AVENGERS antreten müssen, wird zu einer wahrhaftigen Rückkehr in die MARVEL-Filmgeschichte. Wie ein Treffen zwischen Freunden, die gemeinsam durch Fotoalben blättern und so nostalgisch in Erinnerungen schwelgen. Diese Navigation durch die Historie des MCUs gelingt den Regie-Brüdern Russo eindrucksvoll-sensible und selbst-ironisch-witzig. Unvorhersehbar führen sie durch 11 Jahre Memoiren, in 3 Stunden Spielzeit, die ebenso wie ein gutes Gespräch schnell verfliegen. In einer Art Kino-Sitzkreis, in dem Berühmtheiten wie Robert Downey Jr., Chris Evans, Josh Brolin, Michael Douglas, Michelle Pfeiffer, Chris Pratt, Robert Redford, Benedict Cumberbatch oder Scarlett Johansson zu respektvollen „Marionetten“ werden für einen Comic-Puppenspieler, dessen Kreativität, dessen Träume, dessen Ideen, dessen Helden so viele Generationen beeinflussten: MARVEL-Vater Stan Lee (*28.12.1922 – †12.11.2018).
Was soll über die Ausstattung, die Effekte, den Humor, die Unterhaltung, den Sinn oder die Leistung der Darsteller nach 21 Filmen noch geschrieben werden? Alles wurde bereits gesagt. Ist bekannt. Wurde in zig Kritiken analysiert, zerlegt oder gefeiert. Jetzt, in den letzten Zügen, geht es rein um: E m o t i o n e n. Festgehalten in Trent Opalochs Bildern und Alan Silvestris Musik. Den Ausgang der Geschichte kann man erahnen; die Opfer, die hierfür gefordert werden, nicht. Nach ihnen wird sich MARVEL in Phase 4 um-positionieren, neu-finden müssen. So wie es aussieht treten zunehmend taffe Mädels und afro-amerikanische Vorbilder in Phase 4 modern das Erbe an. Gut so. Doch bis dahin genießen wir die letzten Minuten mit der alten Garde. Denn auch d a s kann Kino mal sein: purer Genuss.
AVENGERS: ENDGAME besitzt bestimmt kleinere Schwachstellen über die man stundenlang Erbsen zählen könnte, aber vor allem liefert er: wehmütig-stille Zeilen eines bitter-süßen Abschiedsbriefes, den lieb-gewonnene Personen wortwörtlich unterzeichnen. Ein tränenreiches „Goodbye“ von realen Pionieren, fantastischen Figuren und spaßigen Abenteuern, die viele von uns beim Groß-Werden begleiteten. Nun wird es Zeit erwachsen zu werden. Nicht nur für SPIDER-MAN, der wohl noch dieses Jahr mit FAR FROM HOME die ersten Zukunftsweichen stellen wird… mit einem Herz aus Stahl (= 4 „Carrie“-PÖNIs; …und bitte: Abspann beachten!).