Accident DVD-Kritik

Es ist natürlich die Ausnahme, dass Genre-Streifen aus Asien bei renommierten Filmfestivals im Wettbewerb auftauchen. Bei diesem jetzt bei uns erstmals – per DVD (und Blu-ray) – vorgezeigten Hongkong-Thriller war das aber so; er war sowohl beim 66. Venedig-Festival 2009 als auch auf dem Toronto-Filmfestival im selben Jahr im ersten Aufgebot. Was aber nicht verwundert, tritt doch hier als Chef-Produzent der renommierte Hongkong-Künstler JOHNNIE TO auf, der sich sowohl als Produzent wie vor allem auch als Regisseur einen hervorragenden Namen in der internationalen Cineasten-Welt geschaffen hat. Zudem war der am 22. April 1955 in Hongkong geborene „technische“ und „praktische“ Macher in den letzten Jahren mit seinen Werken auf den größten Filmfestivals wie Cannes, Venedig, Berlin sowie dem Asia-Filmfest vertreten. So dass Filme wie „Breaking News“ + „Throw Down“ (2004), „Exiled“ (2006) und zuletzt „Vengeance“ (2009/mit Johnny Halliday/hierzulande auch auf DVD erschienen) einem internationalen Publikum zugängig wurden. 2008 + 2010 gehörte Johnnie To außerdem zu den Wettbewerbsjuroren in Venedig und Cannes. Dieser nun von To mit-produzierte „wahre Filmrausch“ („kino-zeit.de“) ist für uns hierzulande ein imponierendes Genre-Nachholstück:
ACCIDENT“ von Soi Cheang (Hongkong 2009; 87 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 21.10.2011).

Soi Cheang, so im Vor- und Nachspann des Films geschrieben, bei „Wikipedia“ aber als Cheang Pou-soi aufgeführt und von der DVD-betreuenden PR-Agentur Pou-soi Cheang genannt, ist in unseren Breitengraden unbekannt. In seiner Filmographie werden dem Hongkong-Regisseur, Drehbuch-Autoren und Schauspieler Action-Titel wie „Home Sweet Home“ (2005), „Dog Bite Dog“ (2006) sowie „Shamo“ (2007) zugeschrieben.
In „Accident“ ist der Titel Programm: Wir sehen am Anfang des Films wie durch präzises Planen eine „Aneinanderreihung des Zufalls“ ausgelöst wird, entsteht, mit dem Ziel, einen Menschen zu töten. Ohne dass dies offiziell „bemerkt“ werden soll. Darf. Dass Zufall eben nicht „Zufall“ bzw. ein Unfall, sondern planmäßige „Tötungsarbeit“ war. Perfekt ausgeführt von einem Vier-Personen-Team, drei Männer, einer Frau. Anführer ist Ho Kwok-fai, genannt „Das Hirn“. Ein unscheinbarer, unauffälliger Studenten-Typ als professioneller Auftragskiller. Mit melancholischem Brillen-Blick (LOUIS KOO). Immer beherrscht, immer die totale Präzision im Blick: „Ihr arbeitet für mich. Riskiert nie wieder unsere Sicherheit. Jeder Fehler kann uns das Leben kosten“, zürnt er, weil „ein Kollege“ am Tatort einen Zigarettenstummel hinterließ. Den Er dann selbstverständlich entfernt hat. Auf zum nächsten Job.

Und wieder läuft die Perfektionsmaschinerie in Planung, Entwicklung und „Üben“ an. Detailversessen. Bei jedem kleinsten Manko heißt es sofort „Abbrechen“. Als dann „die Choreographie“ festgelegt ist, abgestimmt ist, stimmt, beginnt „die Aktion“. Im dramatischen Regen dieser gigantischen Metropole Hongkong. Doch dann „passiert“ etwas „Entgegengesetztes“. Wobei einer der Ho-Männer ums Leben kommt. Scheinbar ein Unfall. Zufällig. Unvermeidbar. Doch „das Hirn“ glaubt nicht an einen solchen Zufall. Sieht sich von einem unsichtbaren Gegner bedroht. „Riecht“ eine Verschwörung. Beginnt zu recherchieren. Folgt den Spuren eines „unauffälligen“ Versicherungsvertreters. DEN er für „den Angreifer“ hält. Vermag DER etwa auch Zufälle so perfekt „zu inszenieren“ wie Er selbst? Oder sind das nur paranoide Züge eines „kreativen Killers“, dessen Identität mehr und mehr aus den Seelen-Fugen gerät? Der – wie eingangs erfahren – seine geliebte Ehefrau bei einem Autounfall verlor und seitdem, möglicherweise, an übersteigertem Verfolgungswahn leidet. Mit depressiven Schüben.

Was bis zur Filmhälfte an klassische französische Noir-Vorbilder wie „Der eiskalte Engel“ oder „Vier im roten Kreis“ von Jean-Pierre Melville erinnern lässt, entpuppt sich im zweiten Filmteil als melodramatischer Amok-Lauf. Mit viel atmosphärischem Panik-Puzzle-Geschmack. Rätselhaft wie sinnlich. Spannend. Inmitten dieser beeindruckend eingefangenen Hongkong-Lärm- und Straßen-Welt. Unter Federführung des exzellenten Kamera-Poeten FUNG YUEN MAN. Mit diesen Schildern, Geräuschen, nahen, engen Häusern und Läden, diesen vielen Plakaten und menschenvollen Wegen. In der „die Vier“ anonym herumwirbeln. Mit der internen Schwierigkeit, dass ihr verlässlicher Ältester, „Opa“, mehr und mehr abdriftet. Vergisst. Demenzerscheinungen. Auflösungserscheinungen. Plötzlich eine „Schwachstelle“ in diesem Profi-Zirkel bildet. „Das Hirn“ wird zunehmend unruhiger. Verliert seine „Sachlichkeit“. Aber – tatsächlich auch den Überblick???

„Accident“ ist ein packender Melo-Thriller. Ein Spannungsstück mit melodramatischer Mechanik. In der „Sonne“ ein ebenso magisches, betörendes Motiv bildet wie die Verdunkelung derselben. Wo sich Lösung und Erlösung offenbart. In visueller wie auch feiner emotionaler Musikalität (Komponist: XAVIER JANAUX).
Der (heute) 41jährige Hongkong-Star Mime LOUIS KOO („Election 2“) sieht nicht nur wie der jugendliche Alain Delon aus, sondern bewegt sich körpersprachlich auch so „labil“ wie der Franzose in seinen besten Gangster-Movies („Der Chef“ von Melville). Eine hochgradig „sensible“ Killer-Seele. Mit viel Schweige-Charme. Und einigem Kult-Geruch. Eine intensiv-interessante Begegnung mit einem faszinierenden neuen asiatischen Spitzen-Akteur. LOUIS KOO.

„ACCIDENT“ ist eine exzellente wie „spezielle“ Entdeckung von Genre-Spannung. Fürs Heimkino.

Anbieter: „Lighthouse Home Entertainment“

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